Warum „Zuhause“ keine Ortsangabe ist

Blick auf die orthodoxe Kirche

Blick auf die orthodoxe Kirche

In diesen Tagen klicke ich mich durch meine Facebook-Timeline und andere kulturweit-Blogs, immer auf der Suche nach Neuigkeiten, Events, interessanten Gedanken und Ideen. Dabei stelle ich überrascht fest: Es ist Halbzeit! Die ersten Freiwilligen, die mit mir ausgereist sind, sind bereits zurück in Deutschland, haben sogar ihr Nachbereitungsseminar hinter sich. Das macht mir Angst. Vor genau einem halben Jahr saß auch ich noch in einer Jugendherberge in Brandenburg, mitten im Wald, fernab von jeglicher Zivilisation, und habe darüber nachgedacht, was mir das Jahr in Lettland wohl bringen wird. Was ich sehen und lernen, welche Menschen ich kennenlernen und welche Erfahrungen ich machen werde. Es ist Halbzeit. Inzwischen bin ich 25 und habe mein Studium beendet. Das ist doch der Punkt im Leben, an dem man ganz genau wissen sollte, wohin die Reise geht. Man wird nicht mehr erwachsen, man sollte es sein. Man wird nicht mehr, man fängt an, etwas zu sein. Ich aber habe das Gefühl, noch ein ganzes Stück wachsen zu wollen, bevor es „nach Hause“ geht.

Blick auf die Daugava

Blick auf die Daugava

Nach Hause. Wo ist Zuhause? Diese Frage stelle ich mir, seit ich meine Koffer in Kiel gepackt und mein WG-Zimmer dort endgültig aufgelöst habe. Es gibt ihn nicht, diesen ominösen Ort, an den ich zurückkehren werde, nach dem ich Heimweh haben könnte – alles ist völlig offen und das ist gut so. Ich bin froh, nicht bereits wieder auf gepackten Koffern zu sitzen, nicht bereits wieder die nächste Übergangslösung, das nächste Übergangszuhause, die nächste Zwischenstation auf dem Weg zu dem einen Ort, den es vermutlich gar nicht gibt, suchen zu müssen. Es ist vermutlich eher das eine Gefühl, das ich suche: das Gefühl, angekommen zu sein. Nun aber merke ich, dass das wenig mit einem bestimmten Ort zu tun hat und schon gar nicht mit einer hübschen kleinen, eigenen Wohnung mit Balkon, Parkblick und einer Tür zum Zumachen, wenn der Alltag nervt. Das ist zwar nett, aber nicht mehr länger mein Verständnis von Zuhause.

Feels like paradise...

Feels like paradise…

Zuhause ist für mich im vergangenen halben Jahr zu etwas Flüchtigem geworden, einem flüchtigen Gefühl, einem zweiten Eindruck, einer guten Zeit mit tollen Menschen. Zuhause ist neuerdings die Freiheit, überall zu Hause sein zu können. Sich auf Neues einzulassen, neue Orte, neue Arbeit, neue Menschen, immer und immer wieder. Natürlich werde ich wohl nicht endlos umherziehen und ein Vagabundinnenleben führen. Ich werde nach Deutschland zurückkehren, mir einen Ort und einen Job suchen, möglichst in der Nähe meiner Lieblingsmenschen. Aber es hat sich etwas verändert: Ich lebe viel mehr in dem Bewusstsein, dass „Zuhause“ keine Orts- und „für immer“ keine Zeitangabe ist. Dass eine Adresse nichts über einen Menschen aussagt und ein Klingelschild nichts über ein Zuhause. Dass es Dinge gibt, die nicht davon abhängig sind wo und was du bist, sondern nur davon, wer und wie du bist. Dass die wichtigen Dinge und die richtigen Menschen Teil deines Lebens bleiben, egal, wo und was und wie erfolgreich du bist.

Ein Gedanke zu „Warum „Zuhause“ keine Ortsangabe ist

  1. Genau das denke ich auch. Das hast du sehr schön ausgedrückt. Eine Sache kommt bei mir noch hinzu: Ich könnte irgendwo im Ozean oder in der Wüste verloren sein. Solange Lars bei mir ist, bin ich selbst dort „zu Hause“. Er ersetzt für mich jegliches Gefühl für zu Hause. Wenn er aber nicht wäre, wäre mein Zuhause bei meinen Eltern. Ms ist nur irgendein Ort für mich…
    Ich weiß, das klingt total kitschig romantisch, ist aber Tatsache. Ich verbinde „zu Hause“ nicht mit Orten.

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