1000 miles to go – 1 Jahr Rumänien

Das Europa-Asien-Süppchen

 Menü der Woche: eine Portion „Europa-Asien-Spezial“.

Ähnlich sauer und gehaltreich wie das rumänische Essen aber auch ein bisschen so wie die Suppe, die mir meine chinesische Nachbarin am Sonntag zum Mittagessen gekocht hat. Das ist er dann wohl, der berühmt-berüchtigte Blick über den Tellerrand.

Stolpern über den Tellerrand

 Obwohl „Stolpern über den Tellerrand“ eigentlich besser passt. Nicht nur weil meine koordinativen Defizite sich nach wie vor nicht in Luft aufgelöst haben, sondern vor allen Dingen weil meine kleine deutsche Luftblase in der ich bisher gelebt habe, am Montag im Rumänisch-Sprachkurs mit einem Mal zerplatzt ist. Wir Schüler kommen aus Griechenland, Bulgarien, Serbien, Aserbaidschan, Sri-Lanka, Irak, Spanien, Deutschland, China (…) und Rumänisch zu lernen ist für uns alle schwer. Doch der Blickwinkel auf diese Sprache und auf dieses Land und die damit verknüpften Wünsche, Träume, Hoffnungen und Perspektiven könnten vielfältiger nicht sein!

Rumänien als Tor zu EU, als erste Etappe auf dem langen Weg nach Westeuropa oder als bezahlbares Ziel für ein Auslandssemester.

Mancher ist hier, weil er in Rumänien eher ein Stipendium erhält, als in seinem Heimatland oder die Aufnahmeprüfung einfacher ist. Ein anderer, weil ein rumänischer Studienabschluss im eigenen Land mehr wert ist, als der heimatliche. Wieder andere leben und arbeiten hier.

In diesem kleinen Raum im dritten Stock des alten Universitätsgebäudes, eingehüllt in die Rauchschwaden der Kettenraucher im benachbarten Fachschaftsbüro, habe ich in den letzten fünf Tagen wahrscheinlich mehr über Europa gelernt als in den gesamten letzten fünf Monaten. Außerdem erfährt man hier, was sonst kaum herauszubekommen ist: Aha, es gibt also tatsächlich ein Büro der Jugendorganistation der Vereinigten Nationen in Craiova und die „Greec Night“ im irischen Pub um die Ecke ist auch nicht nur bloß ein Gerücht!

Doamnele profesoarele

Dieser Sprachkurs stellt sich im Laufe der Woche als absolut einmalige Erfahrung heraus. Der Grund sind unsere beiden unglaublichen „doamnele profesoarele“.

Anca stellt für mich genau das dar, was ich gerade für „typisch rumänisch“ halte, auch wenn das ziemlich viel mit „Schubladendenken“ zu tun hat… Die folgende Stereotypisierung einfach nicht ganz so ernst nehmen.

Olivia ist da etwas anders:

             → So jemand „unrumänisches“ habe ich hier in Rumänien abgesehen von Olivia bisher noch nicht kennen gelernt.

Die Nachmittage vergehen mit Rumänisch-Pauken, Projektvorbereitungen und Spaziergängen gemeinsam mit Yu Ning, meiner lieben Nachbarin. Als sie vor zwei Wochen ankam um hier an der Schule ein Jahr lang Chinesisch zu unterrichten und dann auch noch das Zimmer direkt neben mir bezog, vollführte ich in meinem erst mal einen kleinen Freudentanz. Seit her habe ich nicht nur extrem viel über Rumänien und Europa gelernt, sondern auch über China. Und da wir zum einen aus zwei sehr unterschiedlichen Winkeln dieser Welt stammen, aber andererseits den selben Humor haben und beide Fremde in diesem Land sind, gehen uns bislang auch nicht die Gesprächsthemen aus.

Hora- Tanzen

Ins Wochenende starte ich Freitag zunächst aber ganz rumänisch. Drei Schülerinnen nehmen mich mit in einen Club, in dem abwechselnd Karaoke-Sänger und Musik aus dem Lautsprecher für entsprechende Unterhaltung sorgen.

Nach einem etwas lauen Start mit mittelmäßigen  Sängern und zwar aktueller, aber auch irgendwie langweiliger Musik geht es dann nach dem ersten Cocktail gegen  11 Uhr ab. Auslöser sind die ersten Takte traditioneller Hora-Musik. Vom einen auf dem anderen Moment befinde ich mich mit etwa 100 anderen Clubbesuchern auf der Tanzfläche. Schnell formieren sich Kreise und dann geht es eine halbe Stunde im wortwörtlichen Sinne rund. Um mich herum wird mit einer der Arten Begeisterung getanzt, dass ich mich einfach mitziehen lasse, bis ich die Schritte raus habe. Ziemlich angetan und mit einem leichten Drehwurm- unser Kreis war der nur aus vier Tänzern bestehende Innenkreis – verlasse ich die Tanzfläche.

Das Hora-Tanzen ist eine super Sache! In Rumänien wird so sehr auf Erscheinung und Status geachtet und oft begegnet man sich hier gegenseitig mit erschreckend viel Misstrauen, aber beim Hora-Tanzen scheint all das zumindest für einen kurzen Moment vergessen zu sein.

