Freitagnachmittag geht es mit einem alten deutschen Stadtbus, der dort wohl mal vor vielen Jahren ausrangiert wurde, aus Craiova hinaus aufs Land. Unsere Ziel ist Bucovăț , eine kleine Gemeinde, in die uns Alina einlädt, die hier wohnt. Hoppelnd bringt uns – Alina, Tibi, Yu Ning und mich- unser Bus über die Brücke. Unter uns fließt gemächlich der „Jiu“ dahin. Der Anblick täuscht. Im Winter führt dieser regelmäßig so viel Wasser, dass Randbezirke von Craiova und die dazugehörigen Felder unter einer großen Wasserlache verschwinden.
Nach 30 Minuten öffnen sich ächzend die Bustüren und wir stehen im Kern der „4000 Seelen – Gemeinde“. Hier gibt es eine Lederfabrik, kleine Lebensmittelgeschäfte und das ebenfalls ziemlich kleine Rathaus. Alina wohnt oben auf dem Berg – übrigens den, den wir letzte Woche vom Dach des „Merkur“ aus gesehen haben – also kämpfen wir uns blinzelnd, der strahlenden Sonne entgegen, hinauf. Uns kommt ein Pferdekarren entgegen und hält kurz an. Nach einigen Ruckeln und Zuckeln an Rädern und Karren geht es weiter. „Technische Komplikationen“, kommentiert Tibi grinsend. Die kreuzgeschmückte Quelle für die wir einen kleinen Umweg machen, versorgt hier oben diejenigen, die kein fließendes Wasser haben.
An Alinas Haus angekommen, haben wir einen herrlichen Blick über das ganze Dorf. Um uns herum sind nur Häuser und Felder. Mir fällt auf, wie sehr ich das vermisst habe. Auch wenn es in Craiova an jeder zweiten Straßenecke einen Park zu geben scheint, ist es doch immer laut und hier mit verglichen städtisch. Jetzt hört man nur die Vögel, die beiden Hunde, die uns um die Beine wuseln und den Traktor, der vorbei knattert.
Die Küche im Erdgeschoss, in die wir nun gehen, hat zum Erstaunen von Yu Ning und mir einen extra Eingang und ist nicht mit dem Wohnbereich verbunden. Dessen Eingang befindet sich im 1. Stock, eine übliche Bauweise in der Region.
Während wir unseren „Suc“ (wörtlich: Saft), also unsere Cola trinken, zeigt Alina Familienfotos. Bilder von Hochzeiten, Geburtstagsfesten und vom Schlachten des Weihnachtsschweines. In der Zeit kocht Tibi unser Mittagessen. Es gibt Spaghetti Bolognese nach rumänischer Machart: das Hackfleisch wird einfach durch rumänische Wurst ersetzt. Lecker!
Ein bisschen schwerfällig machen wir uns etwa später auf den Weg ins Nachbardorf, das noch etwas höher liegt. Von dort aus hat man einen einmaligen Ausblick in Richtung Craiova und Region. Unsere Entscheidung gegen die Straße und für den Trampelpfad hat zur Folge, dass wir bald durch schönsten Schlamm laufen. Der Weg endet auf der Dorfstraße, wo gerade jemand ein Pferd einspannt. Ich schaue mich fasziniert um. Alte Häuser mit Schwarzweiß-Fotografien von Verstorbenen an der Fassade, Männer mit Schubkarren, die gemeinsam ein neues Haus bauen. Ein anderes Haus, von dessen Dach nur die Giebel übrig sind. Zwei alte Frauen, mit bunten Kleidern und Kopftüchern schwatzen, ein älterer Herr holt Wasser am Brunnen, ein anderer treibt mit viel Geschrei seine Kühe und Ziegen durch das Dorf. „Das ist jetzt aber ein richtiges Dorf“, meine ich ein bisschen naiv. „Tja, eure Dörfer in Deutschland sind ja auch auf dem Standard unserer Städte“, kommt es trocken zurück.
Dichter Rauch treibt uns entgegen. Auf einer Wiese verbrennen Dorfbewohner ihren Müll, weswegen es nach verbranntem Plastik stinkt. Das mit dem Müll ist ein echtes Problem. Die Bahnstrecke Craiova-Bukarest ist gesäumt von Feldern, Wiesen und Sträuchern voll mit Müll. Zum einen, weil Fahrgäste ihren Abfall aus dem Zug werfen, aber auch weil es in vielen Dörfern keine geregelte Entsorgung gibt.
Und so ist es auch hier. Die Dorfbewohner müssten ihren Müll nach Craiova bringen, doch nicht jeder hat ein Auto und samt seinen Müll 30-40 Minuten mit dem Bus zu fahren, ist für einen Rumänen eine ebenso unangenehme Vorstellung wie für einen Deutschen. Also wird der Müll entweder „einfach“ den Abhang hinuntergeworfen oder auf den Wiesen verteilt. Oder eben verbrannt, was leider auch nicht wesentlich besser ist.
Zwei Welten
Auf der anderen Seite der Straße steht ein kleines, verfallenes Hüttchen. Ich bin so lange der Meinung, dass es leer steht, bis ein älterer Mann herauskommt, beschäftigt damit Geldscheine zu zählen. Betroffen frage ich, ob dieser dort etwa wohnt. „Ja“, lautet die Antwort, „das sind die Folgen des Alkohol.“ Die Nachbarn geben Geld, damit er etwas zu Essen hat.
