24 Stunden Freiheit

Was es bedeutet, ohne Elektrizität und Wasser zu leben, habe ich vergangenes Wochenende am eigenen Leib miterlebt. Auch was es heißt, morgens um 7 Uhr mit dem krähenden Hahn aufzustehen um diesen dann auch gleich im Anschluss verspeisen zu müssen dürfen.

Bevor ich in den Flieger nach Deutschland steige hieß es für mich ein letztes mal: einmal namibische Wildnis bitte. Los gings am Freitag mit einem Shuttle, der in Katutura abfuhr. Mit von der Partie sind meine allerliebste Bertha sowie ihre Schwester, ihre beiden Kinder (Baby Markus und Antonio) und noch zwei andere verwandte Kiddies.

Im Minibus ist es heiß und stickig, es sollen laut Schild nur 15 Leute hier Platz finden, ich zähle aber über 20 Passagiere. Ich werde angestarrt, bin die einzige Weiße im Bus. Ich verstehe das System hinter diesen Shuttle noch nicht so ganz. Anscheinend warten die Fahrer so lange, bis es sich rentiert, loszufahren. Es gibt keinen Fahrplan und irgendwie scheint auch niemand so recht zu wissen, wie unsere Reiseroute genau aussieht. In regelmäßigen Abständen von 10 Minuten fragt mich der Fahrer nach Geld. Zuerst für den Sitzplatz, dann für meinen Rucksack, später will er nochmal 50 namibische Dollar haben. Ich bin ein wenig überfordert, rücke das Geld stumm raus. Ein Verkäufer bittet mich am Straßenrand, ihn mitzunehmen. Auch er wolle aus Windhoek raus, auch er wolle ein Abenteuer erleben. Sorry dude, I am broke. – Und das ist nicht mal eine Ausrede.

Der Shuttle rollt nach einer Stunde des zähen Wartens endlich los Richtung Rundu, knapp 800 km entfernt von Windhoek. Dort wollen wir bei Verwandten von Bertha in dem village namens Sanbyu bleiben. Ich erwarte den Kulturschock meines Lebens. Unser Gepäck wird lieblos auf den Anhänger geschmissen, zum Glück befestigt durch ein altes Netz. Sonst hätte ich mich wahrscheinlich schon vor Beginn der Reise von meinem Hab und Gut verabschieden können.

Auf meinem Schoß sitzen zwei kids, ich klebe förmlich an der verdreckten Fensterscheibe unseres Shuttles. Macht nichts, ich genieße ein letztes Mal die Aussicht auf Namibias unendliche Weiten. Ich habe diesen Anblick gefühlt 50 Mal gesehen, trotzdem komme ich immer wieder ins Träumen.  Der Himmel schien noch nie so intensiv blau, die Berge nie so wunderschön wie heute. Bald schon werde ich all dies eintauschen müssen gegen saftig grüne Wiesen, viel Verkehr und große Menschenmassen. Namibia, du wirst mir fehlen.


Acht Stunden und viele ungesunde Zwischenmahlzeiten später erreichen wir Rundu. Das Kleinstädtchen hat  60.000 Einwohner und liegt unweit der angolischen Grenze. Da es schon nach 22 Uhr ist, entscheiden wir uns, heute bei dem Cousin von Bertha zu übernachten. Sanbyu ist nochmal eine knappe Stunde entfernt und um diese Uhrzeit würden wir keinen Shuttle mehr finden.

Das Haus von Cousin JAY-Z liegt in einer dorfähnlichen Gegend. Es ist für namibische Verhältnisse ziemlich luxuriös ausgestattet. Im Wohnzimmer begrüßen uns mehrere Freunde, sie schauen sich angolanische Musikvideos an. Die Überbleibsel der portugiesischen Vergangenheit Angolas sind klar spür bzw. hörbar.  Ich bin unglaublich dankbar, als wir gegen Mitternacht endlich im Zimmer friedlich einschlafen können. Die Fahrt war lange und heiß und eng. Wie heißt es doch? In Africa we share. Ich quetsche mich mit Bertha und den restlichen Kiddies auf zwei Matratzen.


