Es tut sich was! Am 4. Oktober rückt ein Sprachkurs tatsächlich in greifbare Nähe. Um weiteres zu besprechen wird sogar ein Termin am folgenden Montag vereinbart, was mich irgendwie stutzig macht.
Der Sprachkurs
Nach einem ruhigen Wochenende, an dem auch Craiovas erste vegane (!) Bar aufmacht, stehe ich Montag um Punkt 11 Uhr zusammen mit meinem Ansprechpartner und seiner Frau, die den Sprachkurs auch gerne machen möchte, am abgemachten Treffpunkt. Unsere Verabredung trudelt etwas später ein und ruft erstmal die Sprachlehrerin an, um zu erfahren, ob diese auch kommen kann. Kann sie leider nicht, sie ist nämlich in Bukarest und das ist ein ganzes Stückchen weg. Kein Problem, dann treffen wir uns halt am nächsten Tag um 9 Uhr. Kaffee soll es dann sogar auch geben!
Um 9 Uhr ist außer von uns drei Deutschen, weder von unserer Verabredung, noch von der Sprachlehrerin, noch von dem Kaffee etwas zu sehen. Also warten wir und es lohnt sich! Um halb 11 sind dann auch tatsächlich alle da und um 11 Uhr habe ich einen Sprachkurs an der Uni in der Tasche! Das ist Rumänien, das Land der begrenzten, unbegrenzten Möglichkeiten…
Der Sprachkurs findet ein Jahr lang jeden Montag bis Freitag statt, damit zukünftige Studenten aus Bulgarien, Serbien, Irak und anderen Ländern, vor dem Beginn ihres Studiums in Rumänien ausreichend Rumänisch sprechen und schreiben können. Wir beiden Deutsche sind etwas hinten dran, denn der Kurs hat bereits Anfang Oktober begonnen. Doch irgendwie wurschteln wir uns rein und bilden wie alle anderen auch schön unregelmäßige Pluralformen…
In „Elena Cuza“ habe ich mein erstes kleines Projekt. Ich zeige in den Deutschklassen eine Präsentation über das Deutschland, das ich kenne. Erzähle, wie ich aufgewachsen bin, zeige Bilder meiner Familie, von Bad Homburg, Frankfurt, meiner Schule. Versuche zu erklären, was G8/G9 ist und warum diese Abkürzung in Deutschland für so viele Diskussionen sorgt. Ich schaue in viele staunende Gesichter, es ist einfach so vieles anders als hier in Craiova!
Bukarest
Am Donnerstagmorgen klingelt um 5 Uhr meinem Wecker und ich rausche mit dem Taxi in Richtung Bahnhof. Von dort bringt mich der Zug innerhalb von genau drei Stunden nach Bukarest. Mit den Knien unter dem Kinn – es ist etwas eng – und dem Vokabelheft vor der Nase vergeht die Zeit schnell und ich steige am Bahnhof in Bukarest hinaus in strahlenden Sonnenschein.
Ich habe mir vorgenommen vom Bahnhof zum Hostel zu laufen, um einen ersten Eindruck von Bukarest zu bekommen. Mein Weg führt entlang einer endlos langen und ziemlich breiten Straße in Richtung Stadtzentrum. Der Bürgersteig ist gesäumt von Ruinen, die wohl mal Wohnhäuser waren und an denen „Betreten verboten“-Schilder hängen. Dass diese Häuser einsturzgefährdet sind, daran besteht kein Zweifel. Eingeklemmt zwischen solchen Ruinen stehen bewohnte Häuser, von denen die meisten ebenfalls ein derartiges Warnschild verdient hätten.
Das Midland Youth Hostel, in dem ich zwei Nächte gebucht habe, liegt in einer hübschen Straße. Den Eingang finde ich erst, als mir ein Polizist hilft. Eine breite Wendeltreppe führt rauf in einen großen Raum, wo Milan, der Freiwillige aus Sibiu, schon auf mich wartet. Das Hostel ist super gemütlich und ich werde nett empfangen.
