Angekommen in Brașov folgt zunächst eine kleine Odyssee. Die Tatsache, dass ich eine falsche Adresse herausgesucht habe, wir diese erst nach über 60 Minuten finden und uns dann zur richtigen Adresse aufmachen, kostet uns fast zwei Stunden. Macht nichts, so merke ich wenigstens ein Mal wieder, dass ich im Großen und Ganzen noch ganz die Alte bin.
Das Hostel, in dem ich mit 9 anderen „kulturweit“-Freiwilligen das Wochenende verbringe, liegt in Brașovs Zentrum, der Altstadt. Und allein das halte ich schon für absolut bemerkenswert! Craiova hat zwar einige altehrwürdige Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, doch Plattenbauten der 1970er und 1980er Jahre überwiegen deutlich. Nicht, dass das schlimm wäre, es ist einfach anders. Und nicht nur das ist anders. Durch Rumänien scheint eine unsichtbare Linie zu verlaufen, die Gut von Böse zu trennen scheint. Sie schließt Siebenbürgen (Transsilvanien), ein Teil des Banats und damit die großen Städte Sibiu, Cluj, Timișoara und auch Brașov ein, die auf der „guten Seite“ liegen. Und wo liegen dann alle anderen laut dieser sehr einfachen Denkweise? Richtig!
schwarz – weiß
Dies alles klingt sehr nach Schwarz-Weiß-Malerei, die ich auf keinen Fall unterstützen möchte, aber in Rumänen so propagiert wird. Und dies nicht ganz ohne Grund. Die oben genannte Region, ist wirtschaftsstark und hat eine Vorbildfunktion für den Rest des Landes. Das liegt unter anderem an folgenden Faktoren:
- Die Region profitiert von dem Ski- und Wandertourismus in den Karpaten. Tourismus ist wichtig! Das merkt man schon daran, dass es überall Postkarten zu kaufen gibt! In Bukarest habe ich über zwei Stunden gesucht… Tourismus spielt in Rumänien, soweit ich weiß, ansonsten nur noch an der Schwarzmeerküste eine entscheidende Rolle. Wenn man sich jetzt noch ein Mal vergegenwärtig, wo Craiova liegt (blauer Punkt), kann man sich ungefähr vorstellen, wie touristisch es ist. Obwohl es ja Potential hätte – die Donau ist nicht sonderlich weit entfernt -doch dieses wird entweder nicht erkannt oder es fehlen schlichtweg die Ressourcen.
- In Siebenbürgen und im Banat lebt die deutsche Minderheit, was für deutsche Unternehmen, die nach Rumänien kommen, ein Grund ist sich dort anzusiedeln. Die Unternehmen bringen mehr Geld und Arbeitsplätze, außerdem holen sie Geschäftspartner ins Land, was für noch mehr Geld und Arbeitsplätze sorgt. Desweiteren bezahlen ausländische Unternehmen oft höhere Gehälter als inländische Unternehmen.
- Es ist deswegen keine große Überraschung, dass diese Region im Vergleich zum Rest des Landes – Bukarest ist als Hauptstadt eine Ausnahme – sehr westlich orientiert ist. Sibiu war 2007 Kulturhauptstadt Europas und hat dafür viel Geld und Ansehen bekommen. Der Sibiuer Weihnachtsmarkt – dies ist keine rumänische Tradition – ist unglaublich beliebt. Brașov ist mit einem Brașov-Schriftzug à la Hollywood geschmückt. Rașnov auch. Das Schloss Bran wirbt damit, das Heim des Grafen Draculas zu sein, welcher eine Erfindung des irischen Schriftstellers Bram Stocker ist. In Brașov und Sibiu habe ich sieben Tage am Stück ausschließlich Englisch und Deutsch geredet.
Dies alles unterscheidet diese Region deutlich vom Süden, Norden und Osten des Landes. Denn das ist das „richtige“ Rumänien und darauf ist nicht jeder stolz.
