Eine Schachtel Pralinen / Tag 4 bis 11

– Fortsetzung des Beitrags „Neuanfang / Tag 1 bis 3“ –

Tag 4:

„Mulți ani trӑiascӑ, multi ani trӑiascӑ, la mulți ani!” Heute ist Geburtstag und da singen wir natürlich. Auch wenn wir gerade in einem rappelvollen Zugabteil stehen und dabei kritisch von unseren Mitreisenden beäugt werden. Draußen ist es windig, kalt und es regnet. Vor drei Stunden in Gütersloh war es warm und sonnig. Jetzt sind wir in Köln und dem Wetter in Gütersloh entsprechend angezogen. Toll! Bei dem Gruppenfoto vor dem Dom sitzt die Frisur nicht und die Kleider machen, was sie wollen. Das kann ganz schön auf die Stimmung schlagen!

Auf dem Programm steht zunächst die Besteigung des Südturms. Davor müssen aber alle erst noch mal schnell auf die Toilette. Ein wenig später macht sich beim Anblick des ersten kleinen Treppenabschnitts Unmut breit. „Wir haben doch gestern erst so viel Sport gemacht…!“ „Möchtest Du unten bleiben?“ „Nein…“ Also geht es weiter nach oben. Nach fünf Minuten verfallen die ersten in Schnappatmung und ich fühle mich auch nicht mehr so frisch. Diese Wendeltreppe ist einfach so verflixt eng. „Schaut mal, gleich haben wir es geschafft!“ „Gleich habt ihr das erste TEILstück geschafft. Das zweite dauert ungefähr nochmal genau so lang“, kommentiert eine mir entgegenkommende, leicht erschöpft aussehende Dame. Vielen Dank auch! Schön, dass Sie meinen ohnehin kläglichen Aufheiterungsversuch gerade kolossal haben scheitern lassen! Und so genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen… Immerhin bietet sich jetzt die Gelegenheit für eine kleine Pause. Etwas später, oben auf der Aussichtsplattform, ist der Blick über Köln wolkenverhangen, aber durchaus spektakulär. Ordentlich durchgepustet verpasst der Abstieg kurz darauf meinem Gleichgewichtsorgan einen nachhaltigen Drehwurm. Vor der Mittagspause machen wir noch einen kleinen Abstecher in das Kirchenschiff. Es ist das erste Mal, dass ich von Köln mehr als seinen Bahnhof sehe und von dieser Riesenhaftigkeit bin ich beeindruckt. Ebenso wie von dem Brau- und Wirtshaus Früh, in das Holger, die zwei Lehrer der JKG und ich zum Mittagessen einkehren. Bei dem Blick auf die Karte ziehe ich kleinlaut meine Aussage zurück, dass die rumänische Küche so besonders deftig sei und nur aus Fleisch bestehe. Obwohl, zurückziehen werde ich sie nicht, nur relativieren: für die deutsche (oder sagen wir die westfälische) Küche gilt zumindest hier selbiges.

Die Mittagspause hatten wir in der Hoffnung vorgezogen, dass es in dieser Zeit aufhören würde zu regnen. Es steht nämlich noch Holgers Stadführung auf dem Plan, die wir gerne trockenen Hauptes genossen hätten. Daraus wird leider nichts. Was da vom Himmel kommt, ist aber auch kein richtiger Regen. Das sind träge Monsterriesentropfen mit beachtlichem Gewicht. Auf der Hohenzollernbrücke schauen wir uns die vielen kleinen Schlösser an, die Paare zum Beweis ihrer (endlosen) Liebe hier aufhängen. Zwischen uns und diesem Wetter ist derweil noch keine Liebe entstanden, weshalb sich die Frage stellt, ob wir weiter gehen oder an dieser Stelle abbrechen sollen. Überraschenderweise ist die Mehrheit dafür den Rundgang fortzusetzen. Nur kurz soll er sein. „Wie kurz?“, fragt Holger. „Kürzer als mein Rock, mir ist kalt!“, antwortet Alexandra. Das ist eine klare Ansage. Ganz eingefroren sind wir aber noch nicht. Schließlich sind manche sogar noch in der Lage am Denkmal, das an den Bund zwischen Dakern und Römern erinnert, Wissen aus ihrem Gedächtnis hervorzukramen. Und zwar Wissen, das aus Geschichtsstunden zu Anfang des Schuljahres stammt, was ja schon eine halbe Ewigkeit her ist! In der Altstadt streicheln wir dann Tünnes und Schäl, den beiden Kölner Originalen, zärtlich über die Nase und machen einen letzten Stopp beim Heinzelmännchenbrunnen. Um 18 Uhr sitzen wir im Zug auf dem Weg zurück nach Gütersloh.

