Sommer in Craiova / das neue Europa

Craiova ist eine Rosine – bitter-süß und etwas verschrumpelt. Ich mag die eigenwillige Schönheit dieser Stadt, die sich erst nach und nach erschließt. Ich mag es, dass ihre Geschichte Craiova ins urbane Gesicht geschrieben ist. Österreich-ungarischer Blitzende DächerJugendstil mischt sich zwischen Plattenbauten, französische und byzantinische Architektur. Dazwischen blitzen die Eisen- und Aluminiumdächer hervor, die so typisch sind für Oltenien und die mich nach wie vor an Tempeldächer aus Fernost erinnern. Die Terrassen der Cafés und Bars sind rund um die Uhr gut gefüllt, es wird gefeiert und sich in Schale geworfen. Nur fünf Gehminuten vom Stadtzentrum entfernt rumpeln Pferdewagen über Kopfsteinpflaster, krähen Hähne und in den Gärten sprießen Tomaten, Zucchini und Aprikosen. Die Menschen treffen sich abends vor den kleinen Nachbarschaftsläden für die letzten Einkäufe oder ein Eis.

Die Straßen sind aufgerissen, überall in der Stadt wird abgerissen, saniert, Beete werden umgegraben und Schienen verlegt. Ich balanciere auf Brücken über Gräben zur anderen Straßenseite und husche im Slalom um die Autos herum. An der Straßenecke steht auf ein Mal ein Wegweiser, der Unwissende in englischer Sprache zum nächsten Monument führt und der Zebrastreifen zeigt sich neuerdings in kreativer Umklammerung. Ich biege in die Zufahrt zu meinem Block ein und da, wo ich gestern noch mein Brot gekauft habe, steht jetzt nur noch ein Container ohne Wände.

   x

                                            Zebrastreifen

x

von der Rosine zur Traube

Die Rosine möchte nicht länger Rosine, nein, sie möchte europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2021 sein! Es soll nach 2007 endlich ein Mal wieder heißen: „Europa zu Gast in Rumänien“ – und nicht andersherum. Das finde ich gut, denn dieses Land hat definitiv mehr zu bieten als nur Schwarzarbeit, Dracula und Straßenhunde. Es wird allerhöchste Zeit, dass der Rest Europas das moderne, das innovative, das kreative Rumänien kennenlernt! Dieses besticht, folgt man der Logik der vom Rathaus angeordneten Modernisierungsarbeiten, vor allen Dingen durch glänzende Fassaden, blühende Parks und eine verbesserte Infrastruktur. Gerade der letzte Punkt macht in einer Stadt, die schon ihre Schwierigkeiten damit hat die eigenen 300.000 Einwohner tagtäglich zu transportieren, durchaus Sinn. Bei entsprechend vielen Gästen und Veranstaltungen, die der angestrebte Titel mit sich bringt, ist ein funktionierender Nahverkehr unerlässlich und Craiova auch langfristig von Nutzen.

Streitbarer ist meiner Meinung nach hingegen, ob die Investitionen in rein plastische Veränderungen des Stadtbildes in der Form, in der sie gerade stattfinden im Moment wirklich von Nöten sind. Schöne Parks und Fassaden mögen zwar den Blick der Craiovani auf ihre Stadt, über die sie nur selten ein gutes Wort verlieren, zum Positiven verändern. Allerdings frage ich mich angesichts des teils katastrophalen Zustandes des Notfallklinikums oder auch der Baracken am Stadtrand, ob es zum aktuellen Zeitpunkt nicht wichtigere Baustellen gibt. Trotzdem denke ich, dass es für Rumänien grundsätzlich mehr Gewinn als Verlust bringt 2021 wieder eine „europäische Kulturhauptstadt“ zu stellen und dass allein die Kandidatur für den Titel eine gute Möglichkeit für Craiova darstellt, sich innerhalb und außerhalb Rumäniens in einem neuen Licht zu zeigen.

x

Summer in the City & die internationale Brise

In den vergangen zwei Monaten habe ich so viele schöne Ecken und Plätze entdeckt: die deutsche Bäckerei, den botanische Garten, kleine Parks, Biergärten und Cafés, versteckte Second-Hand-Läden, den Friedhof am Park und die vielen Märkte.

  xxxxxx  xxx                                        

Es ist ein wenig tragisch, dass ich – gerademal zwei Monate ‚back in town‘ – mich so sehr darüber freue wieder hier zu sein und dabei genau weiß, dass ich mich von dieser so lieb gewonnenen Stadt in nur einer Woche verabschieden werde. Auf keinen Fall für immer, aber zumindest für eine Weile. Vielleicht ist es auch deswegen bisher mehr ein Sommer in der Stadt, als auf Reisen geworden, wie ursprünglich geplant. Ich bin kein großer Verfechter von „Zuhause ist es immer noch am schönsten“ – sonst hätte es mich wohl auch gar nicht erst nach Craiova verschlagen – und das Fernweh brodelt in mir. Deswegen habe ich beschlossen mir die große Welt einfach nach Hause, genauer gesagt auf meine Couch im Wohnzimmer zu holen. Und so habe ich im Juli und August regelmäßig Couchsurfer – Besuch.