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Brașov & Umgebung
Endlich, endlich mit einiger Verspätung treffen wir die anderen Freiwilligen, die auf uns an der Seilbahn warten. Das letzte Mal haben wir uns vor zwei Monaten in Berlin gesehen, jetzt hier in Rumänien. Verrückte Welt. In einer schwankenden Gondel geht es rauf zum Brașov-Schriftzug auf dem Tâmpa, einer der Berge, von denen Brașov umgeben ist. Oben warten eine großartige Aussicht und ein weiterer spektakulärer Sonnenuntergang auf uns.Später beim Abendessen und noch später beim Drink tun wir unser Bestes uns gegenseitig die unendlich vielen Fragen zu beantworten, die wir alle haben: „Wie war es bei dir?“ „Was hast du erlebt?“ „Wie geht es dir?“ „Wie ist Ungarn/ Rumänien so?“ „Wie ist die Schule/die Arbeit/die Stadt/das Essen?“ „Ist es bei euch auch so, dass…?“
Für den Sonntag haben wir uns ein echtes Touristen-Programm vorgenommen, was uns fast ein Wenig peinlich ist. In einem Kleinbus fahren wir zusammen mit unserem Guide Vlad in Richtung der Südkarpaten. Unser erstes Ziel ist die Stadt Sinaia, welche für ihre Skipisten, das Kloster und das Schloss Peleș bekannt ist. Zu letzterem sind wir auf dem Weg. Peleș wurde Ende des 19. Jahrhunderts für den rumänischen König Carol I gebaut und war zu diesem Zeitpunkt das modernste Schloss Europas. Ausgestattet mit Zentralheizung, Elektrizität, fließendem Wasser und mehreren Aufzügen erfüllt es zu Anfang des letzten Jahrhunderts einen Standard, von dem auch heute noch so mancher Rumäne träumt.
In das große Schloss können wir nicht, weil dort gerade Restaurationsarbeiten stattfinden, aber das kleinere Schloss ist geöffnet. Dies war ein Hochzeitsgeschenk für den Neffen Carols I, dem späteren König Ferdinand von Rumänien und seiner Frau Queen Marie, die aus dem britischen Königshaus stammt und in ihrer späteren Heimat nach wie vor sehr verehrt wird. Sie muss eine sehr warmherzige, talentierte und gutaussehende Person gewesen sein und nach ihren Plänen wurde das Schloss eingerichtet. Wir freuen uns über unsere „Puuuuuschen“, die wir bekommen und darüber, dass das kleine Schloss Peleș eines ist, in dem man sich tatsächlich vorstellen könnte zu leben. Wenn man nur reich genug wäre. Und der ganz und gar mit Blattgold überzogene Aufenthaltsraum nicht ein Hauch zu viel des Guten wäre. Hätte, wäre, wenn…
Wir genießen noch ein Bisschen den Blick in die tiefen Wälder um uns herum. Das ist auch anders als in Craiova. Das einzige Waldähnliche, was es dort in näherer Umgebung gibt, ist die spärliche Ansammlung an Bäumen im Parc Romanescu und die zählt nicht. Außerdem sehe ich in Sinaia das erste „Rauchen verboten“-Schild in 2 ½ Monaten in Rumänien. Wer weiß wie leidenschaftlich und vor allen Dingen überall viele Rumänen rauchen, kann nachvollziehen, dass ein solches Schild fast an ein kleines Wunder grenzt.
