Partycrashing für Fortgeschrittene oder: Eine Woche Deutschland!

Eine Woche Deutschland erscheint mir schon jetzt irgendwie wieder unendlich fern. Die Zeit ist so verrast und zum Schluss hatte ich trotzdem nur die Hälfte von dem geschafft, was ich mir vorgenommen hatte. Und das Gefühl, mit jedem letztendlich nur halb so viel Zeit verbracht zu haben, wie es angemessen gewesen wäre nach achteinhalb Monaten meiner Abwesenheit. Und so viele Menschen gar nicht gesehen zu haben.

Anlass war die Silberhochzeit meiner Eltern. Die wussten übrigens nichts von ihrem Glück, bis ich unter einer Decke hervorsprang, unter der mich meine Schwester und Oma vorher versteckt hatten.


 

Aber von vorn. In Windhoek steige ich ins Flugzeug und bin überhaupt nicht aufgeregt. Grund ist nicht meine Gefühlskälte, sondern dass ich absolut null in der Lage bin, zu realisieren, dass ich jetzt nach Hause fliege. Nach Hause, dieser mysteriöse Ort, dessen Bedeutung sich in den letzten 9 Monaten so vielfältig gewandelt hat. Ich gucke im Flugzeug den kleinen Hobbit vorm einschlafen und denke eigentlich nur darüber nach, dass der Film tatsächlich ein einziges, recht langweiliges, Gemetzel ist. Ich schlafe ein und wache erst kurz vor der Landung in Frankfurt wieder auf. Das Flugzeug landet, ich steige aus – kalt hier – und laufe ins Terminal. Einige Stunden Aufenthalt habe ich, ich gehe zu Burger King, um mir einen Kaffee zu kaufen. „Good Morning, how are you?“ grüße ich den freundlichen Herren hinter der Kasse. Er grüßt freundlich zurück, dabei fällt mir auf, dass ich ja auch deutsch mit ihm sprechen könnte – „einen großen Kaffee bitte“, wünsche ich. Jetzt ist der Mann irritiert, und ich auch. Der Kaffee kommt, er wünscht mir einen schönen Tag. „Same for you!“ antworte ich mit meinem schönsten Lächeln und spaziere mit meinem Kaffee durchs Terminal. Alle Menschen sprechen Deutsch. Sie haben überwiegend eine weiße Hautfarbe, die Shops sind alle auf Deutsch beschriftet, maximal gibt es englische Untertitel auf den Speisekarten der Restaurants. Ich lege mich in der Lounge auf eine Liege und realisiere trotzdem noch nicht so wirklich, wo ich bin – in Deutschland.

Als ich ins nächste Flugzeug steige, ein Moment des Herzpochens: Der Pilot berlinert! JUTEN MORGEN, ICK BEGRÜßE SIE AN BOARD UNSRES AIRBERLINFLUGS….

Am Flughafen Tegel schließllich der Beweis: Ich bin in Deutschland!

Bundesrepublik!

Berlin! Denke ich. Berlin, mit seinen Dönerbuden und Falafelständen, der Spree und den hässlichen Betonhäusern, der U-Bahn und der Straßen und Sträßchen voller Cocktailbars und Restaurants. Eine Stunde später: Landung in ebendieser Stadt. Ewiges Warten aufs Gepäck. Dann: Einsteigen in den BVG-gelben Bus. Ein Kind plärrt. Die Berliner sind genervt, drehen die Augen und empören sich. Einer drückt nicht den Halteknopf, der Bus fährt an der Haltestelle vorbei, er beschwert sich lautstark und unfreundlich. Das ist Zuhause.


 

Ich schleiche unsere Straße entlang, rufe vom Park aus meine Schwester an. „Achso, sie finden es nicht? Sie müssen beim Griechen links abbiegen, am Park vorbei, und dann sehen Sie direkt ein Haus mit einer Schaukel im Vorgarten.“ Meine Familie soll bis zuletzt glauben, es handele sich um eine Überraschung ganz anderer Art. Ich laufe aufs Haus zu, jetzt bloß nicht im Garten einen Nachbarn treffen. Ich husche ins Haus, umarme Schwester und Oma, bloß kein Wort sprechen, kauere mich in unserem Wintergarten auf den Boden, eine Decke wird über mich gebreitet, meine Familie, die zuvor von der Etage verdammt wurde, wird gerufen. Ewig brauchen sie, um die Stufen ins Erdgeschoss hochzulaufen, wenn sie wüssten, dass ich hier unter der Decke sitze und zittere wie Espenlaub, würden sie sich bestimmt mehr beeilen. Ich höre ihre Stimmen, es kommt mir völlig surreal vor. Dann stehen sie neben mir, ich sitze unter der Decke, endlich wird ein Zipfel angehoben, dann bin ich raus, es gibt Schreie der Freude und Überraschung, alle haben ein bisschen Pipi in den Augen, alle schmeißen sich auf einmal auf mich, vor allem meine vier wunderbaren kleinen Schwestern, ich bin immer noch auf dem Boden, bis mir mein Papa irgendwann hoch hilft.