Jeder nimmt jeden an der Hand. Egal ob männlich oder weiblich, alt oder jung.

 Danach ziehen wir weiter auf die „Greec Night“ von der ich von einem griechischen Studenten im Sprachkurs erfahren habe. Die Rumänen sind enttäuscht, es läuft nicht wie erhofft traditionelle griechische Musik zu der ähnlich der Hora Kreistänze getanzt werden, sondern ausschließlich aktuelle griechische Musik.

Ich bin trotzdem begeistert, denn da das ganze Pub voll von Griechen ist, erfahre ich, dass es in Craiova eine regelrechte griechische Gemeinschaft gibt. Hauptsächlich besteht diese aus Studenten, die in Griechenland keinen der aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage weniger werdenden Studienplätze erhalten und deswegen Scharenweise nach Rumänien kommen. Interessant! Finanzkrise live in einem irischen Pub in der rumänischen Provinz.

 

Fragen über Fragen

Am Samstagmorgen laufe ich gemeinsam mit Yu Ning und Yolanda, die Spanierin, die ich in Bukarest kennen gelernt habe durch Craiovas Straßen. Diese sind zwar generell in keinem guten Zustand, manche aber noch akuter als andere.

Man könnte meinen hier hätte ein Erdbeben gewütet und Erdbeben sind in der Region auch gar nicht so selten, etwas experimentelle und gemütlich-improvisierte Arbeitsweisen allerdings auch nicht.

Wir laufen in Richtung Markt. So fremd wie die Käsebauern mit ihren traditionellen Hüten und der Taubenverkäufer mit seinen weißen Tauben und bunten Papageien auch auf uns wirken, die eigentliche Attraktion sind wir mit unserem (improvisierten) Englisch und unserem teilweise etwas von der rumänischen Norm abweichenden Aussehen. „We’re the real exotic birds in here“, meint Yolanda nach einer Weile und wo sie Recht hat, hat sie recht.

Zwei Stunden lang sitzen wir danach in einem Café und reden und reden und reden. Es gibt so viel zu besprechen. Jeder von uns hat eine andere Perspektive auf Rumänien und kommt mit unterschiedlichen Erfahrungen hier her, aber wir alle drei haben ähnliche Fragen. Wie kann man mit 800 Lei im Monat sein Leben meistern wie es die meisten in Craiova tun: Gut gekleidet mit schicken Autos und Handys? Warum machen so viele Rumänen permanent sich selber und ihr Land so schlecht? Warum mag uns keiner glauben, dass wir bisher sehr gerne in Craiova leben?

Samstagmittag esse ich mit Yu Ning auf dem Dach vom „Merkur“ und wir genießen den fabelhaften Ausblick über Craiova. „Sind das dahinten etwa Berge?“, fragt Yu Ning fassungslos. Und ja tatsächlich! Kaum zu fassen! Denn Richtung Bukarest ist da nur plattes Land.  Das „Merkur“ ist übrigens das noch aus UDSSR-Zeiten bestehenden Kaufhaus nach kommunistischem Prinzip: Viele verschiedene Familienbetriebe verkaufen an Ständen ähnlich wie auf einem Markt unter einem Dach ihre Produkte.

 

Nunța româneasca

Später schauen wir eine Weile dem Treiben im Park zu. Wie an jedem Samstag wird wieder am laufenden Band geheiratet und wir bewundern die herausgeputzten Hochzeitsgesellschaften, die bei perfekten Wetter – 20°C und Sonnenschein – sich vor Fotografenlinsen in extreme Posen werfen und fröhlich in zwei bis drei Filmkameras plappern, mit denen jede Sekunde dieses Tages für die Ewigkeit festgehalten werden soll.

 

Sonntagmorgen gegen 10 Uhr schlurfe ich verschlafen in Richtung Stadtzentrum um mich mit Ștrudel cu mere – Mischung aus Crepe und deutschen Apfelstrudel – zu versorgen. WHUMWHUM, durch den ganzen Block schallt extrem laute Musik. Für meinen Geschmack viel zu laut für einen Sonntagmorgen. Aber das scheint außer mir niemanden zu jucken. Wie Samstag im Restaurant, wo Mittags die Musik so laut war, dass Yu Ning und ich Schwierigtkeiten haben uns zu unterhalten. Der Grund für den Lärm: Auf der Calea Unirii versammeln sich etwa 200 Craiovaner in Sportkleidung und springen zur Musik begeistert vor einer Bühne auf und ab. Auf der steht ein junger Typ im Sportdress und schreit ins Mikro: „Wie geht es dir Craiova?“ „Gut!“, schallt es enthousiastisch aus der hüpfenden Menge zurück. Ob ich noch Fragen habe? Nein, eigentlich nicht.

Trotz der recht sommerlichen Temperaturen ist inzwischen ganz eindeutig Herbst und das Europa-Asien-Süppchen, das sich hier beginnt zusammenbrauen, ist jeden falls noch meilenweit davon entfernt, vollendet geschweige denn ausgelöffelt zu sein.

 

Viele Grüße aus Craiova!

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