We, das ist in dem Fall meine Person, pluralis maiestatis quasi. Vier Tage, drei Länder, drei Hauptstädte: Ich gebe zu, das hätte man auch schneller über die Bühne bringen können, aber das wäre dann wirklich in unnötigen Stress ausgeartet. Und ich war auch nicht nur je eineindrittel Tag überall, denn ein möglichst schnelles Abarbeiten der Attraktionen und Nicht-Attraktionen ist weder meine Art noch mein Interesse. Ein Blick auf mein Handy hat mir auch grad verraten, dass ich, wie üblich, kein einziges Bild – naja, bis auf eines vom Tallinner Weihnachtsmarkt bei Nacht – gemacht habe. Andere Leute waren da glück-licherweise fleißiger.
In der letzten Novemberwoche fand also das Zwischenseminar für die Freiwilligen aus Belarus, Estland, Lettland, Litauen und der ganzen Weite Russlands in Tallinn statt. Schon auf dem Vorbereitungsseminar hatten wir erfahren, dass es nach drei Monaten in der Einsatzstelle nach Estland gehen wird. Ein bisschen Enttäuschung war auch dabei, hatte ich doch im Blog der Freiwilligen vor mir gelesen, dass sie mit der Fähre nach Stockholm gefahren waren und dort einen Tag verbracht hatten. Für einige von uns markierte das Zwischenseminar tatsächlich die Hälfte ihres Freiwilligendienstes und wieder einmal war ich froh, mich für ein ganzes Jahr in Riga entschieden zu haben. Die Mehrheit der Tage fließt förmlich wie die Daugava an meinem Bürofenster dahin, auf der anderen Seite die neue Nationalbibliothek in ihrer dreieckigen abstrakten Form, abends umgeben von den tanzenden Lichtern des regen Straßenverkehrs über die Akmens tilts und dem Lichter-kettenmeer in den Bäumen vor meinem Fenster. Gerade in den letzten beiden Wochen habe ich einigermaßen den Bezug zur Zeit verloren.
Die ersten Anzeichen des Zwischenseminars kündigten sich schon am vorhergehenden Wochenende an: Die Freiwilligen aus Belarus und Litauen haben auf ihrem Weg nach Tallinn in Riga Halt gemacht und so konnten wir am Sonntag gemeinsam den Abend verbringen und uns allerhand Anekdoten aus einem nahen und doch recht fernen Land anhören und Wiedersehen feiern. Am Dienstag ging es für mich, mal wieder, zu unge-wohnt früher Stunde in Richtung Busbahnhof, besonders bitter war an diesem Morgen die Erkenntnis, dass der Bus Richtung Tallinn quasi fünf Minuten von meiner Haustür ebenfalls eine Haltestelle anfährt und ich auch dort hätte einsteigen können, hätte ich nur davon gewusst. Kaum dass wir die Stadtgrenzen von Riga Richtung Norden verlassen hatten, war ich auch schon eingeschlafen. Am Frühmorgen hatte ich in Riga schon einige Leute die Reste des kläglichen Schneefalls von den Straßen kehren sehen, aber als ich im Norden von Lettland wieder aufwachte, erwartete mich eine geschlossene, wenn auch dünne, Schneedecke und darüber herrlicher Sonnenschein. Ein Bild, das sich besonders eingeprägt hat, ist die Brücke über die Salaca, die wenige Meter weiter in die Ostsee mündet. Schnee bis ans Meeresufer. Auch der verschneite Wald links und rechts der Straße bot einen zauberhaften Anblick. [NB: Ich bin mir durchaus bewusst, wie fürchterlich kitschig das klingt, aber es war wirklich schön, in einem Wintermärchen aufzuwachen und nicht graubrauntrübe Felder betrachten zu müssen.] Kaum hatten wir jedoch die Grenze zu Estland überquert wurde der Schnee mit jedem zurückgelegten Kilometer weniger, bis er schließlich ganz verschwand und die Landschaft den gewohnt novemberkargen Anblick bot. In Tallinn angekommen, erkundigte ich mich nach einem Taxi, das mich zur Technischen Universität Tallinn bringen sollte, aber ich wurde auf den Bus verwiesen, der direkt dorthin fährt, also habe ich mir einen Teil Tallinns schon vom Bus aus angeschaut und eine kleine Stadtrundfahrt außerhalb der Altstadt gemacht. Die TTÜ ist im wahrsten Sinne des Wortes im Wald gelegen und dort verbrachte ich die nächsten Stunden bei der Study Abroad Fair des International Office, um Informationen zum Studium in Deutschland und vor allem zum DAAD zu geben. Je näher sich der Unitag dem Ende näherte, desto mehr ebbte auch das Interesse an einem Studium oder zumindest der Wille, sich etwas darüber erzählen zu lassen, ab. Die Anzahl der verschiedenen internationalen Süßigkeiten hatte im Verlauf der Veranstaltung auch exponentiell abgenommen. Alle zu erhaschenden Werbekulis waren auch eingesackt. Also habe ich mich dann auf den Weg gemacht und bin als Letzte, glaube ich, beim Zwischenseminar eingetroffen. Dort waren schon alle mit Namensschildchen versehen und eine andere Art von Arbeit konnte beginnen. Fünf Tage lang wurde rekapituliert, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, diskutiert, sich mit anderen Freiwilligen aus der Region vernetzt, es wurden neue Ideen gegeben und eingesammelt und nicht zuletzt über das eigene Freiwilligenprojekt nachgedacht. Auch wenn ich mir, als Vizeältesten-präsidentin des Seminars, manchmal etwas zu alt für all die pädagogischen Maßnahmen vorkam, so fand ich die Methode zur Entwicklung einer Projektidee wirklich gut! Alle Seminarteilnehmenden haben sich zuerst überlegt, was sie generell und im Zusammenhang mit Einsatzstelle und -land interessieren würde, die Interessen wurden thematisch sortiert, in stiller Diskussion wurden Querverbindungen gezogen und Anmerkungen gemacht sowie Anregungen gegeben. Und auf wundersame Weise ergaben sich daraus tatsächlich Projektideen.