Nach einer Weile brechen wir in das Regierungsviertel auf, wo sich viele Botschaften befinden, auch die deutsche, in der wir einen Termin haben. Bis zu dem Termin am Nachmittag bleibt noch viel Zeit und wir erkunden einen der großen Parks. Am späten Nachmittag treffen wir Martin, den Freiwilligen aus Bukarest, der uns den Parlamentspalast und die Altstadt, das Lipscan-Viertel.
Der Parlamentspalast – von Ceausescu zynischer Weise „Haus des Volkes“ genannt – ist das absolute Sinnbild von Verschwendung und Größenwahn. In Bukarest gibt es viele Gebäude, die den Eindruck erwecken viel zu groß geraten zu sein, aber vor diesem Monstrum, dem zweit größten Gebäude der Welt für das ein ganzes Stadtviertel abgerissen wurde, wirkt all das und die eigene Größe absolut lächerlich. Womit wir bei der bezweckten Wirkung wären.
Am Rande des riesigen Gelände steht eine schlichte orthodoxe Kirche, die als Mahnmal im Kontrast zu dem Protz gebaut wurde. Sie wirkt so klein und zerbrechlich vor ihrem gewaltigen Nachbarn, das es mir die Sprache verschlägt..
Das Lipscan-Viertel dagegen ist wunderschön, verwinkelt und der ganze Lärm, die breiten Straßen und ja auch der Verfall und die Armut sind auf ein Mal ganz weit weg.
Abends kehren Milan und ich ins Hostel zurück, wo wir mit einem Franzosen ins Gespräch kommen, der mit dem Fahrrad in Richtung Naher Osten unterwegs ist. Auf dem Weg ist er drei Amerikanern begegnet, die der Donau bis nach Rumänien gefolgt sind und mit denen er gemeinsam die letzten Etappen zurückgelegt hat. Außerdem ist da noch eine junge Argentinierin, die gerade auf Europa-Tour ist und Keith, ein sympathischer Mitte 70er aus Dover, der eine Woche auf Rumänientour ist.
Gemeinsam ziehen wir nochmal los, nur Keith geht lieber schon mal ins Bett um am nächsten Tag fit für die Weiterreise zu sein. Nach dem Essen landen wir in einer Karaoke-Bar in der Nähe des Hostels, wo beeindruckend gute Sänger leider beeindruckend schlechte Lieder zum Besten geben. Auch die Amerikaner wagen irgendwann einen Song und es klingt gar nicht mal schlecht. Die Rumänen sind natürlich wieder heftig am tanzen, während wir dagegen die ganze Zeit auf unseren Sitzen kleben, aber wirklich viel Spaß mit all dem Sprachschlammassel haben, den wir da fabrizieren.
Der nächste Tag beginnt mit einer ganz besonderen Überraschung. In meinem Zimmer hat diese Nacht eine junge Spanierin übernachtet, die ebenfalls momentan in Craiova lebt und tatsächlich bis nächsten Juni an der Schule gegenüber Spanisch unterrichtet! Einfach unglaublich (:
Das erste Ziel an diesem Morgen ist der große Markt in Bukarest, wo es absolut alles gibt. Von Fisch, über Blumen, zu Haushaltsgeräten und Kleidung. Das frische Obst und Gemüse macht mir ziemlich große Lust aufs Kochen, aber mangels Küche in Craiova muss ich mich da wohl noch ein bisschen gedulden.
Traurig machen mich die kleinen Romakinder, die schon genau wie ihre Eltern durch die Menge laufen und Zigarren verkaufen und auch der bettelnde Straßenjunge in der Metro…
Müde von dem vielen Laufen, der kurzen Nacht und den vielen Eindrücken kehren wir erst ins Hostel zurück und brechen dann zu einem leckeren Abschluss-Mittagsessen auf, denn Milan fährt Freitagmittag wieder zurück nach Sibiu.
Zuvor statten wir aber noch „Caturesti“ einen Besuch ab, das mir von einer Hostelmitarbeiterin empfohlen wurde. Wer in Bukarest ist, sollte hier unbedingt vorbei schauen! Zum einen ist das einer der wenigen Orte in der Stadt, wo man Postkarten kaufen kann. Außerdem gibt es hier Bücher, CDs, Filme, Deko, Keramik, eine liebevoll gestaltete Kinderabteilung und ein Café, umgeben von wunderschönster rumänischer Architektur, die ähnlich der des Hostels viel Liebe zum Detail und Kreativität beweist!
