On top of the world oder: 6 Tage Kapstadt

Wenn ich unterwegs bin, neue Länder und Städte bereise, dann entwickele ich unbewusst eine eigenartige Routine: Das automatische Abscannen nach Bekanntem. Ich schaue aus dem Fenster und sehe die ersten Landschaften und Gebäude und mir schießt es durch den Kopf : „Das sieht hier doch so aus wie in (beliebige Stadt einfügen).“ Nur ein irrsinniger Kurzschluss meines Hirns, dass damit den  Versuch unternimmt, Neues in Altbekanntes einzureihen. Dadurch fällt es mir vielleicht leichter, Unbekanntes und Fremdes besser zu verstehen.


Als ich vorige Woche mit Susa schlappe 22 Stunden mit dem Bus von Windhoek nach Kapstadt fuhr, schossen mir ebendiese Gedanken durch den Kopf. Als ich noch recht zerknittert von einer eher schlaflosen Nacht die kolonialen Prachthäuser mit ihren gepflegten Vorgärten erblicke, muss ich mich zunächst daran erinnern, dass ich mich noch immer auf dem afrikanischen Kontinent befinde. Und NICHT in einer europäischen oder amerikanischen Vorstadt. Die Straßen sind hier breiter, die Autos neuer, die Gebäude strahlen in Meister Proper- Weiß. Ich habe in meiner Zeit in Windhoek sogar vergessen, dass Autobahnen normalerweise von Leitplanken begrenzt werden. Little Europe am südlichsten Zipfel Afrikas.

Der erste Südafrikaner (eigentlich ist er Jamaicaner, lebt aber seit langer Zeit in Capetown), mit dem ich mich unterhalte ist unser Taxifahrer. Keuchend hievt er unsere für 6 Tage viel zu schweren Backpacks in seinen Kofferraum und berichtet von den hotspots der Stadt. Auch hält er es scheinbar für eine sehr interessante Information für uns german girls, dass er sich mit seinen Freunden mit „Nigger“ begrüßt (allein das Abtippen dieses Unwortes erscheint falsch).  Susa und ich sind höchst verunsichert und verwirrt, den Taxifahrer scheint es zu amüsieren.


Die nächsten 5 Tage gestalten sich entspannt, ereignisreich und stehen in einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen kulturellen Freizeitaktivitäten und kulinarischen Köstlichkeiten. Das Partyleben wird auch hier nicht zu kurz kommen. Wir kommen in den Genuss der etlichen Möglichkeiten und Angeboten einer Großstadt und genießen jedes dieser Highlights vielleicht noch intensiver, da wir Windhoek mit seiner recht spartanischen Kulturlandschaft praktisch auf Entzug leben. Für mich als  Fomo (für alle Unwissenden: Fomo steht für „Fear of missing out“ und trifft den Nerv meiner Generation wohl ganz gut) ist das Überangebot in jeder Metropole jedes mal eine schiere Herausforderung: ja nichts verpassen wollen. Das vegetarische Essen beim Äthiopier auf der Long Street, DER Party- und Shoppingmeile mit vielen Hipster-Boutiquen, kleinen schnieken Buchläden und fair trade- coffee shops schmeckt viel zu köstlich. Ich hätte die doppelte Menge des säuerlich schmeckenden Injerabrots und den farbenfrohen Gemüseportionen verschlingen können. Der namibisch-kulinarische Evergreen Pap (Maismehlpampe) mit Kapana (gegrillte Rindstücke) befriedigt auf Dauer meine Geschmacksknospen nur mittelmäßig.