Natürlich haben wir auch die Tallinner Altstadt erkundet und das up-and-coming Viertel Telliskivi hinterm Bahnhof, waren im Okkupationsmuseum und haben Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt und heiße Schokolade in gemütlichen Cafés getrunken. Alles in allem hat mir die Tallinner Altstadt ein wenig besser gefallen als ihr Rigaer Pendant, aber das liegt vielleicht daran, dass ich in der Rigaer Altstadt immer noch das Gefühl habe, als würden die Straßen sich jeden Tag aufs Neue verzweigen, wie in einer surrealen Mischung aus Verrücktem Labyrinth und den Treppen in Hogwarts. Am Sonnabend, als das Seminar dann rum war, bin ich noch ins Kino gegangen und hab mir einen der Filme beim Black Nights Film Festival angeschaut. Eigentlich wollte ich Tale of Tales sehen, den ich schon beim International Film Festival in Riga verpasst habe, weil ich meist eher spontan ins Kino gehe. Auch in Tallinn habe ich ihn verpasst, also wurde es ein Schweizer Film namens Heimatland. Der Film ist wirklich gut gemacht und ist auch brandaktuell in seiner Thematik, aber man fühlt sich doch ein wenig beklemmt beim Weg aus dem Kino und muss das Gesehene erst mal sacken lassen.
Anstatt wie ursprünglich angedacht, noch für den einen oder anderen Tag nach Tartu zu fahren, bin ich am Sonntag wieder nach Riga gefahren, weil es am Mittwoch schon weiter nach Vilnius gehen sollte. Flashback: Als ich Ende Oktober in Litauens Hauptstadt war, hatte mich die DAAD-Lektorin an der Universität Vilnius gefragt, ob ich Lust hätte, die Wanderausstellung zum Thema Der Weg zur Deutschen Einheit mit ihr zusammen zu eröffnen. Ich könnte die Begrüßungsworte, die sie auf Deutsch spricht, auf Litauisch sprechen. Ich dachte (und denke), dass das eine schöne Idee wäre und willigte ein. Ende November also übersetze ich zunächst den Einladungstext aus dem Litauischen ins Deutsche und Englische und fuhr dann am ersten Dezembermittwoch weiter Richtung Süden, wo noch ein Abend voll weiterer Übersetzungsarbeit auf mich wartete, allerdings nicht in der mir vertrauten Richtung, sondern genau andersrum: Deutsch–Litauisch. Allen Teilnehmenden an dieser Aktion war durchaus bewusst, dass man besser in seine eigene Muttersprache statt in eine Fremdsprache übersetzt, aber es ließ sich nicht ändern. Bis zum nächsten Mittag waren die knapp zwei Seiten ins Litauische übersetzt, korrigiert, besprochen und des einfacheren Vorlesens halber durchakzentuiert vortragsbereit. In einem nicht allzu belebten Gang der Vilniusser Universitätsbibliothek wurde dann mit unseren Begrüßungsworten, denen der Bibliotheksdirektorin, die nebenbei bemerkt abwechselnd Litauisch und exzellent Deutsch gesprochen hat, und denen der Kulturreferentin der Deutschen Botschaft die Ausstellung eröffnet. Die Bilder von der Ausstellungseröffnung gibts hier. Nachdem ich noch einen wunderbaren Abend bei Bier, Whisky und tollen Gesprächen hatte, folgte am nächsten Tag die Ernüchterung. Auf dem Weg zum Bus wollte ich noch eben ein, zwei Dinge einkaufen, um auf der Reise keinen Hunger leiden zu müssen, die Kassiererin hatte – wie immer wenn mans eilig hat – aaaalle Zeit der Welt, sodass ich die paar Stufen runter zum Busbahnhof rennen musste. Zack, Stufe übersehen, linker Fuß umgeknickt, höllischer Schmerz und – die SMS, dass der Bus eine Viertelstunde zu spät sein wird. Manchmal kommen halt alle guten Dinge zusammen… Mein verstauchter Fuß und ich – jedenfalls glaube ich, dass er „nur“ verstaucht ist – gehen dann nächste Woche in Deutschland zum Arzt, denn am Sonnabend fliege ich auf Weihnachtsmission für ein paar Tage zur Familie.
* I’m sure you did, sagt das Känguru.
„Sexy Sandra“ geiler Eintag
Wie ich sehe gehts dir prima! Viel Erfolg bei deiner Heimatmission
Liebe Grüße aus der kalten fernen Mongolei!