Local is lekker oder: Me, I like Windhoek

 

Ich habs ja schon angekündigt, jetzt ist es so weit: mein erster Blogeintrag über den alltäglichen Wahnsinn meines namibischen Lebens soll euch heute erreichen und hoffentlich auch neugierig machen. Mit ehrfürchtigem Blick auf den Kalender wird mir schlagartig bewusst, dass ich hier bald Bergfest feiern kann. In einer Woche geht’s zum Zwischenseminar auf eine Farm außerhalb Windhoeks. Höchste Zeit, die bisherigen Monate zu reflektieren. Ich warne alle Leser: dieser Blogeintrag ist ein in besonderer Weise subjektiv eingefärbter Text. Er spiegelt meine Meinung und meine Eindrücke wider aber beansprucht in keiner Weise, die Dinge hier so wiederzugeben, wie sie “tatsächlich“ sind (inwiefern dies in einem persönlichen Blog möglich ist, ist mir sowieso ein Rätsel).

Vielleicht beginne ich am besten bei meiner Arbeit. Man könnte leicht annehmen, ich sei immer nur am Reisen und am Land und Leute entdecken aber eigentlich habe ich hier auch einen (wenn auch nicht eintönigen) Alltag.

Seit über zwei Monaten mache ich jetzt schon ein Praktikum im Ministry of Education. Ich habe mich eingelebt, fühle mich mittlerweile als vollwertiges Mitglied der Natcom. Ich kümmere mich um unterschiedliche Aufgaben, sie alle zu erwähnen, würde womöglich den Rahmen hier sprengen. Eventuell folgt bald mal ein gesonderter Eintrag über die NatCom. Grob gesagt kümmere ich mich um social media relations, bald aber soll ich auch in anderen Kultureinrichtungen wie dem Nationaltheater oder dem National Hertiage Council hospitieren. Darauf freue ich mich schon sehr, ich liebe Abwechslung und neue Erfahrungen. Am Spannendsten bei meiner Arbeit ist vielleicht garnicht mal die Tätigkeit an sich sondern der tiefe Einblick in die informellen Beziehungen zwischen den Kolleginnen und Kollegen, in die namibische (Bildungs-) Kultur. Auf diese Weise komme ich dem Land und den Leuten irgendwie noch ein Stückchen näher, auch wenn ich mich manchmal dabei ertappe, gewisse „das Problem ließe sich auf die Weise XY eigentlich effizienter lösen „ – Gedanken zu haben.

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Das Ministry of Education, mein derzeitiger Arbeitsplatz.

Aber back to the topic: also Arbeit super, Kollegen noch toller. Ich habe einige Sicherheitsvorkehrungen dabei unbewusst adaptiert. Wie selbstverständlich schließe ich beispielsweise mein Office immer ab, auch wenn ich nur schnell mal auf die Toilette muss. Vor Dieben muss man sich leider auch hier in Acht nehmen. Ansonsten kommen öfter mal Damen vorbei, die kleine Süssigkeiten, fat cakes (frittierte Teigbällchen) oder frisches Obst verkaufen. Sehr praktisch, so muss man nicht extra vors Gebäude rennen um sich für 20 Cent eine leckere Banane zu kaufen.

An die Sicherheitslage hier habe ich mich glaube ich generell schon ganz gut gewöhnt. Auch wenn ich schon in der ein oder anderen unbequemen Situation war, bin ich rückblickend betrachtet sehr gelassen geworden. Natürlich fehlt mir meine Freiheit, einfach nachts alleine durch die Straßen laufen zu können, ohne Angst vor potentiellen Übergriffen zu haben. Oder die Haustür offen stehen zu lassen, wenn man sich eben sein Abendbrot in der Küche zubereitet. Geht hier halt nicht, dafür gibt es andere, viel tollere Dinge, die mein Leben hier bereichern. Dazu zählen:

  • Knallblauer Himmel, Sonne, 27 Grad. Kein Frieren, tagtäglich. Sonnenuntergänge, die jeden Abend anders aussehen und mich faszinieren.
  • Gelassenheit. Runterfahren. Ich habe mich daran gewöhnt, VIEL und überall warten zu müssen. An den Supermarktkassen, auf ein Taxi, auf einen wichtigen Anruf. Mit der Zeit aber entwickelt man eine Gelassenheit demgegenüber, und dann kann man auch beim Warten spannende Geschichten erleben.
  • Taxifahren für umgerechnet 80 Cent. Dabei zu lauter afrikanische Musik singen und gut gelaunte, chaotische- beinah suizidale Fahrer kennenlernen. Unterhaltungen mit interessanten Mitfahrern. Ab und an auch eine Gratis-Stadtrundfahrt.
  • Offenheit und Freundlichkeit: hier bleibt man selten unter sich. Dauernd lernt man neue Leute kennen, wird zum Braai eingeladen. Leute interessieren sich für dich, fragen wie es dir geht (und es fühlt sich nicht so floskelmässig an wie in den USA). Wie schön es ist, einfach mal ein kleines Lächeln im Alltag zu bekommen.
  • Teilen: Essen, Glück, Freude. Zum Beispiel mit unseren Nachbarn. Wir kochen und essen sehr oft gemeinsam. Selma zeigte uns neulich erst, wie man ein Huhn zerlegt und über dem offenen Feuer kocht (s. Bilder). Ich habe klitzekleine noch unfertige Eier aus dem Inneren des Huhns gegessen, wo sich noch gar keine Schale gebildet hatte. Das war vielleicht strange.
  • Dankbarkeit. Ich war schon so oft erstaunt darüber, welche Dankbarkeit viele meiner Freunde/Arbeitskollegen/ Bekannten hier an den Tag legen. Gedankt wird vor allem Gott für Essen, ein Dach über dem Kopf oder für die Familie. Hier wird übrigens auch vor jedem UNESCO-Meeting gebetet. Mein Chef war früher als Pfarrer aktiv.
  • Musik! Tanzen! Ich habe hier meine Leidenschaft fürs Musikhören und Musikmachen (ab und zu mach ich ein bisschen Pseudotrommeln mit unseren Nachbarn) (wieder?) entdeckt. Die Abende verbringen wir eigentlich immer mit guter afrikanischer Musik und Bier beim Sonnenuntergang. Dazu gesellen sich die Jungs und Mädels des Nachbarhauses. Außerdem lerne ich ein paar coole afrikanische Dancemoves in der african dance class.
  • CARPE DIEM. Was für ein fader Kalenderspruch. Aber es stimmt nun mal. Ich genieße hier jeden einzelnen Tag (oder versuche dies zumindest), jede Bekanntschaft mit neuen Gesichtern und bin offen für alles (sogar tote Würmer). Dinge bewusst wahrnehmen und Momente verinnerlichen. So viel kulturelle Abwechslung und Andersartigkeit ist Balsam für die Seele (und Sprit fürs Hirn).

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Was ich in meiner jetzigen Zeit vielleicht am meisten gelernt habe und was mir auch zeigt, dass sich dieser Kulturaustausch, um den es sich bei kulturweit schließlich handelt, jetzt schon gelohnt hat ist die Offenheit gegenüber dem Anderen. Das hört sich jetzt recht bewerbungsmappenmäßig an, und vielleicht hatte ich vor meinem Aufenthalt hier auch nie die Essenz dieser Phrase (vollständig) verstanden. Oder ich habe von mir geglaubt, ich sei WELTOFFEN und TOLERANT. Aber wie kann man sich mit diesen Attributen schmücken, wenn man sich sein Leben lang in westlich geprägten Kreisen bewegt hat, wo die Mitmenschen ebenfalls dieselben Werte und Ansichten teilen? Wo man sich mit seinem Umfeld (mehr oder weniger) identifiziert ? Ich denke, dass erst die alltägliche Konfrontation mit Menschen, die nicht in einem westlichen Land (oder besser: im globalen Norden) aufgewachsen und sozialisiert sind erst dazu führt, dass man seine eigenen Werte oder kulturelle Prägungen hinterfragt. Oder zumindest mal darüber nachdenkt. Bei mir sind diese beispielsweise: Welchen Bezug haben wir im globalen Norden eigentlich zur Natur und zu dem Übermaß an Essen, was wir uns tagtäglich reinschaufeln? Welcher Wert hat eigentlich das Teilen in einer Welt, wo sich jeder immer nur um sich selbst kreist? Was es bedeutet, in einer Gemeinschaft aufzuwachsen, begreife ich hier. In Namibia ist es selbstverständlich, dass das neugeborene Baby vom Bruder oder der Schwester aufgezogen wird. Schlichtweg, weil es an einem anderen Ort näher zur Schule wohnt oder die Verwandtschaft über mehr finanzielle Ressourcen verfügt. Um es vielleicht zu veranschaulichen zitiere ich meine liebe Bertha die neulich bekundetet “Its not only my sister that got a Baby. It means that I got a Baby as well“. Sharing is Caring. Natürlich existieren hier auch Umstände, die mich manchmal verärgern oder irritieren. Wie beispielsweise das patriarchale Selbstverständnis des Mannes in der Gesellschaft und Familie. Oder der Umgang mit Homosexualität und anderen Hautfarben in der Öffentlichkeit. Aber auch aus diesen konfliktgeladenen Situationen kann man (beziehungsweise Frau) nur lernen.

