Seit nun schon wieder einer Woche ist das Vorbereitungsseminar am Werbellinsee vorbei. Mein Mitbringsel von dort – eine Erkältung – ist auch wieder auf Abschied eingestellt. Zehn Tage voll spannender Diskussionen – wenngleich nicht immer mit Ergebnis –, gefühlt tausend neuer Gesichter und Persönlichkeiten, interessanter Workshops, mit Abenden unterm Sternenzelt, am Lagerfeuer oder einfach nur in der Ruhe des nicht ganz eigenen Zimmers sind nun vorbei. Es folgte das größte Übel einer jeden Reise: das Packen. Entscheidungen wollten getroffen und die Tetriskenntnisse meiner Kindheit hervorgekramt werden. Diverse herbst- und winterfähige Klamotten und Schuhe haben ihren Weg in meinem überdimensionierten Koffer gefunden und die 20kg-Grenze kam auch zu ihrem Recht. Das hieß vor allem, dass nicht alles, was ich eigentlich gerne mitgenommen hätte, ins Gepäck gepasst hat und mich nun bald auf dem Postweg erreichen wird.
Der Flug nach Riga verlief geradezu ereignislos, wenn man von der spanisch-andorranischen Gruppe absieht, die offenbar noch nie in ihrem Leben eine Reise per Flugzeug bestritten zu haben schien: Mehr und mehr Damen mittleren Alters drängten in die anfänglich nur aus drei Personen bestehende Schlange vor mir; keine von ihnen hatte Gepäck gebucht, alle hatten Übergepäck, alle mussten deshalb zu einem anderen Schalter, um ihre Gebühren zu begleichen. Eine hatte zudem einen ungültigen Reisepass. Ich fühlte mich plötzlich sehr reiseerfahren und geradezu kosmopolitisch. Der Rigaer Flughafen war mir bekannt, die Busfahrt in die Stadt auch. Im Trolleybus in Richtung Moskauer Vorstadt verströmten Menschen und Taschen mit auf dem Zentralmarkt erstandenen Waren eine Dunstwolke aus Alkohol und Dill.
Auf einen spätsommerlich warmen, sonnigen Montag folgte ein anfänglich nur grauer Dienstag, der sich jedoch schnell in einen Tag voller Regen wandelte. Mir fiel schlagartig wieder ein, wo sich mein Regenschirm, den ich beim Packen auf dem Fußboden meines alten Kinderzimmers gesichtet hatte, befand: ebendort. Mein erster Besuch im DAAD Informationszentrum am Rande der Altstadt schob sich dadurch immer weiter nach hinten in der Hoffnung, es möge doch bald zu regnen aufhören, aber vergebens – ich kam durchnässt an. Inzwischen bestreite ich den Weg zur und von der Arbeit auf dem Fahrrad, das ich hier geliehen bekommen habe (auch wenn es eigentlich zu klein für mich ist…). Allgemein scheint das Wetter hier, im Gegensatz zu Vilnius, sehr häufig zu wechseln. Gestern zeigte sich der Spätsommer wieder von seiner besten Seite mit Temperaturen in den Mittzwanzigern und keinem Wölkchen am Himmel. Zusammen mit einer weiteren kulturweit-Freiwilligen, Luisa, gings nach einem verfrühten Büroschluss mit dem Zug an den Strand, genauer gesagt nach Jūrmala, schon seit mehr als hundert Jahren der Badeort der Wahl für die Bewohner von Riga. Unglaublich feiner Sand, Kiefern bewachsen den Übergang zwischen Strand und Stadt, eine Mischung aus alten und schon frisch restaurierten Holzhäusern sowie moderner Ferienhausarchitektur mit viel Glas, aber auch Holz. Wir sind in eine der Strandbars eingekehrt, die absurderweise spanische Hits der letzten Jahre spielte. Musik und Wärme drängten einem geradezu ein Mittelmeergefühl auf, aber die Tatsache, dass man, um richtig schwimmen zu können, beinahe hundert Meter ins Wasser laufen muss, sprach dann doch für die Rigaer Bucht. Momentan herrscht wieder eitel Sonnenschein, der nicht vermuten lässt, dass es heute Morgen noch gut geregnet hat. Der Herbst steht bereits in seinen Startlöchern und wartet nur auf eine Gelegenheit, den Himmel dauerhaft mit grauen Wolken zu überziehen.
Die Stadt kommt mir inzwischen wieder sehr vertraut vor, wie eine alte Freundin, die ich zwei Jahre lang nicht gesehen habe und die ich erst wieder auf den neusten Stand der Dinge in meinem Leben bringen musste. Der momentane Heimweg, der mir am Anfang ziemlich lang vorkam, wird von Tag zu Tag kürzer. So langsam kommt auch wieder die Lust, einfach mal links statt, wie gewohnt, rechts abzubiegen und zu gucken, was sich wohl auf gleicher Höhe auf der Parallelstraße versteckt. Dabei kommt mir der Gedanke an einen Herbst mit kalten, klaren Tagen und Spaziergängen oder verregneten Tagen mit Tee (Achtung, eindeutige Romantisierung einer Jahreszeit! Fragt mich nochmal, wenn die Zeit ran ist…) gar nicht mehr so schlimm vor.