Staunend sitze ich dann in Berlin am Gate und frage mich, wann ich das letzte Mal so viele Menschen gesehen habe, denen anzusehen ist, dass sie alles haben, was sie brauchen. Und noch mehr. Sehr viel mehr. Ich denke, das war irgendwann Anfang September 2013.
Gegenwind
Staunen muss ich auch über die sorgenvollen Diskussionen, die in Deutschland gerade geführt werden, weil ab dem 1. Januar 2014 volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren im gesamten EU-Gebiet gilt. Ein Welle von… Ja, wer oder was wird denn jetzt genau befürchtet? Dass in nächster Zeit mit einer stärkeren Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren zu rechnen ist, schadet zu aller erst Rumänien und Bulgarien und nicht Deutschland. Denn meist sind es junge, gutausgebildete Menschen, die sich auf den Weg gen Westen machen, weil sie in ihrem Heimatland für sich keine Perspektive sehen. Mediziner, Ingenieure, Informatiker: Fachkräfte, die in Deutschland händeringend gesucht werden.
Ich habe den Eindruck, dass manch einer in der Debatte Grundlegendes zu vergessen scheint: Der „Gegenstand“ der Diskussion sind Menschen! Menschen, die wie alle anderen auch gewisse Bedürfnisse, Wünsche, Träume und Ängste haben. Und dass es kein Leichtes ist in einem fremden Land ganz neu zu beginnen, auch wenn es noch so verlockend wirkt. Es ist eine schwere Entscheidung und kein leichter Weg, aber wenn die Hoffnung stärker ist als der kalkulierte Verlust, nimmt man das in Kauf. Vermutlich ist es dieser Gedanke, der momentan so viele von Osten nach Westen, von Süden nach Norden bewegt.
Für die größte Irritation und Unsicherheit sorgen wohl die mittellosen Familien, die auf der Suche nach einem besseren Leben per Bus in Städten wie Frankfurt am Main „stranden“. Aus der Ferne betrachtet, wirkt das naiv. Nur, wer in der Heimat nichts hat, nicht mal Hoffnung, der geht. Dass sich momentan nur wenige Deutsche in solch einer Lage befinden, ist reines Glück und wird sich auf kurz oder lang wieder ändern. Sicher ist auch, dass das Ziel der meisten, die in solch einer prekären Situation nach Deutschland kommen nicht ist, die Sozialkassen zu plündern. Wer Sozialhilfe beantragen möchte, muss zuvor gearbeitet und selber eingezahlt haben. Und man muss es wollen. Denn so wie ich es hier erlebe, gehen die meisten nach Deutschland um etwas zu erreichen. Sie wollen sich und anderen beweisen, dass das auch für sie, als Rumänen, möglich ist. Trotz all dem deutschen Gegenwind, der uns sogar noch hier in Craiova um die Nase pfeift. Ein Antrag auf Sozialhilfe wäre ein Zeichen des Scheiterns.
Der Spagat
Einerseits bin ich sehr froh an Weihnachten daheim zu sein, aber andererseits ertappe ich mich auch immer wieder bei der Frage: „Und wie ist es gerade zu Hause?“ Dass ich Craiova inzwischen als mein neues zu Hause ansehe, wird mir während dieses Besuchs besonders deutlich. Ich stehe zwar mit beiden Beinen auf deutschen Boden, aber mit einem Fuß bin ich mental 1000 Meilen weiter östlich unterwegs. Es ist also wieder dieser Spagat vom Anfang, den ich während der 10 Tage vollbringe und der jetzt noch sehr viel mehr zieht als im August. Mit der einen Fußspitze in Frankfurt, mit dem anderen Fuß in Craiova und der Kopf ist irgendwo dazwischen.
Am 30. Dezember mache ich mich gemeinsam mit einer Freundin und
Budapest
Budapest gefällt mir auf Anhieb. Auch wenn es schon dunkel ist, als wir ankommen. Die kleine Wohnung, die wir uns in den nächsten Tagen mit anderen „kulturweit“-Freiwilligen teilen, ist in einer ruhigen Straße, zu der wir mit der Tram fahren. Auch die ungarische Sprache gefällt mir wegen ihren ewiglangen Wörtern und ihrem warmen Klang. Nur Forint, die ungarische Währung, verwirrt mich sehr. Aber auch das mag ich.