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Unsere Unterkunft ist das Ashanti Backpackers Hostel. Es liegt am Fuße der berühmten Tafelberge und nur einen Katzensprung von der berüchtigten Long Street entfernt. Das Inventar des Hostels ist hipster-öko-modern. Die Dielen des Altbaus knarren, als wir von der langen Busfahrt schwitzend die Treppen hochstampfen. Ich mag diese Hostels.  Und man kann mit 100 prozentiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, in diesen kleinen internationalen Kosmen interessante Backpackers aus der ganzen Welt kennen zu lernen. Eines Abends unterhalten wir uns beim dinner in der Hostelküche mit einem überambitionierten Taiwanese namens Cho-Cho (ich habe nicht die geringste Ahnung, ob sein Name tatsächlich so geschrieben wird), der anderthalb Jahren mit seinem Drahtesel von Taiwan nach Kapstadt gefahren ist. Das muss man erst mal sickern lassen. 18 Monate mit dem Fahrrad. Alleine. Um die halbe Welt. Dabei hat er 26 Länder durchquert. Google Maps sagt mir, dass es „keine Fahrradroute“ für diesen Weg gibt, als ich die Entfernung zwischen den beiden Ländern nachschauen möchte. Ich frage Cho-Cho, was seine Motivation war. „I wanted to do something crazy before I get married!“. Soso. Na, wenn das mal nicht hypercrazy ist.


Kapstadt gefällt mir von Anfang an ziemlich gut. Ich bewundere die fetten weißen Mansions, die sich an der Küste entlang schlengeln. Muskulöse Sportfanatiker stählern ihre Adoniskörper am Strand. Die weitläufigen, weißen und zugegebenermaßen recht ansehnlichen Werbeprospekt- Strände erinnern mich an kalifornische Beaches.  Alles in dieser Stadt ist ein Stück cleaner, anonymer, westlicher. Und trotzdem ist Kapstadt eine afrikanische Hauptstadt, weshalb ich mich dennoch (oder gerade deswegen?) ein wenig fremd fühle. Das, was ich bis jetzt von dem afrikanischen Kontinent kennen lernen durfte, widerspricht meinem ersten Eindruck in dieser Stadt. Auf der einen Seite genieße ich die Freiheit und Anonymität, die Kapstadt bereithält.  Als weißes blondes Mädel klinkst du dich mit deinem Aussehen nahtlos ins Stadtbild ein. Wir tauchen ab in den internationalen Strom der Großstadt, passen uns seinem Tempo an. Mir fällt nach einigen Tagen auf, dass sich mein Schritttempo der Schnelllebigkeit dieser Stadt anpasst.

Auf der anderen Seite empfinde ich die ultrahippen Bars mit stylishen, gut aussehenden Vollbartmenschen (und natürlich elektronischen Musik), veganen Organic Food Markets und generell die gesamte Bandbreite der kulturellen Angebote als eine Wiederholung von  Metropolen, in denen ich unterwegs war. Die diversen Facetten zwischen den einzelnen Großstädten kann ich natürlich nicht leugnen. Istanbul ist nicht gleich New York. Wäre ja auch verdammt lahm. Aber die Gemeinsamkeiten nehme ich bei jeder weiteren Großstadt bewusster wahr.


Was mich an Kapstadt dann doch überrascht und traurig stimmt: die Koexistenz von den reichen und ärmsten Einwohnern. In Namibia ist das Zusammenprallen dieser beiden sozialen Schichten schon gewaltig. In Kapstadt wird diese soziale Schieflage noch um Längen überstiegen: an einem Tag beobachte ich Kinder (barfuss, sie können höchstens 8 oder 9 gewesen sein), wie sie die Wartezeit einer roten Ampel nutzen, um die Fahrer eines verdunkelten Porsches um Geld zu fragen. Ihre Bitten werden ignoriert. Auch Susa und ich werden häufig von Kindern angebettelt. In diesen Situationen bin ich restlos überfordert. Ignorieren und Wegschauen ist für mich keine Option, sehe aber auch die Gefahr des Drogenmissbrauchs dieser kids, den ich mit meiner Spende eventuell unterstütze. Eines Abends, als wir pappsatt von indischem Essen Richtung Hostel schlendern fragt mich ein kleiner Junge, ob ich ihm etwas zu essen kaufe. Er erzählt uns von seiner Familie, mit der er für 50 Rand (knapp 4 Euro) im Monat in einem Obdachlosenheim wohnt. Ich kaufe ihm eine Packung Kellog´s an der nächsten Tankstelle. Als der Junge mit der überdimensional großen Cornflakespackung glücklich davonflitzt, fühle ich mich leer und hilflos.


