Ich laufe ein Wettrennen gegen die Zeit, tagtäglich. Nachdem ich meinen Arbeitsplatz im Ministry of Education nahe meines grünen Hauses gegen 17 Uhr verlasse erfolgt fast automatisch der kritische Blick in Richtung Sonne. Wie hoch steht sie? Wie lange noch wird sie Windhoek in rötlich-warmes Licht tauchen? Werde ich noch genügend Zeit haben, um einkaufen zu gehen? Wird es noch hell sein, um zum Bankautomaten zu sputen, die 10 Dollar Pauschale abzuheben und dem Taxifahrer in die Hand zu drücken, damit er mich von A nach B bringt? Manchmal nutze ich meinen Daumen und halte ihn zwischen Sonne und Horizont um eine realistische Vorstellung von der verbliebenen Zeit zu bekommen- eine Methode, die sich aber ziemlich schnell als nutzlos rausstellte.
Die Gedanken über Sicherheitsvorkehrungen sind seit meiner Ankunft vor einer guten Woche in Windhoek an der Tagesordnung. Sie sind aber auch wichtig, denn nach Einbruch der Dunkelheit wirkt Windhoek wie ausgestorben, es trauen sich nur noch einige wenige auf die sporadisch beleuchteten Straßen (deren Namen wie “Bahnhofstreet“ oder “Goethe-Straße“ mich immer wieder aufs Neue verwirren).
Mit dem Sicherheitsgefühl ist das hier so eine Sache. Ich hatte mich natürlich bei meinen intensiven Vorbereitungen und Recherchen bereits mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass ich mich von meinem europäischen Sicherheits-Luxus-Dasein in Windhoek verabschieden werden müsste. Aber tatsächlich lernt man erst in der jeweiligen Situation vor Ort, wie man mit dieser Einschränkung umgeht. Momentan jedenfalls befinde ich mich noch in der Phase des beobachtenden Chamäleons. Unterschiedliche Menschen raten einem sehr unterschiedliche Dinge, einige sehen die Sicherheitslage eher gelassen (vor allem meine namibischen Kollegen und Kolleginnen im Ministry), andere wiederum verbreiten vor allem unter uns Neuankömmlingen Schreckensszenarien.
Abgesehen von dieser doch schon sehr großen Einschränkung am Abend (es ist nicht die einzige Einschränkung hier, auch der Zugang zum Internet stellt sich als ein kleiner Kampf heraus) geht es mir ziemlich gut. Ich tanke mehr Sonne, als ich es wahrscheinlich jemals in meinem Leben vorher getan habe und genieße beim Abendessen den wunderschönen Sonnenuntergang hinter “meinem“ Haus. Dabei durfte ich schon das ein oder andere interessante Gespräch mit meinem 12-jährigen Nachbar Pandu über das Reisen generell und über das Phänomen Schnee führen. Auch auf der Arbeit wurde ich mit breiten Armen (und Gastgeschenken! Und Empfangsessen!) empfangen. Gleich am ersten Tag begrüßte mich mein Chef mit einem warmen „We are all a big family here, and you are part of this family now“. Strahlende Gesichter überall.
Darüber hinaus habe ich große Glück, mit locals zusammen arbeiten zu dürfen (von denen viele auch in meinem Alter sind). Ein Privileg, dass ich zu schätzen beginne. Ich glaube, dass man einen anderen Blickwinkel auf das Leben hier bekommt und von wertvollen Insidertipps bezüglich einheimisches Essen oder Ausflugszielen profitieren kann. Meine beiden Arbeitskolleginnen haben mich beispielsweise schon in die Musikkultur ihrer Kirche eingeweiht oder mir die unterschiedlichen englischen Akzente von Namibiern, Angolanern oder Kenianern näher gebracht. (Wichtige Anmerkung: natürlich sind auch die Deutschnamibier locals und kennen sich sehr gut mit der namibischen Kultur aus. Aber mir war eben das Eintauchen in eine Kultur fernab der deutschen wichtig. Inwiefern die Deutschnamibier hier ihre deutsche und namibische Kulturen ausleben und vermischen, ist eine andere spannende Frage. Mein erster Eindruck ist jedoch, dass viele Deutschnamibier vor allem in ihren deutschen Enklaven leben und sich ein wenig verschanzen).
In den ersten Tagen war das unbequeme Gefühl der Fremdheit dennoch sehr dominant– als einzige Weiße in einem riesigen Ministerium alle Blicke auf sich zu ziehen und die vielen indigenen Sprachen darüber hinaus nicht mal im Ansatz zu verstehen (die wohl für mich außergewöhnlichste Sprache hier nennt man in Europa umgangssprachlich „Klicksprache“. Es handelt sich um die Damara-Nama Sprache, die sonderbare Umlaute und Vokale produziert und mich jedes mal wieder zum Staunen bringt. Wen´s interessiert: http://de.wikipedia.org/wiki/Khoekhoegowab ). Diese Umstände erweckten anfangs doch sehr gemischte Gefühle in mir.
Aber mittlerweile macht mir der Austausch mit meinen Kollegen und Kolleginnen (sowie dem restlichen Völkchen Windhoeks) von Tag zu Tag mehr Spaß. Ich habe schon jetzt viele viele interessante Menschen und Geschichten kennen gelernt und gehört, sodass ich große Lust bekomme, diese aufzuschreiben und mit anderen zu teilen. Deshalb laufe ich wie ein kleiner Schwamm durch Windhoek, und versuche, meine neue Umwelt aufzusagen und daraus zu lernen. Und ja- mein zieht als Weiße in Winhoeks Straßen viele Blicke auf sich, auch das ist ein Umstand, der mich extrem überrascht hat.
Andere Alltäglichkeiten machen mich wiederum nachdenklich. Die extremen sozialen Unterschiede beispielsweise. Wieso lebe ich als Freiwillige alleine in einer geschätzt 80 qm großen Wohnung während die dreiköpfige Nachbarsfamilie in einem kleinen Garagenhäuschen ohne Zugang zu Wasser wohnt? Die namibischen Gehälter sind so gering, dass ich als Freiwillige mit einem Einkommen (dessen Höhe vergleichbar ist mit der eines Minjobs in Deutschland) nahezu zu den Bestverdienern des Landes gehöre (ich versuche gerade, das Durchschnittseinkommen eines Namibiers heraus zu finden, was aber garnicht mal als so einfach ist- ich versuche, dies nachzutragen).
Wie ihr merkt, sind meine Gedankengänge unstrukturiert und diffus aber vielleicht spiegeln sie auch ganz gut meine Eindrücke dieser ersten ziemlich intensiven Woche wieder. Oder es liegt an der absoluten Overdosis namibischer Sonne, die Markus, Dana und ich gestern im Schwimmbad getankt haben (mein Gesicht glüht heute noch, dank meiner lieben Kollegen und Kolleginnen weiß ich auch, dass ich aussehen muss wie eine halbverbrannte Mohrrübe 😀 ).
Ich verweise an dieser Stelle auf Danas Blog, da sie sehr schön und etwas übersichtlicher über unser Wochenende berichtet hat.
Einige Fotos meines ersten namibischen Wochenendes (u.a. vom Independance Day und dem Besuch des College of the Arts) möchte ich natürlich dennoch nicht vorenthalten:

25 Jahre Unabhängigkeit in Namibia: ein Grund zum feiern! Hier stehen Kinder an, um sich die in Plastikboxen abgepackten Essensrationen abzuholen.











1 Kommentar