Sprachlosigkeit

Der Unterricht wurde in der letzten Woche an einigen Tagen gekürzt. Die Stunden waren also nicht mehr 45 Minuten lang, sondern haben nur eine halbe Stunde gedauert. Dementsprechend endete die Schule bereits um halb zwei, nicht erst um viertel nach drei. Der Grund: Es war unglaublich kalt im Gebäude. Wahrscheinlich denkt sich jetzt mindestens die Hälfte der Leser: Ja wieso machen die denn dann nicht einfach die Heizung an? Tja, das ist hier nicht so einfach. Für die Heizung gelten besondere Richtlinien, wie ich erfahren habe. (Ob die von der Landesregierung oder von der Stadt festgesetzt werden, weiß ich nicht genau.)

Meine Kaffeepausenlieblingslehrerinnen haben mir folgendes erklärt: Die Heizung wird erst angeschalten, nachdem die Temperatur für mehrere Tage unter einen bestimmten Wert fällt. Sie waren sich selbst nicht mehr ganz sicher, ob damit fünf oder zehn Grad gemeint waren. Aber wahrscheinlich muss es kälter als fünf Grad sein, denn die Temperatur war bereits seit einiger Zeit in den einstelligen Bereich gesunken. Die andere Möglichkeit, die es noch gab, wieso die Heizung noch ausgeschalten war, obwohl es schon lange kalt war: Es war einfach noch nicht Zeit fürs Heizen. Die Heizungen werden scheinbar auch erst generell ab dem 15. Oktober freigeschalten, so dass es womöglich auch egal ist, wie warm oder kalt es vorher ist. So ganz verstanden habe ich nur, dass es verdammt kalt ist und man hier nicht selbst entscheiden kann, ob man es gerne warm hätte oder nicht. Das ist übrigens nicht nur in der Schule so, auch in den Mietshäusern. Da ich aber in einem Privathaus wohne, habe ich dieses Problem nicht – hier gibt es schon seit es kalt geworden ist, eine Heizung die man einfach aufdrehen kann.

Letzten Freitag war ich wieder einmal in Lviv, einer Stadt, die wirklich einen Besuch wert ist. Nicht nur, weil sie als kulturelles Zentrum der Westukraine gilt. Es ist dort einfach unglaublich wunderschön! Zahlreiche kleinere oder größere Cafés, viele Kirchen und ein Gebäude ist dabei schöner als das andere. Unterwegs war ich dort mit meiner Gastfamilie, die den landesweiten Feiertag mit einem Ausflug verbinden und mir bei einer Erkundungstour zu Fuß verschiedene Geschichten zur Stadt erzählen wollte. Mit von der Partie war auch meine Betreuerin, die bei kleineren Verständigungsschwierigkeiten meines redseligen und liebenswürdigen Gastvaters ausgeholfen hat. Wie immer kam auch die Schlemmerei absolut nicht zu kurz. Die Sonne strahlte mit unseren Gesichtern um die Wette.


Der Rest des Wochenendes war ziemlich langweilig und für mich persönlich sehr deprimierend. Meine Gastschwester besuchte eine Freundin, ihre Mutter war ebenfalls unterwegs. So verbrachte ich eben die meiste Zeit daheim. Für einen kleinen Spaziergang am Samstagnachmittag konnte ich mich trotz schlechtem Wetter begeistern. Der Sonntag verlief ähnlich wie der Samstag. Ich fragte meine Gastschwester, ob wir etwas gemeinsam unternehmen wollten. Doch leider hatte sie dafür zuerst keine Lust und dann keine Zeit.

Umso mehr freute ich mich also auf den Montag und dass die Schule wieder losging. Nachdem ich am Montag ein motivierendes Gespräch mit meinem Papa hatte, verlief auch der Rest der Woche besser als das Wochenende. Ich raffte mich auf, Dinge zu tun, die ich davor lange vor mir hergeschoben habe. Endlich begann ich wieder einmal ein Buch zu lesen, überwand mich, meinen inneren Schweinehund zu bekämpfen und bin joggen gegangen. Das war ein ziemlich gutes Gefühl.

Der Mangel an Kommunikation bei meiner Gastfamilie ist für mich trotzdem schwierig. Das Unterhalten mit mir wird teilweise bewusst abgelehnt, selbst wenn ich versuche, dazu zu ermutigen, doch einfach nur mit mir zu Sprechen.

Es ist kein Heimweh. Für jemanden, bei dem schon im Zeugnis „mitteilungsbedürftig“ stand, ist es nur einfach schlimm, sich nicht unterhalten zu können. Mehr oder weniger bewusst von etwas ausgeschlossen zu sein. Ich bin trotz der vermeintlich unbequemen Lage in der ich mich gerade befinde, aber wirklich dankbar. Dafür, eine solche Möglichkeit überhaupt zu haben. Dafür, eine neue Kultur kennenzulernen. Dafür, meine Komfortzone tausende Kilometer hinter mir zu lassen. Das hier ist nämlich definitiv außerhalb meiner Komfortzone. Und die endet laut kulturweit am Tellerrand. Über den schaue ich gerade meilenweit hinaus, erfüllt mit Spannung was das Leben mir diesmal beibringen möchte…

Nur wenn du deine Grenzen suchst, kannst du deine Stärken finden.