Mein ultimatives Highlight in Kapstadt sind die riesigen Tafelberge und der Anblick des tiefblauen Atlantiks. Beides bettet sich mitten in die Stadt ein. An einem Tag besteigen wir hochmotiviert den Table Mountain. Eine schweißtreibende Angelegenheit. Ich hatte die naive Vorstellung, dass es sich um einen gemütlichen Trampelpfad bis zur Spitze des Berges handeln würde. Recht schnell stellt sich heraus, dass ich die gesamte Muskelkraft meiner Beine einsetzen muss, um die 600 Höhenmeter bis zum Gipfel bewältigen zu können. Die komfortable Seilbahn wäre die entspannte Alternative gewesen. Nach 2 Stunden erreichen wir die Spitze und werden mit einem atemberaubenden Anblick belohnt. Ich bekomme Gänsehaut, so einzigartig ist diese Aussicht. Vorüberziehende Wolken vernebeln teilweise Sicht auf die Stadt.  „On Top of the World“ von den Imagine Dragons schallt in meinem Kopf.

‘Cause I’m on top of the world, ‘ay
I’m on top of the world, ‘ay
Waiting on this for a while now
Paying my dues to the dirt
I’ve been waiting to smile, ‘ay
Been holding it in for a while, ‘ay
Take you with me if I can
Been dreaming of this since a child
I’m on top of the world.

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Die 6 Tage in dieser großen, aufregenden und schönen Stadt gehen viel zu schnell vorüber. Liegt wahrscheinlich an den vielen spannenden Freizeitaktivitäten, die wir in Kapstadt unternehmen. Dazu zählen ein Wine Tasting (ein must-do für alle Weinliebhaber wie mich 😉 ) und einer Fahrradtour an den Kap der Guten Hoffnung, die wohl zur windigsten und deswegen auch anstrengendsten Radtour in meinem Leben zählt. Wer glaubt, dass in Kapstadt keine exotischen Tiere leben, dem sei gesagt: wir haben Strauße, Pinguine und  Bamboons gesehen 🙂

Mit dem Radl zum Kap der guten Hoffnung.

Gerne hätte ich noch das Gefängnis auf Robben Island besucht, wo Nelson Mandela jahrzehntelang eingesperrt war. Oder noch mehr leckeres indisches Naanbrot im Eastern Food Bazar verschlungen. Den Marimbaspieler an der Waterfront zugehört oder einfach nur still das bunte Treiben dieser Großstadt beobachtet.

Als wir im Bus Richtung Namibia sitzen, steigt überraschenderweise Freude in mir auf. Vorfreude auf diese seltsame Stadt Windhoek, jene Stadt, die mir anfangs so fremd war und mittlerweile meine neue Heimat geworden ist. Eine Stadt, die ich jetzt als schön bezeichne. Wo mich alltägliche Begegnungen mit Menschen und Freunden immer noch überfordern und zum Staunen bringen. Wo vieles so vibrierend anders ist als in Europa oder dem westlichen Teil der Welt. Währenddessen versuche ich (vergebens), den nagenden Gedanken meiner baldigen Abreise zu verdrängen. Außerdem möchte ich regelmäßiger bloggen. Die letzten 7 Wochen sind gezählt!

Bunte Häuser im Viertel Bo-Kaap.

Bunte Häuser im Viertel Bo-Kaap.

... und noch mehr schöne bunte Häuser

Kapstadt im Nebel.

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Viel Grün im botanischen Garten.

Viel Grün im botanischen Garten.

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Den Unterschied zwischen den Weinen, ich erkenne ihn sofort.

Den Unterschied zwischen den Weinen, ich erkenne ihn sofort.

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