Windhoek ist schon eine sehr seltsame Stadt. Es ist schwierig, sie einem Außenstehenden zu beschreiben (ist ja prinzipiell immer eher problematisch bei Reiseberichten, aber bereits bestehende Bilder von Städten und Orten im Kopf erleichtern den Prozess des Berichterstattens. Wie viele unter euch können mit der Stadt Windhoek etwas anfangen?) Anfangs hätte ich sie wirklich nur mit den Attributen “hässlich“, “unordentlich“ und einfach nur “chaotisch“ beschreiben können. Je mehr Zeit ich aber in dieser 322.500 Einwohner-Stadt verbringe, umso mehr beginne ich glücklicherweise, meine neue Umgebung mit anderen Augen wahrzunehmen. Ja, es stimmt, Windhoek besticht nicht kaum durch beeindruckende, alte oder für seine Geschichte relevanten Gebäude. Keine hübsche Stadtmauer, keine uriger Platz, nichts verschönert seine grauen Fassaden. Moderne, verglaste Häuserfronten reihen sich an Relikte aus kolonialer Vergangenheit. Letztere wirken so surreal, dass man sie eher als Teil eines Filmset oder Freizeitparks begreifen könnte.
Vielleicht erschreckt einen gerade als Europäerin dieses so ungewohnte und so überhaupt nicht zusammenpassende und unästhetische Stadtbild. Wenn ich mich an meine bisherigen Städtereisen, innerhalb Deutschlands oder außerhalb davon erinnere, dann sind rückblickend meine positiven Erinnerungen fast ausschließlich an die imposanten alten oder beeindruckenden, „schönen“ Gebäude oder Monumente gekoppelt. Nachdem ich also den ersten Kulturschock, der durch die gähnende Leere an einem heißen Sonntagnachmittag an meiner Ankunft nochmal verzehnfacht wurde, verdaut habe, eröffnet sich mir inzwischen eine sehr viel interessantere Perspektive. Eine, die nicht von einer besonders ästhetisch-faszinierenden Umgebung abhängig ist. Windhoek ist eine Stadt der krassen Gegensätze und Widersprüche, des Chaos und Durcheinanders. Während ich in meiner Mittagspause von einem Mann nach Geld gefragt werde, damit er seiner Tochter wieder Windeln kaufen kann, sonnen sich die Reichen der Stadt auf dem Rooftop des Hilton Hotels und genießen bei einem Cocktail im Pool die verblüffende Aussicht über die Weiten Namibias.
Chaotisch wirkt aber nicht nur die Architektur in dieser Stadt. Auch seine Einwohner könnten unterschiedlicher wohl kaum sein sein. Während viele junge Namibier den westlichen Modestil adaptieren und in europäischen Metropolen nicht weiter auffallen würden, kleidet sich die ältere Generation in ihren traditionellen bunten Gewändern. Englische Sprache vermischt sich mit Afrikaans, Oshivambo, Nama-Damara, holländisch und deutsch. Obwohl Namibia zu den am dünnsten besiedelten Länder der Erde gehört, bekomme ich in der Rush Hour Schweißausbrüche, da ich für meine 3 Euro-Gurke geschlagene 25 Minuten an der Supermarktkasse anstehen muss (ich glaube, fast alle Erwerbstaetigen des Landes haben die selben Arbeits- und Pausenzeiten!). Und der Plastikverbrauch bzw. der Umgang mit Ressourcen in dieser Stadt, wohlgemerkt in einem sogenannten “Entwicklungsland“, würde jedem halbwegs ökologisch-nachhaltig denkenden Mensch die Tränen in die Auge steigen lassen (die Blicke der Supermarktangestellten wenn wir ihnen mehrmals versichern, dass wir für unsere Einkäufe keine 20 Plastiktüten benötigen, sind auch unbezahlbar. “Take the plastic bag you stupid white men woman, it´s for free“!). Ganz zu Schweigen vom hektischen Gehupe nach Feierabend, wenn Taxis und fette Vans die Hauptschlagader der Stadt, die Independance Avenue verstopfen und Windhoek eine Stunde lang in New Yorker Verkehrschaosverhältnisse verwandeln. So “typisch afrikanisch“ (Achtung, Single Story und Stereotypisierung!) scheint Windhoek also im ersten Moment erstmal nicht zu sein.