Am nächsten Tag wollen wir eigentlich schon in der Früh ins village fahren. Irgendein Friseurbesuch und ein großer Einkauf kommen dem Plan jedoch in die Quere. Dass Pläne hier öfter mal scheitern, daran habe ich mich längst gewöhnt. Es bedeutet jedoch nicht, dass ich mich nicht noch ein wenig darüber ärgere, dass einer meiner letzten Urlaubstage hier teilweise vergeudet wird.  Endlich ist das Auto von Jay-Z bis oben voll gepackt, mit genug Essen, Wasser und Windeln für Baby Markus. Berthas Schwester Angela warnt mich lachend: It´s the villlage Sophia. There is absolutely nothing! 

Nach einer Stunde Autofahrt erreichen wir endlich unser Ziel. Kaum steigen wir aus, kommen uns auch schon eine handvoll lachender Kinder und eine ältere Dame in traditionellem Gewand und Kopftuch entgegen. Bevor ich mich überhaupt vorstellen kann, wird mir mein Rucksack schon aus der Hand gerissen. Strahlende Gesichter überall, leider verstehe ich von der Sprache (die ebenfalls sanbyu heißt) nichts. Zum Glück gibt’s ja noch die international einheitliche Körpersprache. Umarmen kommt in Namibia eh immer gut an.

Los geht’s, wir stapfen immer weiter in die trockene Steppenlandschaft. Es ist grässlich heiß hier, die Sonne bruzzelt erbarmungslos auf meine Haut nieder. Mein Rucksack wird von Analia auf dem Kopf getragen. Wir passieren erste Lehmhütten, Esel und Kühe. Kinder spielen im Schatten der Bäume. Zugegebenermaßen bin ich jetzt schon etwas überfordert mit der ganzen Situation: ich verstehe die Sprache der Menschen hier nicht, errege zudem durch mein Aussehen extrem viel Aufmerksamkeit. Die Kinder sind zum Teil eingeschüchtert von mir, ich frage mich, ob und wann sie jemals einen weißen Menschen gesehen haben.

IMG_9306

Als wir die zwei einsamen Hütten der Familie erreichen, wird mir zur Begrüßung eine orangenartige Frucht in die Hand gedrückt. Die Älteste im Dorf heißt Runguro und sie hat sie extra für mich gesucht uns bereits geöffnet. Die olivengroßen orangenen Stückchen der Frucht lutscht man um sie anschließend auf den Boden zu spucken. Sie schmecken erstaunlich süß und erfrischend. Runguro freut sich offensichtlich über meinen Besuch.  Immer und immer wieder tanzt sie für mich (was ich beeindruckend finde für ihr Alter) und hältmeine Hände, sie redet auf mich ein und blickt mich herausfordernd und mit strahlenden Augen an. Bertha und Angela übersetzen für mich: Sie dankt Gott, dass ich den langen Weg in ihr village gefunden habe.

Wir lagern unser Gepäck in einer der Lehmhütten ab, nur zwei Matratzen befinden sich in den 8 Quadratmetern. Anschließend nehmen mich die Kinder bei den Händen, einige von ihnen Sprechen ein paar Brocken Englisch. “Lets go  fishing to the river!!“ Im Fluss fangen wir sogar ein paar kleine Fischchen mit einem alten Fischernetz, ich bin ein bisschen stolz. Die Jungs und Mädels haben ihren Spaß mit mir, anscheinend stelle ich mich ein bisschen tollpatschig an bei meinem ersten Fischfangversuchen. Wir lachen alle zusammen und trotz meiner augenscheinlichen Andersartigkeit fühle ich mich herzlich aufgenommen und akzeptiert hier.