 

Berlin, Berlin. Du bist mir vertraut und doch irgendwie fremd. Alle Menschen hier gehen so eilig über die Straßen, Jakob zieht mich eilig in Richtung U-Bahnhof: Die Bahn kommt gleich, schnell! Ich bin verwirrt, warum ich um eine Bahn rennen sollte, geht nach fast neun Monaten in Windhoek gar nicht in meinen Kopf: In fünf Minuten kommt doch die nächste? Haben wir nicht Zeit, müssen wir uns jetzt wirklich stressen?

Ein andermal finde ich ums Verrecken die Bushaltestelle nicht. Ich laufe hier hin und dort hin und letztlich eine ganze U-Bahn-Station weiter, und finde sie einfach nicht. Etwas desorientiert bin ich, habe die Wege vergessen, die ich früher selbstverständlich gegangen bin. Doch ich gucke mit Faszination U-Bahn-TV.

Vertraut sind die kleinen Bäckereien, bei denen man sich einen Coffee to go und ein belegtes Vollkornbrötchen holen kann. Überhaupt esse ich die ganze Woche viel zu viel Vollkornbrötchen mit Käse, eine Gaumenfreude, in deren Genuss ich lange nicht mehr kam.

Der Besuch eines Alnatura-Supermarktes samt des Einkaufs von echter deutscher Bio-Kosmetik ohne Giftstoffe sowie von vegetarischem Brotaufstrich und grünem Tee aus echten Blättern treibt meinen Herzschlag in die Höhe.


 

Ich öffne meine Umzugskisten unter der Treppe und wühle warme Wollpullover und Strumpfosen für den namibischen Winter heraus, das ist wie Shopping ohne Geld ausgeben, man, habe ich da schöne Kleidung!

Einmal gehe ich auf dem Feld am Ende der Straße meiner Eltern joggen, der Raps blüht leuchtend goldgelb und bildet einen wunderschönen Kontrast zum strahlend blauen Himmel. Weil Berlin auf Meeresspiegel liegt, schaffe ich spontan zwei Kilometer mehr als in Windhoek, brauche dafür aber nur fünf Minuten länger, als sonst.


 

Ich schlafe eine Woche lang viel zu wenig, aber dafür verbringe ich so viel Zeit, wie irgend möglich mit Berlin, Famillie und geliebten Freunden, ich trinke echte Berliner Cocktails, gehe ins Kino, kaufe Essen in der Markthalle neun, fahre wieder Fahrrad, und esse verdammt noch mal noch mehr Vollkornbrötchen und Käse, Sojajoghurt und laktosefreien Quark.


 

Wir feiern die Silberhochzeit meiner Eltern, es ist ein großes fest mit vielen Besuchern, einem großen Buffet und göttlicher Straciatella-Käsekuchen-Torte. Ich werde viele kluge und einige sehr unüberlegte Fragen über Namibia gefragt und freue mich wie eine Schneekönigin, so viele Leute wiederzusehen, die sich wiederum alle so dermaßen freuen, mich zu sehen.


 

Am Freitag verschicke ich schnell noch meine Masterbewerbungen, und plötzlich ist Berlin vorbei, ich steige ins Flugzeug, und am nächsten Morgen bin ich wieder in Windhoek. Als ich im Taxi vom Flughafen in die Stadt sitze, geht die Sonne auf, der Himmel leuchtet und glüht, wie er das garantiert nur in einem Land der Welt tut: In Namibia. Die Stimmung ist unglaublich friedlich, ich bin unglaublich ruhig. Zuhause schlafe ich ein paar Stunden, dann mache ich mich auf den Weg zu Martha, um mit ihr zu frühstücken. Sonnenstrahlen wärmen meine Haut, nach dem Frühstück legen wir uns in die Parliament Gardens, faulenzen in der Sonne und lesen. Meine Vitamin-D-Speicher füllen sich nach eine Woche im wenn zwar nicht kalten, doch sehr bewölkten Berlin wieder auf.


 

Berlin, Berlin. Es war wunderschön. Was soll ich sagen? Hoffentlich kommt ganz bald die Zusage für meinen Lieblingsmasterplatz in meiner Lieblingsstadt.


 

P.S.: Während der ganzen Woche höre ich wahnsinnig oft dieses Lied, in meinem Kopf nur eine Zeile: Es ist alles wieder da, nur irgendwie anders.

Und es alles wieder da, so wie an dem Tag, so wie an dem Tag, und ich weiß wieder wie es war, aus der Ferne kommt Musik, ich glaub das Radio spielt. Doch es klingt irgendwie anders, irgendwie anders, es ist alles wieder da, nur irgendwie anders.

Oder auch: Die Unfähigkeit zu begreifen, dass man selbst sich so geändert hat, während daheim fast alles beim Alten geblieben ist.

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