Uns kommt eine Gruppe von Kindern in Begleitung einer jungen Frau entgegen. Alina erzählt, dass es immer wieder vorkommt, dass Mädchen sehr jung schwanger werden. Manchmal mit 12 oder 13 Jahren. Kinder bekommen Kinder. Auch das scheint eine Problematik zu sein, die viele ländliche Regionen in ganz Rumänien betrifft. Und über die viel diskutiert wird. Doch bis sich etwas ändert ist es ganz offensichtlich – dieses Dorf ist der beste Beweis dafür – noch ein langer Weg.
Wir nehmen einen kleinen Weg, der aus dem Dorf herausführt. Hinter einem Bretterzaun grunzt ein Schwein, das die letzten Tage seines vermutlich nur noch sehr kurzen Lebens zu genießen scheint. Bis Weihnachten sind es schließlich weniger als zwei Monate.
Und dann liegt die ganze Ebene vor uns. Direkt vor uns der Fluss, dahinter die Felder und Auen und dahinter Craiova. Die Sonne strahlt, ein leichter Wind weht und im Hintergrund dudelt Fidelmusik aus irgendeinem Radio. Vor uns scheint eine heile Welt zu liegen und es ist ein sehr friedlicher Moment, der in einem merkwürdigen Kontrast zu den eben gesammelten Eindrücken steht.
Inzwischen ist es Abend und auf dem Rückweg – diesmal über die Straße – werden wir Zeugen eines wunderschönen Sonnenuntergangs.
Yu Ning, Tibi und ich machen uns zwei Stunden später auf den Weg zurück nach Craiova, aber vorher bekommen wir noch einiges mit auf den Weg. Unter Anderem selbst geerntete Trauben und Quitten und selbstgemachte Pflaumenmarmelade. Wir tapsen durch die Finsternis den Berg herunter in Richtung Bushaltestelle. Aus einem kleinen Haus ohne erkennbares Dach hört man Kinder lärmen. „Die Familie hat mehr als zehn Kinder“, werden wir aufgeklärt. Schon wieder so eine Geschichte. Mein Kopf ist randvoll und ich bin ein bisschen erleichtert, als wir wieder mit dem Bus zurück nach Craiova schaukeln.
Später bei einem Glas Limonade reden Yu Ning und ich dann lieber über das japanisch-chinesische Verhältnis. Es war ein intensiver Tag und etwas Abstand tut gut.
hihgisdaiohsd
Die Zeit steht nicht still
Abends in meinem Bett grübele ich dann sowieso wieder. Wie kann das sein, dass nur 30 Minuten entfernt vom Stadtzentrum Craiova ein solches Dorf existiert? Klar, Craiova ist nicht wie eine deutsche Stadt ähnlicher Größe: Häufig fällt hier der Strom aus, in der Uni ist es im Winter bitterkalt, weil nicht jeder Raum über einen Heizkörper verfügt, viele Straßen sind nicht asphaltiert und das warme Wasser kommt und geht, wann es will. Aber auch hier scheint dieses Dorf meilenweit entfernt zu sein. Und nicht knappe 10 Kilometer.
Rumänien hat den Ruf weg ein Land zu sein, wo in manchen Regionen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Weil es so schön nostalgisch macht, wenn ein Pferdekarren an einem vorbei zieht.
Aber die Wahrheit ist, dass die Zeit nicht still steht. Auch nicht in Dörfern, wie Bucovăț. Die Welt verändert sich und das hat Konsequenzen für diese Orte, gewollt oder nicht. Bestes Beispiel dafür ist wieder der Müll: Früher haben sich die Leute auf dem Land komplett selbstversorgt und in manchen Regionen der Karpaten mag das auch immer noch so sein. Aber hier kaufen die Leute doch schon lange genauso im Supermarkt ein wie die Leute in der Stadt und haben genauso viel Plastikmüll zu Hause liegen. Und dem entsprechend muss sich auch dort etwas verändern. Den westeuropäischen Nostalgikern zum Trotz, für die ein Müllauto nicht an einen solchen Ort gehört.
Viele Grüße aus Craiova!
hey jelena,
ce mai faci? :D
dein blog ist echt super und ich warte immer jedesmal gespannt auf den nächsten Eintrag :)
bei deinen Erzählungen krieg ich richtig fernweh und ich bin schon die ganze zeit damit beschäftigt größte Überredungsarbeit bei meiner Mutter zu leisten damit wir auch mal nach Rumänien fliegen :D
also, ich wünsche dir noch viel Spaß in Rumänien mit einer Menge interessanter Erlebnisse und freue mich auf den nächsten Eintrag von dir. :)
liebe grüße nach Rumänien
Julia :)
Liebste Jelli,
dass klingt wirklich nach einer Menge Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse, die da auf dich einprasseln! Danke, danke, danke, dass du mich bzw. uns hier auf eine so tolle Art und Weise daran teilnehmen lässt!
Hab es weiterhin bestens :)
Deine Lea <3
Kein Kunststück mit den ersten „1000 Klicks“!
Dein Blog ist auf meiner „morgens gleich beim ersten Kaffee reinschauen“-Lesezeichenleiste angenagelt.
Mir entgeht also nix!
Danke für die schöne, nachdenkliche und fröhliche Lektüre von
Stefan