 

 Tag 5 und 6:

Donnerstagmorgen starten wir in die Vorbereitung für den polnisch-rumänisch-deutschen Kulturabend am darauffolgenden Tag. Gruppen bilden sich, Tänze werden eingeübt, Fotos sortiert, Interviews geführt und Filme geschnitten. Abends lauschen wir dem Konzert der Schülerband der JKG, das in einer kleinen Kneipe in Wiedenbrück stattfindet.

rumänisch-deutsche Tafelkritzelei

Am Freitag wird es hektisch. Der Kulturabend steht kurz bevor und es ist noch eine Menge zu tun. Es bleibt aber dennoch genügend Zeit um zusammen mit der deutsch-polnischen Gruppe vor der Schule zu tanzen. Nach der Tanzeinlage vor dem Kölner Dom am Mittwoch, wirken die Tanzschritte zum Glück schon ein wenig dynamischer. Was darauf folgt, fühlt sich wie ein kleiner Marathon an. Oh, die Tanzgruppe hat noch keine Musik. Und der Diashow-Gruppe fehlt das Bearbeitungsprogramm. Und irgendwie brauchen wir gerade ganz dringend Internet und haben keines. Durch Improvisation, ein wenig Pendlerei und Glück lösen sich die Probleme nach und nach. Pünktlich – besser gesagt punktgenau – ist zum Beginn des Programmes am Abend auch der Tanzclip fertig, den wir im Laufe der Woche gedreht haben. Es ist eine abwechslungsreiche Show, die diese Woche schön abrundet. Trotz der anstrengenden letzten Tage scheint bei dem Großteil der Schüler noch genügend Energie vorhanden zu sein, um die gemeinsame Zeit gebührendermaßen und tanzenderweise zu feiern.

Holger und ich sorgen derweil bei den Eltern für Verwirrung, weil wir äußerlich so gar nicht ‚rumänisch‘ wirken. Da passt die dunkelhaarige Kollegin der JKG irgendwie besser ins Bild. Als sich das Missverständnis aufklärt, müssen wir herzlich lachen. In Rumänien habe ich solche Situationen ebenfalls schon erlebt. So wurde mir beispielsweise für mein ‚gutes Deutsch‘ gratuliert, weil ich zuvor so überzeugend „Buna!“ und „Ce faci?“ gesagt hatte. Mein Freiwilligendienst sorgt in beiden Ländern für Verwunderung.

 Tag 7:

Ausschlafen! Am Samstag steht für die Schüler ein kompletter Tag in den Gastfamilien an. Das bedeutet für das „Lehrer-Freiwilligen-Team“ Zeit für ein langes Frühstück, einen Einkauf, ein Eis und bisschen Sightseeing zu haben. Außerdem ist es ein „kulturweit“-Tag für mich! In Bielefeld treffe ich endlich Nina wieder, die bis Februar ebenfalls Freiwillige in Rumänien war. Zuletzt haben wir uns in Craiova im Frühjahr gesehen, als sie mich dort besuchte. Es versteht sich von selbst, dass es da viel zu besprechen gibt. Die Sonne scheint ohne Unterlass – es ist ein wunderschöner Tag! Alles Gute kommt eben von oben. Beim Abendessen bekomme ich zu meinem Wrap und den Kartoffeln auch eine kleine Schale Aioli serviert. Plötzlich platscht es neben mir. Ich schaue nach oben, da ist der Sonnenschirm. Ich schaue nach unten. In dem Saucenschälchen schwimmt etwas. Ich schaue wieder nach oben. Über der Aioli ist kein Sonnenschirm, dafür zieht aber ein Schwarm von Schwalben weit, weit oben seine Kreise. Dank dieser Geschichte habe ich in Rumänien schon neidische Blicke geerntet. Wer in die Schusslinie eines Vogelgeschäftes gerät, gilt hier als eine vom Glück begünstigte Person. So lässt sich der Sonnenuntergang und die Vorfreude aufs „Heimkehren“ sehr entspannt über den Dächern von Bielefeld genießen.

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 Tag 8 und 9:

Es geht los! Endlich! Ich freue mich sehr! Am Nachmittag verabschieden wir uns von den deutschen Gastfamilien. Es werden ein paar Tränchen verdrückt und Versprechen ausgesprochen sich im nächsten Sommer wieder zu sehen. Auf dem Bahnsteig spricht mich ein Vater an: „Kennen Sie denn Steffen? Der ist doch auch als Freiwilliger in Rumänien!“ „Ja, den kenne ich!“ „Dann grüßen Sie ihn mal ganz herzlich von uns!“ „Mach ich!“ Die Welt ist so klein.

Der Zug bringt uns zum Dortmunder Flughafen, von wo wir uns in die Lüfte in Richtung Bukarest erheben. Um Mitternacht osteuropäischer Zeit landen wir und sausen kurz daurauf mit dem Taxi über die leeren Boulevards zum Hauptbahnhof. Alles ist so vertraut und es fühlt sich an, als ob ich nie weg gewesen wäre. „Willkommen zurück“, sag‘ ich zu mir selbst. Nach weiteren Stunden des Wartens und drei Stunden Zugfahrt, bin ich wieder in Craiova. Es fühlt sich großartig an!

 Tag 11:

Ich stehe im Lehrerzimmer von „Elena Cuza“. „Jelena, du bist wieder da! Lass dich mal anschauen. Du hast abgenommen… Das sieht gut aus!“ Ich muss lachen. In Deutschland klangen die Begrüßungen zwar ähnlich, aber irgendwie auch anders: „Jelena, du hast abgenommen… „Schaust aber trotzdem gut aus!


 Das Leben ist unvorhersehbar. Vorhersehbar unvorhersehbar. Das macht es so aufregend. Besonders dann, wenn es einen mit einem Mal aus seiner kleinen Welt herauskatapultiert. Letzten September war „kulturweit“ mein Katapult, das mich schlagartig in eine andere Kultur, Lebenswelt und Wirklichkeit brachte. Ich habe es mir ausgesucht und nicht ein Mal bereut. Tagtäglich Überraschungen, lernen, akzeptieren, verstehen und selbst Hand anlegen – das sind die Herausforderung und der Spaß, den mir mein Freiwilligendienst bereitet. Es ist wohl die Ironie des Schicksals, die mich recht spontan für kurze Zeit aus meiner kleinen rumänischen Welt herauskatapultierte – auf vertrautes Terrain, nach Deutschland. Und entgegen meiner Erwartung wurde auch dies zu einer großen Herausforderung. Zurück in Rumänien sehe ich jetzt vieles mit anderen Augen und lasse mich wieder überraschen.  Das Leben ist eben wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man bekommt.

Viele Grüße aus Craiova!

1 Comment

  1. Clemens

    Das ist eben der Unterschied zwischen einer Reise rumänischer und einer Reise bulgarischer Schüler_innen nach Deutschland. Die Rumänen_innen wohnen bei Gasteltern, tanzen und organisieren Kulturabende. Die Bulgaren_innen quartieren sich in schäbigen Motels ein, trinken und kaufen die Fan-Shops vom FCB und von BMW leer…^^

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