 

Die Stadt wirkt momentan geradezu international. Auf den Straßen hört man Arabisch, Englisch, Französisch und ein bisschen Deutsch. Im Stadtzentrum veranstaltete AISESC vor einigen Wochen ein sogenanntes ‚Global Village‘, bei dem Reisende aus Canada, Russland, Serbien, Belarus,…, Honkong, Nigeria ihre Länder und Kulturen vorstellten. Die „Language Café – Treffen“ sind wieder aufgelebt und machen an einem lauen Sommerabend draußen auf der Terrasse auch viel mehr Spaß als in verqualmten engen Bars zur Winterzeit. Es ist mal endlich wieder  richtig Sommer, so schön wie er früher ein Mal war! Auf dem Markt gibt es frischen Mais und Wassermelonen „Made in Romania“ in Hülle und Fülle, wir gehen schwimmen, verbringen unsere Abende mit Grillen, Spaziergängen, Freilichtkino und den abendlichen Gewittern davon zu rennen.

 

xxx  xx                          Lache, alles ist gut!                         

 

zwischen neuem Europa und Donaustränden

 Und falls es dann doch mal ein wenig Abwechslung sein darf, ist die Donau mit ihren Sandstränden zum Glück nicht weit. Wir beschließen deswegen kurzerhand am Freitagmorgen mit dem Bus nach Calafat zu tuckern, das ungefähr 90 Kilometer südwestlich von Craiova liegt. Für diese Strecke brauchen wir mehr als zwei Stunden, was uns an den Witz von dem Rumänen, der in 80 Tagen um die Welt reiste, erinnert: 70 Tage benötigt er für den Weg aus seinem Heimatland hinaus und zehn für den restlichen Globus. Ein schönes Beispiel für feinen, aber rabenschwarzen, rumänischen Humor. Calafat ist ein süßes, kleines Städtchen an der Donau. Am anderen Ufer liegt das Nachbarland Bulgarien, mit dem es seit Juni 2013 durch die Brücke „Neues Europa“ verbunden ist. Der Fluss ist an dieser Stelle ungefähr einen Kilometer breit und fließt ruhig und kraftvoll seiner Wege. Entlang der Uferpromenade erinnern Denkmäler an den Russisch-Osmanischen-Befreiungskrieg (1877 – 1878), der die Kontrolle des Osmanischen Reiches über den bereits souveränen Staat Rumänien endgültig beendete. Wie die Statue des kleinen Mädchen Marița, die erschossen wurde, als sie rumänischen Soldaten Wasser brachte.

Das „Neue Europa“ ist sehr sonnig, besteht aus Stahl und Beton und endet irgendwo im bulgarischen Nirgendwo. In unserer Vorstellung waren wir über diese Brücke direkt nach Vidin gelaufen, das scheint aber noch ein ganzes Stück entfernt zu sein. Deswegen machen wir nur eine kurze Mittagpause im Schatten eines Baumes und freuen uns darüber, dass wir unser Sandwich auf bulgarischen Boden essen. Den Rest des Tages verbringen wir am Strand und in der Donau. Das Wasser ist überraschend klar, was unsere Schwimmversuche umso lächerlicher "Neues Europa"aussehen lassen. Dank der starken Gegenströmung fühlt man sich wie der Hamster im Hamsterrad. Egal wie stark wir mit Armen und Beinen schlagen, bewegen wir uns doch nicht von der Stelle.

Der Tag endet mit einer rasanten, abenteuerlichen Fahrt über die, mit zahlreichen Schlaglöchern gespickte, Landstraße zurück nach Craiova. Der ältere Herr, der uns mitnimmt, ist eindeutig schwerhörig, weswegen wir uns nur rufenderweise unterhalten können. Dafür scheint er aber umso bessere Augen zu haben. Dies beweisen seine haarscharfen, passgenauen Überholungs- und Ausweichmanöver. Zuhause fallen wir leicht seekrank und mit einem rötlichen Schimmer auf der Haut müde ins Bett.

 

Briefe an den Ministerpräsidenten

Es ist früher Vormittag. Ich stehe in einer der Schlangen auf dem Postamt um die Ecke. Die Schlange ist lang und die Temperatur ist unterträglich. Draußen sind es seit mehreren Tagen trockene 36°C, das Klima hier drinnen ist tropisch. Gäbe es einen südosteuropäischen Regenwald, so würde er sich anfühlen. Die Postbeamtinnen am Schalter wedeln sich verzweifelt Luft mit Briefen zu, doch die rumänische Anstell- und Warteschlangentechnik kennt auch bei einer solchen Hitze kein Erbarmen. Ich würde gehen und später wiederkommen, wenn ich könnte. Kann ich aber nicht. Also warte ich. Und halte zu dem Rücken meines Vordermannes noch gerade eine Handbreit Abstand, gerade so viel, dass keiner hinter mir auf die Idee kommen könnte, ich stünde nicht mehr an. Mein Hintermann scheint nicht mal ansatzweise ein Risiko eingehen zu wollen und drückt mir seinen Bauch in den Rücken.

