200 junge Menschen im Ausnahmezustand. Mit der Eiseskälte der Wälder Nordbrandenburgs hat so manch einer nicht gerechnet. Schon am ersten Abend stellt sich ein kollektives Bibbern ein, das über Nacht zum Zähneklappern und schließlich zu ausgiebigen Nies- und Hustenanfällen wird. Besonders hart gesottene Exemplare stählen ihren Körper beim morgendlichen Sprung in den Werbellinsee. Gefühlte 10° Außentemperatur. Gefühlt? Real.
Der erste Tag. Fragen über Fragen: Ist Surfen eine Extremsportart? Schach? Zahlt Dr. Walter, wenn ich beim Schach vom Stuhl falle und dabei aus Versehen schwanger werde? Niemals unter dreißig Meter tauchen! Darf ich in meinem FSJ drei Monate oder länger Urlaub nehmen? Als all diese äußerst kompliziert zu beantwortenden Fragen geklärt sind, tritt schließlich BNE-Woman (Bildung-für-nachhaltige-Entwicklungs-Woman) auf. Nachhaltigkeit. Nach-halt-ICH-keit. Sie ist schließlich noch vor Transkulturalität, Mover und „Scheißewobleibtmeinvisum“ DAS Trendwort des Seminars.
Nächster Tag: Im Auswärtigen Amt werden die 200 jungen Versicherungswissenschaftler mit multiplen transkulturellen Identitäten im Ausnahmezustand schließlich zu Jungbotschaftern erklärt. DU bist Deutschland. Verwirrung stellt sich ein. Während kulturweit die Existenz einer uniformen deutschen Kultur strikt ablehnt, fordert man uns im AA auf, die deutsche Kultur innerhalb der Kultur- und Bildungspolitik in alle Länder zu streuen. Unsere Homezone entscheidet sich in transkultureller Revoluzzer-Manier für die Ich-Kultur, was heißt, dass ich aus Gründen der Authentizität nicht anfangen muss, in Namibia deutsche Currywurst und Humorlosigkeit zu verbreiten, weil ich das auch sonst nicht tue.
Partnertag: Und schließlich gab es noch den Partnertag. Für mich und drei andere Freiwillige ging es am Partnertag zur Deutschen Welle in Berlin. Und echt (ey!): Das war mega cool! Erstmal nahm sich der Programmkoordinator für das südliche Afrika endlos lang Zeit für uns, um unsere Fragen zu beantworten. Er war wirklich super freundlich und konnte uns schon viel aus Windhoek erzählen, weil er selbst oft dort war. Vorher hatte ich mich oft gefragt, was genau mein Sender, der NBC German Service, mit der Deutschen Welle zu tun hat. Vor ein paar Jahren hat die Deutsche Welle beschlossen, weniger, aber dafür intensiver mit den Medien in bestimmten Schwerpunktländern zusammen zu arbeiten. Namibia ist eines dieser Länder. Die NBC ist ein Kooperationspartner der Deutschen Welle und bekommt zum Beispiel deren Nachrichtenbeiträge rein. Ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit liegt auf der Entwicklung eines Formats für Jugendliche, da diese bislang von den namibischen Medien nicht speziell angesprochen werden.
Nach diesem spannenden Gespräch bekamen wir noch eine Führung durch den Sender. Wir konnten den Mitarbeiter_innen beim schneiden und vertonen zuhören/zusehen, durften im Fernsehstudio als Anchorwoman Platz nehmen und durch den Newsroom spazieren. Schließlich ging es dann hoch aufs Dach der DW, wo man neben beeindruckend riesigen Satelliten einen großartigen Ausblick über Berlin zu sehen bekommt. Alles in allem dachte ich während des ganze Besuchs bei der DW: Hier solltest du später mal arbeiten! Der Besuch hat mich ziemlich motiviert!
Was haben wir noch die 10 Tage lang gemacht am Werbellinsee? Nun, wir haben eine halbe Kuh gespart, alle 200 Jungbotschafter zusammen! Auch wenn ich Vegetarismus grundsätzlich für eine unterstützenswerte Sache halte, musste ich mir bei dieser Rechnung vor allem eine brutal in der Mitte zerteilte Kuh auf einer grünen Weide vor blauem Himmel vorstellen. Die halbe Kuh zu sparen war ganz schön anstrengend, denn obwohl die Mensafrauen alle Speisen und besonders den vollkommen wirkungslosen Kaffee mit sehr, seeehr viel Liebe zubereiteten, waren sie wohl leider nicht vollkommen kompetent für eine die Geschmacksknospen ansprechende vegetarische Ernährung der 200 Kuhretter_innen.
Außerdem gab es einen wunderschönen Kulturabend mit tollen Beiträgen und eine grandiose Abschiedsparty. Der Werbellinsee erstreckte sich türkiser und klarer als jedes Meer und lud zu Mittagsschläfchen auf dem Steg und ausgiebigen Sonnenuntergangsspaziergängen ein. So sind die ersten Fotos auf diesem Blog Bilder von deutschen und nicht namibischen Sonnenuntergängen – auch fair berichten war ein Thema des Seminars: Keine Stereotypen verstärken durch das, was ich hier erzähle. Doch seht selbst, welch traumhafter Werbellinsee im Abendlicht!
Mittlerweile bin ich übrigens in Namibia angekommen. Ich berichte alsbald.



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