Doamna, wo sind Sie? / Acasă 2.0

„Doamna, wo sind Sie denn? Wir finden Sie nicht! Was…? Nein, wir sind im Hof! Wir sollen nach vorne kommen?… Nein, können wir nicht, wir sind im Taxi. Kommen Sie nach hinten? … Wo? Wir sehen Sie immer noch nicht!“ Ich sitze auf dem Weg zu einer weiteren Wohnungsbesichtigung zusammen mit der Maklerin, Silvia und einem engagierten, aber inzwischen etwas entnervten Taxifahrer in dessen Taxi. Seit einer Viertelstunden kurven wir nun schon vorwärts und rückwärts durch einen unglaublich verwinkelten, engen Hinterhof und finden den Eingang nicht. Aussteigen und einfach mal schauen kommt nicht in Frage. Wir müssen bis zur Haustür fahren. „Wir sind im Taxi, Sie können uns gar nicht übersehen!“ Das stimmt allerdings. Dem Taxifahrer reicht es. „Jetzt geben Sie mir doch bitte mal dieses verflixte Handy! Ich kläre das…“ Genau eine Minute später stehen wir vor der Vermieterin.

Craiovas Taxifahrer: Tag für Tag schlengeln sie sich mit einer Engelsgeduld durch das Verkehrschaos dieser Stadt, bringen die sperrigsten Gepäckstücke in den kleinsten Kofferräumen unter und machen nachts um 1 Uhr auch schon mal Grammatikübungen mit mir um meine Rumänisch -Kenntnisse etwas aufzupolieren. Taxifahren ist nicht viel teurer als Busfahren, dafür aber oft deutlich schneller und das Normalste der Welt. So wie sich jeden Morgen Millionen von deutschen Schülern auf ihr Fahrrad schwingen  um zur Schule zu kommen, so steigen zur selben Zeit viele junge Rumänen ins Taxi.

acasa 2.0

Die Vermieterin im obligatorischen Pelzmantel führt uns in einen wenig vertrauenswürdigen Aufzug. Ruckelnd und ächzend geht es hoch hinauf. So hoch hinauf, dass es im Treppenhaus leider kein Licht (mehr) gibt. Die Wohnung, in der ich dann stehe, ist wirklich groß und hat drei Balkone von den nur zwei genutzt werden dürfen. Den Verdacht,  dass der dritte einsturzgefährdet ist, äußern wir lieber nicht. Da hat mir die Wohnung, die wir uns zuvor angeschaut haben, besser gefallen. Im Gegensatz zu diesen Räumen alles andere als spärlich möbliert, gemütlich und mit unwiderstehlichem 60er-Jahre-Charme.

Zwei Tage später steht fest, das genau dieses kleine Antiquitätenlager in wenigen Wochen schon mein neues Zuhause sein wird. Die Aussicht auf warmes Wasser, Kühlschrank und Herd versetzen mich in eine kleine Euphoriewelle. Als ich am Ende der Woche den Mietvertrag unterschreibe, komme ich aus dem Grinsen nicht mehr hinaus. „You seem to be a very happy person!“, stellt einer der Agenturmitarbeiter absolut richtig fest.

 

Ninge

Freitagabend beginnt es zu schneien. Auf dem Weg zum „Language Cafe“, einem wöchentlichen mehr oder weniger internationalen Treffen, bedeckt eine erste dünne Schicht die Straßen. Ein paar Stunden später auf dem Weg nach Hause ist die Schicht nicht mehr ganz so dünn und am nächsten Morgen ist der Weg aus dem Wohnheim schon ein echtes Abenteuer. Ich versinke bis zu den Schienbeinen im schönsten Neuschnee. Habe ich letztes Mal etwas von Sonnenschein geschrieben? Die Sonne ist in diesen Tagen jedenfalls nicht zu sehen. Nicht  einmal die Schule. Dafür aber die kleinen Eiszapfen an meinen Wimpern. Nicht schlecht.

Dass am nächsten Tag schneefrei ist, passt mir überhaupt nicht ins Konzept. Es ist die Woche vor den Ferien und ich wollte eigentlich genau heute mein aktuelles Projekt voranbringen. Craiova friert ein und damit auch sein Alltagsgewusel und sein Verkehr. Für kurze Zeit steht das Leben still. Es ist eine weitere Lektion in Geduld, aber eine gute. Der Mensch muss wohl ab und zu daran erinnert werden, dass er nur ein kleines Staubkorn in diesem Universum ist, dessen Treiben sehr einfach Einhalt geboten werden kann.

