Es geht hoch hinaus, tief in die Berge: Leben in einem abgelegenen Hotel. Schornstein, Schnee, Schreibmaschine. Es könnte so romantisch sein, das Hotel an ein Schloss erinnern. Es könnte ein Märchen sein – und gleich käme Cinderella in der gläsernen Kutsche den Hang hinauf gefahren, um „Hallo“ zu sagen. Es könnte. Wäre da nicht die Einsamkeit. Wäre da nicht die Stille. Wäre da nicht des Wahnsinns hässliche Fratze, die sich immer wieder vor die Cinderella-Kulisse schiebt. Wäre da nicht der stetige Horror hinter der malerischen Landschaft. Ein Horror, der am nächsten Morgen vom Winde verweht zu sein scheint.
Falls ihr euch jetzt verwundert die Augen reibt und euch fragt, ob ich so langsam den Verstand verliere, kann ich euch beruhigen: Die Anspielung auf Shining und Cinderella hat einen Grund und den werde ich euch auch umgehend verraten ;).
Diese Woche stand nämlich eine DSD-Schulung an. DSD bedeutet so viel wie Deutsches Sprachdiplom und ist eine Sprachprüfung für Deutsch als Fremdsprache. Lettische SchülerInnen können diese Prüfung nach mehreren Jahren Deutschunterricht auch direkt in Lettland ablegen. Besagte Schulung fand nun allerdings nicht in Riga statt, sondern in einem alten Herrenhaus in der Nähe von Valmiera. Valmiera ist etwa 100km von Riga entfernt und hat ungefähr 27.000 EinwohnerInnen. Abstand vom Büroalltag war also angesagt. Zum Seminar selbst war ich eingeladen, da es auch eine Podiumsdiskussion zum Thema „Demographischer Wandel“ gab, bei der VertreterInnen aller Generationen zu Wort kommen sollten.
Nachdem wir, d.h. Sophie (die ich bisher immer nur ominös als andere kulturweit-Freiwillige in Riga bezeichnet habe ;), der kommissarische Leiter des Baltisch-Deutschen Hochschulkontors und ich, am Busbahnhof in Riga ankamen und auf Anhieb den richtigen Bus fanden, konnte meine erste kleine Reise in Lettland beginnen. 2,5 Stunden in einem alten Bus ohne Bordtoilette über holprige Straßen nach Valmiera ruckeln – das ist die eine Seite der Geschichte, die, die alle erwarten. Die andere Seite ist allerdings: Selbst dieser alte Bus war mit einem freien WLAN-Netz ausgestattet, die Sitze waren außerdem so bequem, dass ich umstandslos fehlenden Schlaf nachholen konnte. Etwas, das mir in Bussen sonst selten passiert.
Nachdem wir an einigen Baustellen warten mussten, kamen wir einigermaßen pünktlich in Valmiera an. Von dort aus haben wir uns ein Taxi nach Dikli genommen. Obgleich der Taxifahrer es mit dem Auf-die-Straße-sehen nicht allzu genau nahm, kamen wir schließlich erleichtert an unserem Ziel an: Diklu pils/ Dikli Palace Hotel. Ein 1826 gebautes Herrenhaus mitten in der Pampa, das heute ein 4-Sterne-Hotel beherbergt. Man könnte auch sagen „das Taxi fuhr vor“ und es wäre nicht übertrieben. Das Taxi war zwar keine Kutsche und alles andere als luxuriös-gläsern, dennoch fühlte ich mich sofort wohl.
Das Gelände um das Hotel herum ist einfach ein TRAUM (20 Hektar Park, Wald, Wasser), das Haus selbst unglaublich faszinierend. Bei Tageslicht betrachtet hatte die Kulisse etwas von einem Märchen – daher die Anspielung auf Cinderella. Als es jedoch dunkler wurde und anfing zu regnen, erinnerte mich die Szenerie auch an Shining. Einsames, verlassenes Hotel, weit entfernt von der nächsten Stadt…ich hatte direkt einige Geschichten im Kopf, die ich zu dieser Kulisse schreiben könnte. Ein Umstand, der mich auf unheimliche Art und Weise wieder an Shining erinnerte.
An dieser Stelle muss ich mich kurz fassen, sonst würde ich noch die halbe Nacht an diesem einen Text sitzen und darüber vergessen, dass noch ein Berg an Aufgaben auf mich wartet: Diese zwei halben Tage im Grünen waren ein schöner Kontrast zur Großstadt (die ich übrigens nach wie vor liebe!). Die Diskussion und auch der Rest, den ich von der Schulung mitbekommen habe, war sehr interessant, viele aufgeschlossene Menschen, die sich viele Gedanken über die Welt machen. Eine großartige Erfahrung, für die ich allen Beteiligten dankbar bin!