Eine Weile habe ich überlegt, ob ich das jetzt auf meinem Blog erzählen soll. Es wurde ja viel über faire Berichterstattung geredet, über die allseits gefürchtete Single Story, die nur einen kleinen Aspekt eines Sachverhalts darstellt und dieser kleine Aspekt ist dann misslicher Weise das einzige, das andere Menschen jemals über diesen Sachverhalt gehört haben. Doch ich berichte auf diesem Blog von meinem Auslandsjahr und ich möchte dieses Bild authentisch zeichnen. Ich habe von meinen schönen Momenten berichtet, von den Ausflügen, von den lieben Menschen, auch von kleineren Schwierigkeiten, die man ebenso meistert.
Wer diesen Eintrag liest, macht sich bitte bewusst, dass es sich bei diesem Erlebnis um einen Ausschnitt von etwa fünf Minuten meines Lebens in Windhoek handelt. Es lässt keine Verallgemeinerungen auf „das Leben“ in „Windhoek“, „Namibia“ oder gar ganz „Afrika“ zu. Es ist mein Erlebnis und es gibt Leute die kommen hier und erleben nicht dasselbe.
Kürzlich ist mir passiert, was seit meiner Ankunft hier ein bisschen wie ein Damoklesschwert über meinem Auslandsaufenthalt schwebte. Der Duden erklärt diese Redewendung wie folgt: Obwohl eigentlich alles gut läuft, könnte trotzdem etwas Unangenehmes passieren . Und so war es eben auch bei mir. Alles lief gut, bis neulich.
Da wurde ich nach dem Einkaufen von einem Mann auf einer Treppe ans Geländer gedrängt. „Bring the money“. Im ersten Affekt habe ich zwar furchtbar impulsiv, aber nicht schlau gehandelt: Ich habe abartig losgeschrien, das war einfach der erste Reflex. Dann zog er sein Messer und bedrohte mich damit. „Bring the fucking money.“ Okay okay okay. Wenn jemand einen mit einem Messer bedroht, überlegt man sich das nicht zweimal. Also Jutebeutel geöffnet, Geld raus – er nahm tatsächlich nur die Scheine aus meinem Geldbeutel. Meinen ganzen Einkauf ließ er mir – der übrigens mehr wert gewesen wäre, als das Bargeld, das noch da war.
An dieser Stelle möchte ich betonen, dass es Menschen gibt, die Windhoek betreten und verlassen und nicht ausgeraubt werden. Es passiert nicht jedem. Meine Mitbewohnerin wurde zum Beispiel in Nizza in Europa ausgeraubt und meine Kollegin in Berlin. Und beide nicht hier.
Ich wurde auch nicht im Stich gelassen. Leute unten am Parkplatz wurden auf meine Situation aufmerksam und schrien ebenfalls los. Der Täter rannte weg, ein Mann kam die Treppe hochgerast um zu fragen, ob ich okay war. Dann riet er mir, schnell wegzulaufen. Das habe ich dann getan. Zu mir nach Hause sind es nur 3 Minuten. Es war zum Zeitpunkt des Überfalls weder Dunkel, noch waren die Straßen nicht belebt. Es ist am hellichten Tag passiert.
Natürlich stand ich unter Schock. Aber wirklich überrascht war ich nicht. Sobald ich das Messer gesehen hatte, hatte ich zwar abartige Panik. Gleichzeitig lief in meinem Kopf aber auch einfach ab: Das hast du schon 100 Mal gehört seit du hier bist. Gib ihm dein Geld, dann passiert dir nichts.
Was ich aus diesem Überfall mache? Erstmal, dass es völlig egal ist, ob ich mich einschüchtern lasse und im Dunkeln nur Taxi fahre oder zuhause bleibe oder nicht. Ich wurde am Tag überfallen, und ich kann mich schlichtweg tagsüber nicht einbuddeln.
Dass ich gerade wachsamer durch die Straßen gehe, mich mehr umdrehe, die Leute wieder mehr beobachte, wieder mehr über die Wege nachdenke, die ich einschlage – der Schreck sitzt mir noch in den Knochen.
Als ich in Windhoek ankam, hatte ich Angst. Alle haben mir erzählt, dass es hier gefährlich ist. Dann ist mir eine ganze Weile nichts passiert. Und jetzt ist mir eben was passiert. Ich würde nicht sagen, dass ich unvorsichtig war vorher. Aber ich gehe jetzt eben mit einem anderen Gefühl durch die Straßen.
In Namibia und gerade in Windhoek gibt es große Unterschiede zwischen Arm und Reich. Es gibt das ehemalige Township Katutura und es gibt Slums. Der Mensch, der mich überfallen hat, brauchte vermutlich dringend Geld. Wahrscheinlich lebt er in einem Slum. Wahrscheinlich war er sogar verzweifelt, vielleicht hat er sogar mal versucht, auf legalem Wege zu Geld zu kommen und vielleicht hat es einfach nicht geklappt. Im Vergleich zu ihm bin ich unfassbar privilegiert.
Doch das schreibe ich keinesfalls, um sein Verhalten zu entschuldigen. Natürlich sucht man nach Gründen, warum einem sowas passiert. Und in diesem Fall ist der Grund eben nicht schwer zu finden. Es gibt eine Erklärung für das, was mir passiert ist. Das heißt nicht, dass diese Erklärung die Tat entschuldigt. Allerdings möchte ich diesen Blogbeitrag doch in einen gewissen Kontext einrücken. Und der ist eben: Es gibt in Namibia extreme Armut neben extremem Reichtum. Es gibt auch Rassismus. Beides tritt unabhängig voneinander bei unterschiedlichen Personen auf, oder auch in Kombination. Fakt ist, dass es vermutlich recht leicht war, mich als Opfer herauszupicken. Zu vermuten, dass ich viel Geld dabei habe und dabei kein schlechtes Gewissen zu bekommen, weil viele Menschen, die so aussehen wie ich, eben viel Geld haben.
Ich frage mich, ob der Täter enttäuscht war, als er die 80 Namibia-Dollar aus meinem Portemonnaie gefischt hat. Umgerechnet sind das 5,70€. Waren sie ihm das wohl wert?

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