Endlich geht es voran. An der Reihe ist nun ein sehr betagter Herr. Er hat scheinbar einen Brief geschrieben und möchte diesen wohl auch gerne verschicken. Dafür fehlt ihm nur eindeutig ein Umschlag. Und Briefmarken. Als er diese hat, tippelt er zu einem Tisch, um seinen dicht und – das ist für jedermann sichtbar – handflächengroß beschriebenen Brief einzutüten. Anschließend vermerkt er mit derselben, ausladenden Schrift den Empfänger vorne auf dem Umschlag. Langsam, ganz langsam geht es voran. Kunde nach Kunde werden von den sichtlich entnervten Beamtinnen abgefertigt und verlassen einer nach dem anderen glücklich und rotgesichtig den kleinen Raum. Ich schaue ihnen wehmütig hinterher. Da tippelt das Männlein zurück an den Schalter. Die Frau am Schalter wirft einen kurzen Blick auf den Adressaten und stutzt.

Entschuldigen Sie, aber ich kann das leider nicht lesen… Wohin soll der Brief denn geschickt werden?“ „Nach…“ Der Rest geht im Sirren der Klimaanlage unter. Diese läuft inzwischen, der erhoffte Kühlungseffekt bleibt allerdings noch aus. „Wohin?!“ „NACH BUKAREST“ „UND WO GENAU DA?“ „Zum MINISTERPRÄSIDENTEN“ „Zum MINISTERPRÄSIDENTEN?!“ Alle Augen richten sich auf den Herren mit der Riesenschrift. „Ja, ich möchte ihn bitte dorthin schicken. Wieviel kostet das?“ „Moment mal, was steht denn jetzt hier genau?“ „Ministerpräsident – Bukarest“ „Und die Adresse, wo ist die?“ „Ich brauche doch keine Adresse dafür! Jeder weiß doch, wo der Sitz des Ministerpräsidenten in Bukarest ist!“ „Vielleicht, sie müssen aber trotzdem die genaue Adresse angeben, wenn Sie den Brief mit der Post schicken wollen“ „Ich weiß die Adresse nicht“ Die Postmitarbeiterin wirft ihrer Kollegin einen verzweifelten Blick zu. Diese schaut im Computer nach. Die Reaktionen der anderen Wartenden changieren zwischen Belustigung und demütiger Schicksalsergebenheit. Als die ungefähre Adresse an der Piata Victoriei ausgemacht ist, gilt es eine weitere Hürde zu nehmen: „Ich hab aber gar keine Platz mehr!“ Das ist richtig. Auf dem A 5 – großen Rechteck ist schon ganz schön viel los. „Dann schreiben Sie es halt irgendwo an den Rand“ Die Skepsis ist dem Herren, und nicht nur ihm, deutlich anzusehen. Wie das gehen soll, weiß wohl nur ein Briefgott allein. Und ihm einen neuen Umschlag anzubieten, dafür fehlen der Dame (verständlicherweise) die Nerven. Wenig später: „Ich weiß nicht, ob der so ankommt“ „ICH HABE DAS IMMER SO GEMACHT!“ Na dann.

Viele Grüße aus Craiova!

 

3 Comments

  1. Stefan

    Jele,

    abgesehen vom eigenen Eindruck, der mir ja leider fehlt, schließe ich mich Deiner lieben Frau Mama mit meiner Meinung gerne an. Bevor sie irgendwann den Bach runter gehen- pack doch Deine Blogartikel bitte mal zusammen und schick sie zumindest mir, bestimmt hätten das aber noch andere aus Deiner Fangemeinde gerne.

    Was nun die Stadtentwicklung betrifft: Du stellst ja selber fest, was Craiova so alles ins Gesicht geschrieben ist. Städte haben eben ein langes, bewegtes Leben. Luigi Snozzi, schweizer Architekt, hat vor langer Zeit mal gesagt: „Jeder bauliche Eingriff bedingt eine Zerstörung: Zerstöre mit Verstand!“ Das macht den Verlust des Liebgewordenen sicher nicht weniger traurig, aber so läuft der Laden nun mal, seit der Höhle und bis zum Wolkenkratzer. Es bleibt auch hier nur: primär Anwendung des eisernen Opa- und ansonsten des Beckenbauerprinzips.

    Auf bald,

    Stefan

  2. Mama

    Liebe Jelle,
    danke für diesen schönen Artikel, der die Erinnerungen an die „bittersüße Rosine“ belebt und Wehmut heraufbeschwört. Demnächst keine Blogbeiträge mehr lesen zu können, lässt ebensolche aufkommen. Deine Fotots fangen den rauhen Charme dieser Stadt sehr gut ein und erzeugen mit ihrer sommerlichen Austrahlung ein bisschen Wärme im schon recht vorherbstlich kühlen Deutschland! Geniesse die letzten Tage in deiner liebgewonnenen Stadt!
    Liebe Grüße von deiner M

Comments are closed.