Milan muss nun zurück nach Sibiu und ich laufe noch eine Weile durch die kleinen Nebenstraßen des großen Boulevadul Magheru und treffe mich dann mit einer ehemaligen „kulturweit“-Freiwilligen, die gerade ein Praktikum in Bukarest macht, auf dem „Balkan Beyond Boarders” – Filmfestival.
Hier werden ein Wochenende lang Kurzfilme aus Griechenland, Bulgarien, der Türkei, Serbien, Albanien, Bosnien, Ungarn, Kroatien, aus dem Kosovo, aber auch aus Frankreich, Italien und Deutschland gezeigt. Das Motto des Festivals lautet „Reinventing Bridges“ und soll zu einem Dialog in dieser um- und zerstrittenen Region beitragen. Es gibt viele beeindruckende und sehr unterschiedliche Beiträge mit ebenso unterschiedlichen Themen wie Ausländerfeindlichkeit („Sphinx“, Griechenland), den Wunsch nach Akzeptanz von Homo -, Bi- und Transsexualität („I want to know what it’s like“, Rumänien) oder Vorurteile gegenüber Deutsch-Türken in der Türkei („My Circumcision“, Deutschland und Türkei).
Wir schaffen nicht alle drei Sessions, weil unsere Mägen knurren. Gemeinsam mit zwei anderen Deutschen, die ein Praktikum bei der „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“ machen, gehen wir erst „Pizza nach Gramm“ (man bestimmt das Gewicht der Portion und bezahlt entsprechend) essen und dann in einer Kneipe in der Altstadt suppiges britisches Bier und bayrische Cola – mit Kuh vorne drauf – trinken, die hier wohl gerade schick ist. Es ist interessant zu hören, wie die anderen Rumänien und das Leben hier erleben und schon erlebt haben und es macht mich neugierig darauf, was die nächsten Monate noch so mit sich bringen werden.
Am nächsten Morgen verlasse ich das Hostel und steige in den Zug zurück nach Craiova, was mich sehr erleichtert. Ich bin nach drei schlaflosen Nächten extrem müde und voll mit Bildern und Eindrücken, die mir Bukarest und die Menschen hier beschert haben. Das Wetter ist über Nacht grau und kalt geworden. Draußen ziehen kleine Wellblechhüttendörfer, Hirten mit ihren Herden, alte Frauen mit ihren Eselkarren, endlose Felder, Müllkippen und verlassene Bahnhöfe vorbei, an denen Schaffner in Uniform mit ihrer Kelle das Signal zur Weiterfahrt geben. Ja, auch das ist Rumänien.
Als ich nach 3 ½ Stunden wieder an der Schule bin, realisiere ich das erste Mal so richtig, dass das hier mein neues Zuhause ist. Das erste Mal „kehre ich Heim“, komme zurück. Und das fühlt sich merkwürdig und ungewohnt an, irgendwie falsch und doch so richtig. Nach einer eiskalten Dusche – es ist Samstag, ich vergaß – falle ich um 17 Uhr in mein Bett und wache das nächste Mal um 5 Uhr morgens auf.
1 Monat ist vergangen, 11 weitere folgen
Viele Grüße aus Craiova!
Hallo Jelle,
ich finde es sehr, sehr interessant von deinen Erfahrungen zu lesen! Bin gespannt auf die nächsten 11 Monate.
Werner
Hallo ihr beiden!
Freut mich, dass ihr hier ab und zu mal vorbeischaut und dann auch noch einen kleinen Kommentar da lasst (: Dankeschön!
Ganz viele Grüße,
Jelle
Hallo Jele,
schön, daß Du wieder mal was geschrieben hast. Ich hab‘ mir schon ein Bißchen Sorgen gemacht, weil so „ungewöhnlich“ lange nix Neues kam.
Schick‘ mir doch mal ’ne Mail, dann kann ich Dich auch unabhängig von Deinem Blog auf dem Laufenden halten, was hier so stattfindet.
Viele Grüße,
Stefan
Liebe Jelena,
ich freue mich für Dich über die vielfältigen Eindrücke und Menschen, die Du kennenlernst.
Liebe Grüße
Annette