Weiter geht es zum Schloss Bran, bekannt dafür Schauplatz des bekannten Romans „Graf Dracula“ von Bram Stocker zu sein. Es ist zwar beeindruckend, aber warum Stocker ausgerechnet dieses Schloss wählte, kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Und auch Vlad III, der aufgrund seiner Grausamkeit Modell für die Figur des Draculas gedient haben soll, hat sich hier wohl nur zwei Mal kurz aufgehalten.Das Schloss ist trotzdem ein Besuch wert. Es ist zwar nicht annähernd so komfortabel wie Peleș, aber Architektur und vor allem die Dachterrasse sind spektakulär!Es folgt ein Bummel über den Souvenirmarkt und ein kurzes Mittagessen. Und nicht nur ich habe Hunger…
Râșnov
Am späten Nachmittag kommen wir dann in Râșnov an. Dort bringt uns eine von einem Traktor gezogene Bimmelbahn zur Bauernburg hoch. Diese wurde irgendwann im 13. Jahrhundert gebaut und zu ihr gehört auch ein Brunnen, der ein Mal sage und schreibe 140 Meter tief war und an dem 20 Jahre lang gebaut wurde. Aus statischen Gründen wurde ein Teil des Brunnens zu betoniert, so dass er heutzutage „nur noch“ 6o Meter tief ist. Doch als unser Guide Vlad ein brennendes Stück Papier in den Brunnenschacht fallen lässt, wird deutlich, dass das tief genug ist.
Von der Bauernburg aus hat man einen atemberaubenden Blick auf Berge, Wälder und Täler. Und es bleibt mir nichts anderes zu sagen, als: Rumänien ist wunderschön! Das bedeutet nicht, dass ich Rumänien auf seine Landschaft reduzieren möchte. Keineswegs! Aber ich denke, dass die Schönheit des Landes vielen Deutschen nicht bewusst ist und so gar nicht zu dem gängigen, deutschen Bild von Rumänien passt. Es ist Zeit, dass sich daran etwas ändert!
Hatte Vlad morgens noch fröhlich verkündet, dass wir spätestens um 16 Uhr wieder nach Brașov aufbrechen, so muss er nun innerlich verzweifeln. Es ist 17 Uhr und wir tuckern mit einem Glühwein in der Hand mit der Bimmelbahn den Berg wieder hinunter. Wir Deutschen sind langsam, was das Glühwein trinken und das hundertfache Fotografieren anbelangt. Und da das große Schloss in Sinaia geschlossen ist, bringt er uns jetzt noch zu einer Tropfsteinhöhle. Nach einer halben Stunde warten in Eiseskälte geht es angeführt von einer gelangweilten Expertin im Schnellschritt für eine weitere halbe Stunde durch die Höhle.
Als wir um etwa 19 Uhr zurück in Brașov sind, ist nicht nur Vlad erleichtert. Wir sind müde und hungrig. Für das Abendessen ist dann zwischenzeitlich sogar frittiertes Gehirn im Gespräch, doch diese Idee ist schnell wieder vom Tisch. Auf den Tisch kommen dafür wenig später Sarmale cu Mămǎliga, Gemüsepfanne und Șnițel. Zum Nachtisch gibt es Papanași (Krapfen), Clățitele cu inghețata (Pfannkuchen mit Eis) und Galuste cu prune (Zwetschgenknödel). Life could be worse.
Gegen 10 Uhr machen sich ein paar von uns noch mal auf den Weg in ein Stadtviertel, in das angeblich mehrmals wöchentlich freilebende Bären kommen sollen, um sich an den Mülltonnen zu bedienen. Nach einigen Stunden kommen sie verfroren zurück. Einen Bären haben sie tatsächlich gesehen: den Ursus-Bären auf einem Werbefahrzeug für das gleichnamige Bier.
Schlamassel & Umwege
Vor unserer Abreise in Richtung Sibiu, wo unser „kulturweit“-Zwischenseminar stattfindet, steige ich mit zwei anderen „Rumänien“-Freiwilligen, Nina und Ulrike, auf einen weiteren Berg und schlendere anschließend noch ein Bisschen durch die Stadt.
