Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust

Hach, jetzt kommt hier mal ein wirklich emotionaler Eintrag. Kennt ihr das auch? Diese Zerissenheit zwischen dem hier sein und dort sein, fort sein? Das Gefühl, die Welt entdecken zu wollen, um das Glück zu wissen, diese Chance zu haben, das Privileg darin zu sehen? Zu wissen: Jetzt ist meine Zeit, das kann mir keiner nehmen. Das mache ich für mich, das bringt mich weiter, hier lerne ich fürs Leben? Hier lerne ich nicht nur was über die Welt, hier lerne ich vor allem was – über mich? Wie reagiere ich in einer fremden Umgebung, in einer anderen Kultur, wo kann ich mich anpassen, wo scheitere ich, was kann ich ertragen und was ist mir zu viel? Vom Glück geküsst zu sein und gleichzeitig doch manchmal im Kopf auf der anderen Erdhalbkugel festhängen, zu Hause? Und was ist eigentlich zuhause wenn man nicht sagen kann ob man das zuhause mehr vermisst als man das hier und jetzt vermissen wird wenn man fort ist?

Zuhause hat für mich eine andere Dimension bekommen, seit ich hier bin. Bevor ich gefahren bin, war zuhause für mich ein Ort. Er erstreckte sich ziemlich genau auf Südberlin, das Haus meiner Eltern, mein kleines Zimmer im Studentenwohnheim, die Wohnung meiner besten Freundin, der Britzer Garten, Poetry-Slam-Bühnen, das Schwimmbad, die Uni, das Fitnessstudio, das Spreeufer, mein Fahrrad.

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust!

(Goethe – Faust.)

Mittlerweile weiß ich, zuhause ist kein Ort, zuhause ist ein Gefühl. Eigentlich gibt es in Windhoek weniger Orte, an denen ich das wirklich bin, zuhause. Vielleicht bin ich zuhause wenn ich morgens mein Frühstück auf dem von der Nacht noch angenehm kühlen Treppengeländer esse und auch wenn ich abends dort sitze und lese und die letzten Strahlen der Sonne beobachte bevor sie hinter den Hügeln des Umlandes versinkt. Vielleicht ist das Warehouse ein Stück von meinem Windhoeker zuhause und der Swimmingpool in Olympia, der Inder an den Trift Towers, das FNCC und das Goethezentrum, wo man so manchen abend verbringt.

Doch all diese Orte eben letztlich – Orte. Was ich hier mit voller Wucht gelernt habe und was mir zum ersten Mal hier bewusst beworden ist, ist das zuhause kein Ort ist, sondern: Menschen. Zuhause ist für mich wo ich Menschen habe die mich lieben, die mich in den Arm nehmen, mit denen ich reden kann und zu denen ich gehöre. Ich will ein Schaf nicht in einer, sondern in meiner Schafherde sein, ich brauche das.

Und so war der Januar recht trist, denn meine Menschen – die waren weg, jedenfalls die allermeisten. Ich habe alle sehr vermisst, die Wüstenschwestern, meine Frau Krause, Miss Kathi, und die anderen, mit denen ich Wochenende um Wochenende verbracht habe. Ich habe neue Kontakte geknüpft und viele Leute kennen gelernt und doch – Small Talk ist kein Zuhause. Ich war genervt von oberflächlichen Unterhaltungen, ich hatte keine Lust auf lockere Kontakte. Ich hatte Heimweh und habe oft an die Heimat gedacht. An meine Menschen. Ihr fehlt mir!

Und doch – natürlich gibt es hier noch so viel zu lernen, zu entdecken. Seit letzter Woche lerne ich Oshivambo, ich habe mich beim Fitness angemeldet und viele neue liebe Mitbewohner bevölkern meine WG und lassen eine Vorahnung von guten Zeiten und Hauspartys zu. Ich werde durch Südnamibia reisen und nach Kapstadt und ich freue mich so sehr auf all das.

Aber ich freue mich auch so sehr auf zuhause. Vielleicht ist das ein Zwispalt, dem man nie ganz entgeht. Vielleicht bleibt man für immer ein bisschen zerissen. Jedoch: Ich habe hier gelernt, wo ich herkomme, wo ich hingehöre, wo ich am liebsten sein will. Und auch das ist etwas wert, auch wenn es manchmal Heimweh gab.

 

Und die Vögel werden fliegen bis sie sicher sind
sie unter sich etwas spüren im kalten Wind
dass diese Gegend hier
ihr zuhause ist
für die nächste Zeit bis der Herbst anbricht
bis der Herbst anbricht

(Thees Uhlmann – Zugvögel)

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