Niemand kann mir nehmen, was ich getanzt habe.

Es ist Donnerstagabend. Ich bin in Bukarest. Um mich herum herrscht australisch-französich-chinesisch-japanisch-deutsch-amerikanisch-rumänisches Sprachchaos. Dann erklingt Musik und wir tanzen. Es ist Freitagabend in Craiova. Wir treffen uns zum Language-Cafe in einer Bar, doch die Musik ist viel zu laut zum reden. Wir tanzen. Samstagmorgen in Craiova: Es ist tolles Wetter und zusammen mit anderen fröhlichen Menschen ziehen wir durch die Stadt und tanzen. Sonntagmittag in Craiova. Vor dem Theater treffen sich 40 Schüler von „Elena Cuza“ und tanzen.

Schon lange habe ich nicht mehr so viel getanzt. Es ist ein fester Bestandteil meines Alltags und der Kultur, in der ich lebe. Die Rumänen sind, wenn man das so verallgemeinern kann, ein sehr feierfreudiges Völkchen und tanzen ist ein gemeinschaftliches Ereignis. Wer da auf seinem Platz sitzen bleibt, ist uncool. Ein paar Minuten Hora (traditioneller Reigentanz) sind absolut unbezahlbar. Für einen Moment entsteht eine Gemeinschaft, die aufnimmt und fest zusammenhält. Hora ist allgegenwärtig: auf der Weihnachtsfeier der Lehrer, auf dem Stadtfest, im Club oder in der eigentlich viel zu engen Bar. Generell tanzt jeder mit jedem und auch der einsame Philosophielehrer, der sich unter das junge Volk gemischt hat, gehört für eine Weile dazu.

Auch wenn ich sprachlich inzwischen für mein Leben hier in Rumänien ganz gut ausgerüstet bin, so ist es dennoch oft alles andere als leicht. Worte suchen, Missverständnisse ausräumen, Witze erklären müssen. „Der Tanz ist ein Gedicht und jeder seiner Bewegungen ist ein Wort“, soll Mata Hari ein Mal gesagt haben. Zwar hat nicht jeder Tanz und jeder Tänzer in meinen Augen etwas lyrisches, trotzdem ist es eine sehr leichtfüßige Art der Kommunikation.

 

Happy

Fröhlichkeit liegt in der Luft. Was mit Pharrell Williams und seinem Song „Happy“ in L. A. begann und sich langsam ausbreitete, hat inzwischen auch seinen Weg nach Craiova gefunden. Überall auf der Welt sind in den letzten Monaten Videos von Menschen entstanden, die fröhlich zu Williams Lied durch ihre Stadt hüpfen und wippen.

Craiova wird von seinen Bewohnern oft als langweilig und trist beschrieben und Rumänien gilt in vielen deutschen, französischen, (…) und britischen Köpfen auch nicht gerade als Ort der Fröhlichkeit. Umso mehr freue ich mich deswegen als sich an diesem Samstagmorgen eine Gruppe von kreativen, lebenslustigen Menschen vor dem Theater trifft, um ein wenig gute Laune in dieser Stadt zu verbreiten. Vom Theater ziehen wir zur Universität, von der Universität ins Stadtzentrum, von dort zu „Elena Cuza“ und in die Parks.

Entstanden ist dabei ein Video, das davon zeugt, dass diese Stadt alles andere als langweilig ist. Und dass es hier durchaus Menschen gibt, die sich in diesem großen, großen Dorf wohlfühlen. WE ARE HAPPY IN CRAIOVA!

kulturweit-bewegt-Flashmob

Am nächsten Tag stehe ich wieder vor dem Theater, dieses Mal zusammen mit Schülern von „Elena Cuza“ und einigen Freunden. Zusammen haben wir in den letzten Monaten einen Flashmob im Rahmen von „kulturweit-bewegt“ geplant. „kulturweit-bewegt“ ist ein Projekt dreier „kulturweit“-Freiwilliger, an dem andere Freiwillige auf der ganzen Welt mitmachen. Die Idee ist es, in den unterschiedlichen Einsatzländern und –städten zu einem Remix von „On Top of the World“ von Imagine Dragons zu tanzen, dies zu filmen, so dass am Ende ein internationales und interkulturelles Musikvideo entsteht. Botschaft und Idee sind denen der „Happy-Kampagne“ letztendlich sehr ähnlich. Es ist wieder das Tanzen, das als universelle Sprache Menschen aus aller Welt miteinander verbindet und aus ihnen eine große Gemeinschaft entstehen lässt, die positive Energie versprüht.

Dass ich jetzt, hier, heute umringt von 40 Schülern stehe und Craiovas Zentrum flashmobbe, daran habe ich zwischenzeitlich meine Zweifel. Nicht nur das Wetter macht mir Sorgen, auch die Auffassung, dass Schule mehr mit Frontalunterricht als mit eigenen Ideen und selbstständigen denken und handeln zu tun hat. Diese Auffassung vertreten aber gar nicht nur die Lehrer, sondern auch viele Schüler, die es meist nicht anders gewöhnt sind. Aktivität verlangt definitiv mehr Energie als Passivität. Zu verstehen, dass es sich trotzdem lohnt mutig zu sein, versuchen Dinge zu verändern oder Träume zu verwirklichen, dass geschieht nicht von heute auf morgen. Von den eingeplanten 120 bis 150 Schülern tanze ich deswegen zwar „nur“ mit gerade ein Mal einem Drittel, bin davon aber kein bisschen enttäuscht.