Am Vormittag soll uns zehn dann ein Bus nach Sibiu bringen. Wir haben sogar extra Sitzplätze reserviert. Doch das interessiert den Fahrer des sehr schnell sehr voll werdenden Kleinbusses wenig. Er äußert sich etwas zusammenhangslos nicht eben freundlich über Amerikaner, für die er uns zunächst hält und auch die Tatsache, dass wir Deutsche sind, ändert nichts an seiner Einstellung uns gegenüber. Ihm geht es wohl mehr um Wirtschaftsordnungen als um Nationalitäten und nun ist endgültig klar, dass dieser Bus uns nicht nach Sibiu bringt. Auf der Suche nach Alternativen fällt auf, dass in einer der Taschen auf ein Mal weniger drin ist also zuvor. Das Schlammassel ist perfekt.
Ich möchte allerdings betonen, dass es die erste derartige Situation in 2 ½ Monaten in Rumänien ist und dass Ähnliches tagtäglich unterschiedlichsten Menschen in Deutschland passiert. Es ist ein schlechtes Gefühl aus Gründen, für die man als Person nichts kann, nicht akzeptiert zu werden. Diese Art von Inakzeptanz ist ein globales Problem, nur trifft sie manche öfter als andere. Ein Rumäne in Deutschland hat mit Sicherheit mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen als eine Deutsche in Rumänien.
Schließlich kommen wir doch noch nach Sibiu. Ein netter Herr bringt uns zu einem Bus, der zwar schon sehr voll ist, seiner Ansicht nach aber noch voller werden kann. So geht es eingezwängt zwischen Gepäck und freundlichen älteren Herren, die uns auf herzlichste Art und Weise Sitzplätze auf ihren Schößen anbieten, im raschen Tempo über löchrige Landstraßen in Richtung Westen.
Das Zwischenseminar
In Seminarhaus werden wir schon von den anderen 11 „kulturweit“-Freiwilligen aus Ungarn und Bulgarien, den beiden Trainerinnen, sowie Katze und Hund erwartet. In den kommenden fünf Tagen geht es um alles, was uns bisher als Freiwillige beschäftigt. Was ist gut? Was ist schwer? Wie motiviert man lustlose Schüler? Wie reagiert man auf offenen Rassismus gegenüber von Minderheiten? Wie haben wir uns verändert? Was verändern wir? Was wollen wir verändern? Und verändern wir überhaupt etwas? Neue Projektideen werden geboren, alte verworfen und Projekte-Teams bilden sich. Am Ende der Woche sprüht der Seminarraum nur so vor farbenfrohen, kreativen Chaos. Zwischendurch bleibt noch Zeit Sibiu und das hiesige Nachtleben zu erkunden, Streicheleinheiten an die Tiere des Seminarhauses zu verteilen und ein „kulturweitbewegt“-Video aufzunehmen.
Die Rosine
Am Freitag fahre ich zwar etwas wehmütig, aber vor allen Dingen motiviert zurück nach Craiova. Die vergangenen Tage haben mir neuen Schwung und viele Ideen gegeben und ich bin gespannt wie sich das „Heimat-Projekt“ entwickelt, das am darauffolgenden Morgen beginnt. Ich habe mir vorgenommen mehr zu reisen und jeden kleinen Schritt, den ich tue, zu feiern.
Craiova wirkt verglichen mit Sibiu wie eine Rosine. Bitter-süß und etwas verschrumpelt. Ein sehr lieber Taxi-Fahrer bringt mich vom Bahnhof zur Schule. Er beäugt neugierig meine Gitarre, die ihren Platz auf dem Beifahrersitz gefunden hat. Wir kommen ins Gespräch. An der Schule angekommen, wünscht er mir zum Abschied alles Gute und meint, dass wir ja vielleicht in den nächsten Monaten noch öfter gemeinsam taxifahren. Solche süßen Momente machen glücklich und die Gewissheit, dass es Menschen in dieser Stadt gibt, die darauf gewartet haben, dass ich zurück komme auch. Ich habe dich vermisst, Rosine!
Viele Grüße aus Craiova!