Am Dienstag tanze ich dann doch mit 80 Schülern durch die Aula von „Elena Cuza“ und erkläre den Ablauf des Flashmobs, der für Mitte Februar geplant ist. Der Tag darauf ist wieder schulfrei, allerdings nur für die Schüler, denn heute müssen die Noten eingetragen werden. Die Schule gleicht einem surrenden Bienenstock. Wer denkt, hier herrsche mediterrane Gemütlichkeit, der irrt. Lehrer hetzen durch das Lehrerzimmer auf der Suche nach dem passenden Katalog: ein großes, schmales Buch, in das sämtliche Noten einer Klasse eingetragen werden. Ich stehe mitten in diesem Chaos und schaue staunend zu. Dass ich heute nicht an die Informationen komme, die ich brauche, ist klar. Na, dann eben morgen.

Dafür geht es mit einem der Videos, die Schüler als Teil des Heimatprojektes drehen, voran. Dafür werden Deutschlehrer interviewt und die technischen Möglichkeiten eines ausgeschalteten Mikrofons erforscht. Die Woche neigt sich ganz im Zeichen Europas ihrem Ende zu. „Europeans for Peace” ist ein Programm, das den Dialog zwischen jungen Deutschen, Osteuropäern und Israelis fördern soll. Dafür reichen einige Deutschschüler ihre Projektarbeiten ein, die nun fertig gestellt werden müssen. Das bedeutet für mich Korrekturlesen, Übersetzungsarbeit leisten und Frage und Antwort stehen.

 

Acasa 2.0

Am Freitag kriege ich zudem netten „kulturweit“-Besuch. Das erste Mal kann auch ich jemanden stolz „meine Stadt“ zeigen, die nach wie vor von einer dicken Schneeschicht bedeckt ist. Craiova wird immer mehr zu „meiner Stadt“ und meinem Zuhause. Dazu trägt der Umzug am folgenden Wochenende bei. Die neue Wohnung ist in einem familiären Wohngebiet, umringt von kleinen Geschäften. Ich wohne jetzt zwar nicht mehr „Centru Centru“, wie man hier so schön sagt, sondern nur noch im „Centru“, aber dafür spürt man hier den Puls des Lebens und des Alltags. Nach einem knappen halben Jahr habe ich nicht mehr das Gefühl zu Besuch zu sein, sondern wirklich anzukommen. Kontakte sind geknüpft, auf der Straße grüße ich und werde gegrüßt und die Gemüseverkäuferin weiß, dass wenn ich wieder mal ausversehen „tomate“ sage, „roșii“ meine.

Es sind nun eine Woche Winterferien, die das Ende des Halbjahres besiegeln. Ich fahre für ein paar Tage nach Bukarest. Im Hostel herrscht ein buntes Gewusel: Australier, Japaner, Südkoreaner, Moldaven, Ukrainer, Amerikaner, Rumänen, Kanadier, Chinesen und mittendrin ich. „Aus welchem Land kommst Du?“ „Deutschland.“ „Oh wow! Wo da?“ „Aus der Nähe von Frankfurt“ „Ja, das kenne ich! Und was machst Du gerade?“ „Ich bin für ein Jahr Freiwillige in Craiova, hier in Rumänien.“ „Interessant! Und was machst du genau?“ „Ehm ja, ich bin an einer Schule und entwickle zusammen mit Deutschschülern Projekte.“ „Und was ist deine nächste Station nach Bukarest?“ „Ich fahre wieder zurück nach Hause.“ „Echt?! Ich wollte auch am Wochenende nach Deutschland!“ „Ehm, wie bitte?„Ich sagte, ich will auch am Wochenende nach Deutschland fahren.“ „Eh, achso. Ich sprach aber eigentlich von Craiova…“

Viele Grüße aus Craiova!

 

 

2 Comments

  1. Stefan

    Da muß ich doch ganz schnell an das Vorsatzblatt der „Wunderbaren Jahre“ denken:

    „Weil unser einziges nest unsere flügel sind“

    Nicht besonders gemütlich, aber die auf Dauer einzig sichere Kiste.

    Dann kuschel Dich mal schön drin ein.

    Neidisch um den Schnee,

    Stefan

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