Am Abend wird es schnell stockdunkel. Zwei Kerzen erleuchten unsere Lehmhütte, ansonsten wird im Schein des Feuers gekocht. Es gibt Chicken und Pap mit Kohl. Mittlerweile eine Delikatesse für mich. Wir sitzen mit Kindern aus den benachbarten villages gemeinsam am Feuer und wärmen uns auf. Ranguri bringt alle zum Lachen, da sie ununterbrochen fragt, wo den unsere (also Berthas und mein) Ehemänner seien.  Diese sollten schleunigst kommen, um Geld für die nächste Kuh zu bringen. Außerdem werde ich gefragt, ob ich nicht zwei Ziegen kaufen möchte. Eine würde nur 200 namibische Dollar kosten. Ich zögere kurz.

Es ist ein wunderschöner Abend trotz Verständigungs- und Verständnislücken. Ich lerne, welche Rolle Religion, Ehe und das Feuer (als ich gedankenlos meinen Fuß auf einem Stück Holz ablege, wird mir schleunigst davon abgeraten. Das Feuer habe zu viel Energie und würde auf meinen Körper übergehen) in der Kultur der Kavango spielt.

Erschöpft schlafen Bertha und ich in der Hütte ein, die Nacht zählt nicht zu den komfortabelsten (kalt und hart!) aber vielleicht zu den aufregendsten meines Lebens.

Am nächsten Tag ist der Zauber dieser wunderbaren Parallelwelt leider schon wieder vorbei. Wir müssen wieder in die harte, schnelllebige Konsumwelt zurückkehren. Zum Abschied spuckt mir die Ranguro auf die Hände und beträufelt mich mit einer ölartigen Substanz. Sie soll mich vor den bösen Geistern beschützen. Wie Bertha und ich wieder nach Windhoek gelangen, ist noch nicht so genau geplant. Wieder einmal stellt sich heraus, dass alles schon irgendwie klappen wird (wir winken einen Pick-up Truck am Straßenrand an und werden auf der Ladefläche bis nach Rundu mitgenommen).

10 Busstunden später (der Bus kam aus Zimbabwe und war schon 3 Tage unterwegs. Es roch ziemlich stark nach Schweiß und Müll.) liege ich dankbar und nachdenklich in meinem weichen Bett. Dankbar über diesen unvergesslichen Ausflug in eine Welt, wo Reichtum nicht an Geld sondern an Land und Vieh gemessen wird. In ein Stückchen Erde, wo die Einwohner im friedlichen Einklang mit Tier und Natur leben. Wo Familientradition und Aberglaube den Alltag bestimmen (man darf beispielsweise niemals mit dem Kopf in Flussrichtung schlafen. Aus Respekt vor dem Fluss).

Vielleicht war dies mein intensivstes und einprägsamstes Reiseerlebnis in Namibia. Ich habe mich wahrscheinlich (sowohl physisch als auch mental) noch nie so weit weg gefühlt von meinem bekannten sozialen Umfeld. Umso erstaunter bin ich im Nachhinein darüber, dass ich mich so schnell wohl gefühlt habe. Nach ein paar Tagen in Sanbyu wäre es vielleicht normal geworden, sich im Fluss zu waschen und ohne Elektrizität auszukommen. Die friedlichen und strahlenden Gesichter der Kinder haben sich für lange Zeit in mein Gedächtnis eingebrannt. Viele von ihnen werden ihre villages vielleicht nie verlassen. Immer und immer wieder frage ich mich, wie das so ist. Aufzuwachsen in einer Welt ohne Smartphone, Facebook, Laptop, TV, Zeitung, Radio. Ohne Auto, Kühlschrank und Dusche. Ich kann es mir nicht vorstellen.

Dankbar bin ich an diesem Sonntagabend nicht nur für diesen Perspektivenwechsel sondern auch für eine ausgiebige Dusche und ein Stück Seife.  Diesen Luxus möchte ich bei aller Liebe zur Natur nicht missen.

IMG_9319

Auf dem Weg zum Fluss.


IMG_9419

IMG_9354

IMG_9413

IMG_9342IMG_9312

IMG_9339

IMG_9423

IMG_9410

IMG_9334

IMG_9315

 

Kommentare sind geschlossen.

Zur Werkzeugleiste springen