Der Text ist bereits einen Monat alt, aber die Veröffentlichung wird hiermit nachgeholt ;).
10:31 Uhr. Wir schreiben den 11. April 2015, es ist ein ganz normaler Samstagmorgen in Lettland. Es ist davon auszugehen, dass es wie an nahezu jedem einzelnen Tag in der vergangenen Woche regnen wird. Dass man sich, wie an nahezu jedem einzelnen Tag in der vergangenen Woche auf dem Weg in die Stadt eine Dusche einfangen wird, weil die Autos mit gefühlten 100km/h durch die Pfützen am Straßenrand rasen. Ich stehe dennoch auf: wichtige Entscheidungen stehen an, ein Verschlafen kann ich mir nicht erlauben. Ich ziehe die Vorhänge zur Seite, mich erwartet doch garantiert das übliche Grau eines April in den nördlicheren Breiten dieser Welt. Doch, halt, was ist das? Ist das die Sonne? Sieht die so aus? Blauer Himmel? Das ist doch blau?! Wie ging blau noch mal?!
Schnell ziehe ich die Vorhänge wieder zu. Bloß nicht von einem plötzlichen Wetterumschwung aus dem Konzept bringen lassen, Dinge sind zu erledigen. Ich frühstücke. Dabei der obligatorische Blick aufs Smartphone: Die Wetterapp behauptet, draußen seien 19 Grad. Ich breche in Lachen aus. Klar. 19 Grad. Sonne. In Lettland. Im April. Ich gehe raus, durch die Stadt, setze mich an den Fluss. Entscheidungen treffen kann man schließlich auch in der Sonne. Jeansjacke aus, es ist viel zu warm und doch gerade warm genug. Die Wetterapp lag richtig, die Welt ist eine andere heute.
So schön die ersten Vorboten des Sommers auch sind, sie verdeutlichen mir eines: Mein Jahr hier neigt sich dem Ende zu. Es bleiben noch exakt drei Monate und drei Wochen bis zu meinem Rückflug nach Deutschland. Lange war nicht klar, wohin es mich dann treiben wird. Bleibe ich in Deutschland? Werde ich wieder in einer WG leben oder mir eine eigene Wohnung suchen? Ziehe ich nach Kiel, nach Hamburg, nach Bonn, nach Berlin? Und hey, was mache ich jetzt eigentlich mit dem freien Leben außerhalb des Gefängnisses, dass wir gemeinhin Uni nennen und dass sich nun, im Nachhinein, vielleicht als das Paradies herausstellen wird? Meinen Masterabschluss habe ich quasi in der Tasche, nur das Zeugnis muss noch gedruckt werden. Fakt ist: Irgendwie wird es im Sommer weiter gehen.
Es ist Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Immerhin wollte ich das Jahr hier dazu nutzen, nachzudenken, Pläne zu schmieden, eine Entscheidung zu treffen. Doch wie wir alle wissen, ist jede Entscheidung gleichfalls auch ein Massenmord an Möglichkeiten. Es ist lange nicht gesagt, dass wir immer bekommen, was wir uns wünschen. Und gibt es folgenschwerere Fragen als: Was möchte ich eigentlich mit meinem Leben machen? Normalerweise halte ich es hier mit Marina Keegan:
„What we have to remember is that we can still do anything. We can change our minds. We can start over. Get a post-bac or try writing for the first time. The notion that it’s too late to do anything is comical. It’s hilarious. We’re graduating college. We’re so young. We can’t, we MUST not lose this sense of possibility because in the end, it’s all we have.“
(http://yaledailynews.com/crosscampus/2012/05/27/keegan-the-opposite-of-loneliness/)
Dennoch muss jedes Abenteuer irgendwo seinen Anfang nehmen. Du musst einen Schritt machen und sehen, was passiert. Nehmen, was kommt. Ausprobieren, was sich ergibt. Chancen ergreifen. Nur noch drei Monate. Ich blicke auf die Daugava und begreife: Etwas muss passieren. Zeit, einen neuen Anfang zu wagen. Ich weiß ungewohnterweise genau, was ich will – und immer wollte. Ich treffe eine Entscheidung. Ob es mehr ein Neuanfang oder eine Rückkehr wird, vermag ich nicht zu sagen. Sicher ist nur: Der Sommer wird kommen und ich bin bereit.
Die Entscheidung ist ein Massenmord an Möglichkeiten, da hast du recht. Aber gleichzeitig auch ein Nest voller neuer Hoffnungen und Möglichkeiten, die sich mit der Zeit entwickeln. Ich freue mich auf dich im August, Weinabend steht noch!?
Kluge Worte, meine Liebe! Selbstverständlich steht unser Weinabend, wir haben schließlich ein Jahr lang darauf gewartet ;). Ich freue mich, dich wiederzusehen und auszutauschen, wie es uns in der Ferne ergangen ist. Ach und natürlich: Regnerische Grüße aus Riga
….und immer wolltest. DAS kann ich wohl nur bestätigen
Ich freue mich auf Deine Rückkehr und unser erstes geimeinsames Glas Weißwein „zurück“ in Deinem neuen Leben 