„Nothing breaks your heart
You’re fireproof“
Diese Textzeile aus dem Song „Fireproof“ der US-amerikanischen Indie-Band „The National“ ist mir in den letzten Tagen oft durch den Kopf gegangen. Sie erinnert mich derzeit irgendwie an Lettland. Denn seit Tagen scheint sich Riga auf einen einzigen Tag, auf einen bestimmten Moment vorzubereiten: den 18. November.
Am 18. November 1918, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, wurde die Unabhängigkeit Lettlands ausgerufen. Was sich für deutsche Augen vielleicht noch selbstverständlich liest, ist für das kleine Land im Baltikum etwas Besonderes: Vom 13. Jahrhundert an wurde es von immer wieder anderen Gruppen erobert, von Deutschland, Polen, Schweden, Russland. Auf die Proklamation der Unabhängigkeit folgte allerdings kein friedliches Miteinander, sondern zunächst einmal ein Krieg – bis die Sowjetunion die Unabhängigkeit Lettlands 1920 schließlich anerkannte.
Dieses Ereignis, oft auch als die „Geburt der Republik Lettland“ bezeichnet, wird ausgiebig gefeiert. Während es am 3. Oktober in Deutschland oft eher beschaulich zugeht, vielleicht noch mal die Ansprache des Bundespräsidenten im Fernsehen verfolgt wird, so scheint zumindest hier in Riga die halbe Stadt auf den Beinen zu sein: Schon Tage zuvor werden Flaggen gehisst – an nahezu jedem Geschäft, an den Straßenbahnen, an den Bussen, an allen wichtigen Gebäuden und Straßenzügen.
Bereits am 11. November steht Lāčplēsis an: Lettland feiert hier allerdings nicht das Ende des Ersten Weltkrieges, sondern eine siegreiche Schlacht im lettischen Unabhängigkeitskrieg 1919. Ich hätte den Tag fast verpasst, ich saß nämlich bis 18.30 Uhr im Büro. Glücklicherweise aber liegt das Informationszentrum des DAAD direkt in der Rigenser Altstadt. Als ich also langsam Feierabend machte, das Büro abschloss, die vier Stockwerke bis zum Ausgang bewältigte und die Tür aufstieß, wunderte ich mich sehr. Normalerweise würde ich jetzt zu meiner Rechten die Daugava erblicken, zu meiner Linken das wunderschöne Schwarzhäupterhaus, direkt vor mir das nicht ganz so schöne Okkupationsmuseum. Dieses Mal aber kamen mir unfassbar viele Menschen mit Kerzen in der Hand entgegen – sie waren auf dem Weg zum Fluss und auch zum Schloss, um den Soldaten von damals zu gedenken. Ich allerdings war nicht vorbereitet auf so viel Patriotismus und ging daher lieber nach Hause.
In den kommenden Tagen zeigte sich Riga noch einmal von seiner schönsten Seite: Das Lichterfest „Staro Rīga“, das in diesem Jahr schon zum sechsten Mal stattfand, sorgte dafür, dass Gebäude in der gesamten Altstadt und im Zentrum in allen nur erdenklichen Farben angestrahlt wurden und zahlreiche Lichtshows stattfanden. Unbeschreiblich kreativ und bunt – genau das Richtige gegen triste Novemberlaune!
Gestern aber war es dann so weit: 18. November. Mittlerweile hatte das Unabhängigkeitsfieber auch mich erwischt, ich war gespannt auf das, was mich da erwartete. Daher machte ich mich gegen Mittag gemeinsam mit meiner Mitbewohnerin auf in Richtung Daugava zur Militärparade. Währenddessen jedoch hatte ich ein eher mulmiges Gefühl. Marschmusik, Flaggen, Trommeln – geschenkt. Es waren andere Geräusche, die bei mir eine Gänsehaut verursachten: Das Dröhnen der Kampfhubschrauber und Düsenjets, das laute Rattern der Panzer. Mein Hauptgedanke während der Parade?
„Hoffentlich müssen wir diese Geräusche nie wieder in der Realität hören, hoffentlich werden wir unsere Werte und Ideale immer allein durch die Kraft der Worte verteidigen können. Hoffentlich wird all dies irgendwann überall nur noch Feierlichkeiten vorbehalten sein.“
Was es brauchte war nun also dringend ein schöneres Erlebnis, um diesen Unabhängigkeitstag in positiver Erinnerung zu behalten. Ich musste nicht lange warten: Am Abend folgte ein ebenso beeindruckend großes wie auch musikalisches Feuerwerk über der Daugava, neben welchem so manches Silvester doch eher wie ein Kindergeburtstag anmutet. Die schmalen Gassen der Altstadt waren voller Menschen – und niemand schien sich daran zu stören, niemand schien auch nur zu drängeln.
Alles in allem war dies eine Woche, die ich erst einmal sacken lassen muss, bevor ich wirklich sagen kann, was ich darüber denke. Dennoch möchte ich, da ich gerne hier lebe, dieser noch jungen Republik Lettland und meinen lettischen Freund_innen alles erdenklich Gute zum Unabhängigkeitstag wünschen: Daudz laimes Latvijas dzimšanas dienā!
Da hast du etwas angesprochen: Haben wir Deutschen nicht Jahrzehnte geweint und gejammert wegen der Mauer? Wie viele Menschen haben dort direkt an der Mauer ihr Leben gelassen? Wie sehr war die Politik dahinter, Deutschalnd wieder zu vereinen? Wenn man heute, über zwei Jahrzehnte später sich den 3. Okt. mal so anschaut, kann man nur enttäuscht sein: Optisch gleicht er „Allerheiligen“ oder „Buß- und Bettag“. Nichts ist los. Keine Feierlichkeit, keine gute Laune. Wo ist die ganze Freude über die Einigung geblieben? Ist uns das jetzt so sch*egal? Können Deutsche etwa nicht feiern? Oh doch: Rosenmontag und am 11.11. ist hier im Ruhrgebiet die Hölle los! Sogar an Weiberfastnacht wird ausgeflippt. Wie sieht das Ganze aus? Dämliche Verkleidung und besoffen schon um 10 Uhr morgens… Und wofür? Kaum einer weiß dabei, WARUM er sich betrinkt, WAS der Rosenmontag ist. Die Prioritäten (WAS ist zu feiern) und Wertschätzungen (WIE ist zu feiern) scheinen in diesem Lande etwas schief zu liegen… Ich freue mich, dass du eine lebhafte, würdige Feier in einem anderen europäischen Land miterleben konntest!