Städtischer Wintersport

Nachdem es kurz vor Weihnachten nicht so aussah, als würde der Winter in Riga in nächster Zeit Einzug halten – es herrschte mit +8C und neblig-trüber Aussicht bestes Novemberwetter –, gingen die Temperaturen gegen Jahresende rasant dem Nullpunkt entgegen und noch weiter in den Keller. Die bereits bestehende Puderzuckerschicht auf den Dächern der Stadt wurde kurz nach Neujahr zu einer echten, geschlossenen Schneedecke und die Temperaturen pendelten sich bei -10C bis -15C ein. Mit der zentralasiatischen Kälte der Mongolei von unter -40C kann – und will! – ich dann doch nicht mithalten.

Seitdem geben sich die Einwohner der Stadt an die Umgebung angepassten Wintersportdisziplinen hin. Gleich am ersten Abend, als es den ganzen Tag geschneit hatte, sind mir auf dem Fahrradweg zwei Langläufer Richtung Altstadt entgegen gekommen. Auf dem Radweg ist das in der Tat etwas unorthodox, aber in den großen Parks der Stadt – im Uzvaras Parks und im Mežaparks – kann man sich Langlaufski ausleihen und loslegen. Andere städtische Disziplinen sind in der Regel weniger elegant. Weitsprung über Schneematsch an den Straßenkreuzungen. Hochsprung über aufge-türmten Schnee an den Rändern der Fußwege. Schlittschuhlaufen ohne Kufen, aber dafür mit zu glatten Schuhsohlen, auf den teilweise vereisten Gehwegen oder in der Nähe der Fallrohre und undichten Regenrinnen, von denen an einigen Stellen mächtige Eiszapfen herabragen und herunterzustürzen drohen, was uns – zumindest für einige Leute – zur nächsten Disziplin bringt: Slalom. Egal, ob man nun Damokleseiszapfen ausweichen will oder der allgemein wenig ausweichbereiten Bevölkerung, ein Grund für einen kleinen Slalomlauf findet sich stets. Wagemutige ältere Herren, ausgerüstet mit Klappschemeln und Eisbohrern, gehen auch gerne auf den Seen und Flüssen der Stadt Eisangeln. Angesichts der Tatsache, dass ich am vergangenen Samstag im Mežaparks nur zwei Dutzend Meter vom Ufer einige wenige Zentimeter in die dicke Eisdecke eingesackt bin, finde ich es wirklich waghalsig, sich noch weiter aufs Eis hinaus zu begeben. Auf der noch zugefrorenen Daugava vor meinem Bürofenster bilden sich durch die milderen Temperaturender letzten beiden Tage – etwa -5C – bereits Pfützen auf dem Eis.

Blick aus dem Küchenfenster

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Pilsētas kanāls

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Kristus Piedzimšanas pareizticīgo katedrāle

Melngalvju nams

Rainis – Sniegs un Diena

Auch die Stipendienauswahlen – in diesem Jahr schon einen Monat früher als sonst – waren von Vilnius über Tallinn bis nach Riga mit Schnee gefüllt, auch wenn der Zeitplan so straff war, dass zum aus dem Fenster Schauen wohl eher keine Zeit blieb. Am letzten Montag gab es (glücklicherweise) keine Hilfskraft und so habe ich mich mal wieder auf den Weg nach Vilnius gemacht, um Namensschilder aufzustellen, Kaffee zu kochen und mich mit den Bewerbern vor und nach ihren Interviews zu unterhalten. Die Auswahlgespräche fanden an diesem Tag im Vilniuser Goethe-Institut statt, was wiederum sehr praktisch war, denn bei meinem vorherigen Besuch in der litauischen Hauptstadt hat sich die Möglichkeit für ein interessantes Projekt ergeben: Während der Deutschsprachigen Filmtage kommt unter anderem eine israelische Regisseurin mit ihrem Film über die Suche nach ihrer Familiengeschichte nach Litauen, die ich mit meinen (derzeit etwas angerosteten) Litauischkenntnissen durch das Land begleiten werde.

Wieder in Riga angekommen folgte am Freitag auch schon die Ernüchterung: Mein Mitbewohner eröffnete mir, er ziehe aus und da ein Großteil der Möbel und Gerätschaften in der Wohnung ihm gehören, ziehen auch diese aus. Erst eine Woche zuvor hatte ich endlich etwas Deko an die Wände gebracht. Und generell war alles ein bisschen zu gut gelaufen. Also war es wohl Zeit für den vierteljährlichen Störfaktor in meinem Leben. Noch habe ich drei Wochen Zeit, eine neue Bleibe mit neuen Mitbewohnern und vielleicht auch in einer neuen Nachbarschaft zu finden, Möbel habe ich diesmal auch, aber allein der Gedanke daran, löst Stress in mir aus. Hinzu kommt mein ausgeprägter Unwille, mein gesamtes kulturweit-Geld in die Miete zu stecken. Ich bin mir zwar durchaus bewusst, dass ich wahrscheinlich auf die Schnelle nicht wieder ein Zimmer in einer solch geräumigen Wohnung, in einer derart guten Lage und zu dem Preis auftun kann, aber ich möchte auch nicht den Rest meines freiwilligen Jahres in einem winzigen Zimmer oder mit einem winzigen Budget fristen. Also beginnt die Suche von Neuem…