Da wir Kulturweitler aber auf der ständigen Suche der “Ich bin ja so krass weit weg von Zuhause“-Erfahrung sind, haben wir uns an diesem zweiten Wochenende für einen kleinen Ausflug fernab des beinah westlichen Windhoeks entschieden. Am Freitagnachmittag setzten Bertha, Dana, Markus und ich uns mit einer guten Portion Spannung, Vorfreude aber irgendwie auch Respekt ins Taxi Richtung Greenwell, einem Vorort von Windhoek. Als wir mit dem Taxifahrer unseres Vertrauens, Peter, die circa 30-minütige Fahrt zum Waisenhaus angetreten sind, veränderte sich unsere Umwelt mit jedem gefahrenen Kilometer. Die Straßen wurden löchriger und die Straßenschilder verschwanden. Silberne Wellblechhütten tauchten vor den Taxischeiben auf. Barbershops, Kioske, Bars, Carwashs und Copyshops reihten sich aneinander. Am Straßenrand verkauften Frauen und Kinder nicht identifizierbares Fleisch, Obst, Gemüse und andere Gegenstände für den täglichen Bedarf. Rhythmische Musik brummte aus den shebeens und untermalte das Szenario. Das Ganze erinnerte mich irgendwie an ein buntes Campingleben, da sich alles draußen abspielte. Kinder liefen barfuß durch die Straßen und spielten Ball während sich Erwachsene vor ihren Hütten unterhielten und fleischiges Essen zubereiteten. Diese fremde Welt, in der Armut an der Tagesordnung ist, hat mich ehrlich gesagt etwas eingeschüchtert. Die vielen Blicke (und Lächeln und Rufe!) haben meine Unsicherheit noch ein wenig mehr verstärkt. Und obwohl wir mit locals unterwegs waren, kam ich mir zeitweise wie ein verlorener Alien vor, der durch einen marsähnlichen Mikrokosmus wandert und diesen möglicherweise auch ein wenig stört (?). Irgendwie schwankte meine Stimmung wie ein Pendel abwechselnd zwischen Neugierde/Freude und Respekt/Überforderung hin und her.

„Blick auf eine Wellblechsiedlung in Katutura. Der Ort entstand ab 1959 als Vorstadt von Windhoek, hierher wurde die schwarze Bevölkerung zwangsumgesiedelt. Nach der herrschenden Apartheidspolitik sollte Windhoek eine „weiße“ Stadt werden. Übersetzt bedeutet Katutura: „Der Ort, an dem wir nicht leben wollen“.“ | © Christian Bobst http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-11/namibia-prostitution-windhoek-priester-fs/seite-2
Wir wurden von Adelia, einer der Leiterin des Waisenheims* an einer vereinbarten Stelle abgeholt. Was sich dann in den nächsten Stunden abgespielte waren wohl so ziemlich die intensivsten, schönsten und rührensten Momente meiner kurzen namibischen Zeit. Die Kids (zwischen 3 Monaten und 17 Jahren alt) beobachteten uns zunächst noch etwas zurückhaltend als wir (natürlich auch etwas eingeschüchtert) die Einrichtung betraten. Als aber die ersten kleinen Hände nach uns griffen, war das Eis sekundenschnell gebrochen. Gefühlt 20 Kids stürzten auf uns etwas überforderte Aliens ein, wollten gleichzeitig auf unseren Schoß, unsere Haare frisieren und sowieso alles anfassen und ausprobieren, was mit uns in ihre kleine Welt gelangt war. Ich war trotz der traurigen Umstände ziemlich begeistert, wie aufgedreht, interessiert aber auch schon richtig gewitzt und klug diese kleinen süßen Jungs und Mädels waren. Die Idee, meine Jonglierbälle mit ins Heim zu bringen, erwies sich als ein absoluter Volltreffer. Die Kinder freuten sich so dermaßen über die bunten Bälle, das teilweise Streitigkeiten zwischen ihnen darüber ausbrach. (Ich bin sehr dankbar darüber, dass die Bälle diesen Ausflug überlebt haben 😉 ) Der Höhepunkt unseres Besuchs war für mich dann der Moment, als ich für einige Minuten Gift, ein drei Monate altes Baby in den Armen hielt. In das Gesicht dieses kleinen Jungen zu schauen, der von seiner Mutter in einem Bus hinterlassen wurde, hat mich zutiefst berührt und traurig gemacht. Glücklicherweise wurden meine trüben Gedanken bald vom Schreien der Kids unterbrochen („Where are you from? How old are you? Will you come back? Sophia, can you lift me up pleeeease??“). Nach gefühlten drei Stunden (wahrscheinlich waren es gerade mal anderthalb) im Hope Village machten Dana, Markus, Bertha und ich uns mit unseren vom Fangenspielen, Hochheben und Huckepack-Tragen durchnässten T-Shirts wieder auf den Heimweg in das im Gegensatz zu Greenwell so sicher und behütet-überschaulich wirkende Windhoek. Wir haben uns fest vorgenommen, öfter in das Heim zu fahren um dann den ausgelasteten Leiterinnen und Leitern mit Aufgaben im Haushalt oder der Kinderversorgung unter die Arme zu greifen. Abgesehen von dieser schönen Aufgabe finde ich die Vororte Windhoeks (ich möchte eigentlich ungerne von Slums sprechen wegen seiner negativen Konnotation) mit seinen ungewöhnlichen Menschen und belebten bunten Straßen sehr viel sympathischer und aufregender als die seltsame Hauptstadt.
Da ich in dem Heim und in Katutura selbst keine Bilder gemacht habe (ich wollte das Image des weißen europäischen 0815-Touris nicht noch durch die Anwesenheit einer penetranten Kamera verstärken) zeige ich euch einfach ein paar schöne Aufnahmen vom letzten Sonntag, als wir (Dana, Jason, Markus und ich) in Windhoeks Umgebung wandern waren.
Viel Liebe,
Eure Sophia
* In dem Heim „Hope Village“ befinden sich vier Häuser, die aufgeteilt nach Geschlecht und Alter ungefähr 60 Kinder versorgen, die keine Eltern mehr haben.

