Zu dritt starten wir den Flashmob auf dem großen Platz und nur langsam, etwas schüchtern und steif gesellen sich die anderen zu uns. Doch nach und nach entspannen sich alle und sind stolz darauf, dass um uns herum Passanten stehen bleiben und uns begeistert zusehen. Besonders freut mich, dass spontan Ideen für Fotos und das Video entstehen und die Gruppe sich vollkommen alleine organisiert. Nach zwei Stunden bin ich unheimlich müde, froh und stolz. Es ist toll zu sehen, dass die Schüler ganz offensichtlich Spaß haben und sich die Arbeit gelohnt hat!

 

zwei Schritte vor, einer zurück

Ich stehe in der Post und möchte ein Paket nach Deutschland verschicken. Da es keine Paketboxen auf der Post gibt, habe ich – wie mir empfohlen wurde – eine kleine Schachtel in weißes Papier eingewickelt und als Paket umfunktioniert. Das interessiert die Beamten allerdings nur wenig. Was in dem Paket sei, werde ich gefragt. Ich schaue irritiert. Mit dem Waren des Briefgeheimnis hat das nur wenig zu tun. Ob ich Medikamente verschicke. Ich verneine und erkläre stotternd, dass das Geschenke seien. Was für Geschenke? Ich mache mir keine großen Gedanken und erkläre wahrheitsgemäß, dass sich in dem Paket auch Lebensmittel befinden, schließlich ist das Exportieren von Lebensmitteln ins EU-Ausland normalerweise gestattet, solange sie nicht zum Verkauf verschickt werden. Nur diesmal wohl leider nicht. Geht nicht, sagt die Beamtin und widmet sich dem nächsten Kunden. Ich stehe ziemlich fassungslos da. Was mich vor allen Dingen sauer und traurig macht, ist, dass keiner versucht mir die Gründe zu erklären oder mir Alternativen nennt. Meine  Enttäuschung und Wut ist mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn einer der Beamtinnen bekommt Mitleid. Ich soll alles in einen Umschlag umpacken. Und zwar vor aller Welt. Zwar bin ich ihr dankbar, dass sie mir hilft, aber dass nun jeder in der Post sieht, was eigentlich meine private Angelegenheit ist, finde ich extrem unangenehm. Schlussendlich macht sich das Päckchen doch noch auf den Weg nach Deutschland und ich bin um eine Erfahrung reicher. Es sind gerade solche Situationen, die mich daran erinnern wie ich behandelt werden möchte und deswegen andere behandeln sollte. Nämlich mit Respekt, Offenheit und ein wenig Geduld.

Seit 6 Monaten lebe ich nun schon als „kulturweit“-Freiwillige hier in Craiova (m)einen routinefreien Alltag. Einen Alltag, der manchmal spektakulär unspektakulär ist, der mich oft in seiner  vorhersehbaren Unvorhersehbarkeit aus der Fassung bringt und dabei meinen Horizont jeden Tag um ein paar Zentimeter erweitert. Der Gedanke, dass ich mich in genau einem halben Jahr auf den Weg nach Deutschland befinde, macht mich jetzt schon traurig. Ich bin gerne hier. Denn all die glücklichen Momente sind so viel gewichtiger als die frustrierenden. Und was ich getanzt habe, kann mir niemand nehmen (Spanisches Sprichwort).

 

Viele Grüße aus Craiova!

 

 

3 Comments

  1. Doris Grallert

    Die Freude am Tanzen hast Du wohl von Deiner Mama geerbt.. Wir freuen uns, daß Du so schöne Erlebnisse hast. Das kann ich aber auch von uns berichten, Wir waren vorige Woch in Prag zum Prager Kulturkaleidoskop (Konzert, Oper und Balett) Es war wieder wunderbar! Es grüßen und umarmen Dich Opa und Oma

  2. Stefan

    Jele,

    was kannst Du Besseres haben, als routinefreien Alltag an einem Ort, wo Du gerne bist?
    Be happy now! Das Glas ist doch noch halb voll, die Fünfjahresoption mal nicht mitgerechnet.

    Das Video ist der absolute Knaller. In der letzten halben Stunde haben es 300 Leute angeschaut! Wow.

    Begeisterte Grüße,

    Stefan

  3. Mama

    Liebste Jelle,
    „Tanzen ist träumen mit den Füßen“…auch so ein toller Spruch, der viel Wahrheit birgt! Also: move the world and rock Romania…ich wünsche Dir noch ganz viele fröhlich vertanzte, die unterschiedlichsten Menschen verbindende Momente, die dir helfen die enttäuschenden und frustrierenden zu überhüpfen :-D
    Deine mit dir „swingende“ Mama

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