Die Stadt sprudelt regelrecht vor Energie und Kreativität. Später am Abend erkunden wir noch ein bisschen das Nachtleben: viel multikulti und Gedränge auch an einem Montagabend. Den nächsten Tag beginnen wir in der großen Markthalle in Pest. Frischer Fisch, bestickte Tischdeckchen, Souvenirs: Hier gibt es alles, was das Herz begehrt. Vor allen Dingen natürlich das Touristenherz.
Denn im Gegensatz zu Bukarest, mit dem Budapest oft in einem Atemzug genannt oder auch vertauscht wird, ist Ungarns Hauptstadt eine echte Touristenhochburg. Schnell ist klar, dass wir nicht die einzigen Deutschen in dieser Stadt sind. Sowohl bei Kulturinteressierten älteren Semesters, als auch bei jungen Hipstern ist Budapest beliebt. Bei Ersteren wohl vor allen Dingen wegen den Schlössern, der Burg, der Donau, den alten Stadthäusern und anderen geschichtsträchtigen Gemäuern wie der Markthalle, in der wir gerade stehen. Bei den jungen, auf das sorgfältigste gekleideten Herren vermutlich auch aufgrund der vielen alternativen Bars und Clubs und dem internationalen Publikum. Hier spürt man gerade so viel Balkan, dass man nicht vergisst und darauf stolz sein kann, sich weiter in den Osten gewagt zu haben als die Freunde und Verwandten. Diese sind vermutlich gerade in Berlin, Rom, Wien, Paris und London unterwegs.
In den nächsten Stunden führt uns Aliena, die Freiwillige in Budapest, ein Mal durch die ganze Stadt: Das jüdische Viertel samt Synagoge, der Budapester Weihnachtsmarkt, wo wir Langalló probieren, die Basilika, der Heldenplatz und die Burg. Zum Entspannen treffen wir uns anschließend in einem Café, in dem man während man an seinem Kaffee nippt, angeblich mit hier lebenden Katzen kuscheln kann. Die Katzen haben allerdings wenig Lust auf Streicheleinheiten und schlafen lieber auf den Tischen.
Und dann sind es nur noch wenige Stunden bis zum neuen Jahr, in das wir mit einem sagenhaften Blick auf die Donau gemeinsam hinein feiern.
Boldog Ùj Évet Kívánok! La mulți ani! Ein frohes neues Jahr 2014!
Die folgenden zwei Tage verbringen wir mit essen (ungarische Wurst und Palatschinken!), Kofferpacken, Schlittschuhlaufen und mal wieder: bahnfahren.
Weiter geht es nach Arad, von wo ich mich nach einem kleinen Zwischenstopp und einer schnellen Stadtführung auf den Weg zurück nach Craiova mache. Weitere sieben Stunden Fahrt bieten viel Zeit um die gesammelten Eindrücke und Bilder der vergangenen, unglaublich ereignisreichen zwei Wochen Revue passieren zu lassen. Meine Sitznachbarin versorgt mich in der Zwischenzeit ganz selbstverständlich mit selbst gebackenen Kuchen. Für solche Momente lohnt es sich, sich auf den Weg zu machen. Auch wenn ich unglaublich müde bin, als draußen in der Dämmerung das Eiserne Tor an der serbischen Grenze vorbeizieht, bin ich sehr dankbar dafür, was ich alles in dem letzten Jahr und in den letzten drei Monaten erlebt habe. Mein Horizont hat sich erweitert, ich bin wesentlich strapazierfähiger und neugieriger geworden. Es ändert sich gerade vieles, was nicht immer leicht ist. Aber wie heißt es so schön: Du musst dein Ändern leben.
Verändert hat sich auch das Aussehen dieses Blogs. Etwas unfreiwillig zwar, aber mit einem letztendlich zufriedenstellenden Ergebnis. Und welche großen Veränderungen sind schon groß geplant?
Viele Grüße aus Craiova!