Ich blicke auf eine höchst interessante, abwechslungsreiche, intensive und manchmal auch ambivalente erste Hälfte meines Auslandsaufenthaltes in Namibia zurück. Und dass ich dankbar dafür bin, dies alles hier miterleben zu dürfen, habt ihr mittlerweile ja bestimmt schon mitbekommen 🙂

Was passiert in den kommenden Monaten? Es erwarten mich noch einige spannende Reisen (am Wochenende geht’s erstmal an die Spitzkoppe und an den Brandberg), ein Oshivambo-Sprachkurs, ein bisschen Popogewackel in der Danceclass. Aber am meisten freue ich mich auf noch mehr Austausch mit den Menschen hier. Die verschiedenen Völker und Sprachen noch besser kennen zu lernen, ihre Art, zu leben und Essen zuzubereiten.

Eure Sophia

(Ein Großteil der folgenden Bildern stammen von crazy André, sie ist ein größeres Fotografiertalent als ich 😉 ).

Und jetzt ein Auszug aus meinem Alltagsleben in Namibia:

 

Home sweet Home.

Home sweet Home.

Selma ist passionierte Fleischesserin. Sie kommt ursprünglich aus dem Norden des Landes und beeindruckt mich immer wieder mit ihren Kochskills.

Dieses Huhn musste dran glauben. Selma hat es in Katutura gekauft und dann für uns schmackhaft zubereitet. Panda hat sogar die Füße gegessen.

Frühstücksritual am Wochenende. Sonnenschein und Glücklichsein (selbst der Kater ist es).

Kus-Kus, unser schmusebedürftiger Hauskater. Hat sogar schon sein eigenes Zimmer in unserem Haus okkupiert.

Kus-Kus, unser schmusebedürftiger Hauskater. Hat sogar schon sein eigenes Zimmer in unserem Haus okkupiert.

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Relikt aus der deutschen Kolonialzeit. Die 1907-1910 errichtete Christuskirche, mitten im Zentrum Windhoeks.

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Chicken und Pap (maisähnlicher Brai der ein wenig nach garnichts schmeckt) gelten als traditionelles Gericht in Namibia. Gegessen wird mit den Händen.

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„Mopane-Raupen (…) sind die haarigen Raupen des Mopanefalters (Gonimbrasia belina), die die Einheimischen als Snack nutzen. Die Mopane-Raupen haben dreimal so viel Proteingehalt wie Rindfleisch. Sie ernähren sich von dem Laub der Mopanebäume und können diese innerhalb weniger Wochen völlig kahl fressen.“ http://www.az.com.na/tourismus/land-und-leute/namibische-spezialitten-im-berblick.152580.php

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Der Beweis: ich habe sie gegessen. Hat Überwindung gekostet. Die Konsistenz ist sonderbar, geschmacklich erinnern mich die Würmer an salzige Chips.

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Sonnenuntergang in Katutura.

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Zum Joggen an den Avis Dam. Keine 10 km vom Zentrum Windhoeks entfernt befindet sich dieses idyllische Plätzchen.

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Laut-buntes Treiben auf dem Single Quaters Market in Katutura. Neben Mopanewürmern, eisgekühlten Getränken und frisch zubereitetem Salat kann man hier köstliches Kapanafleisch direkt vom Grill essen. Ein Muss für jeden Fleischliebhaber.

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Diese Momente wirken oft so surreal. Sonnenuntergang an einem Damm in Katutura. (Credit to André)

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