Hier in Craiova plätschert die Zeit nur so dahin. Genauso wie der Regen, der seit drei Tagen die Stadt durchnässt. Zugegebenermaßen habe ich davon nicht sonderlich viel mitbekommen, denn ich lag genau diese drei Tage im Bett. Durch die Schule wandert ein netter Virus, von dem ich nicht verschont bleibe.
Und so muss das, was ich eigentlich innerhalb dieser Tage vorhatte zu tun, ein bisschen warten: den anstehenden Trip nach Bukarest ein bisschen genauer zu planen, gemeinsam mit den Deutschlehrern mein Aufgabenfeld an der Schule etwas zu konkretisieren und endlich mal ein Sprachkurs aus dem Internet oder sonst wo hervorzuzaubern.Es sagt schon einiges über Craiova aus, dass es in dieser Stadt trotz seiner Größe – immerhin 300.000 Einwohner – außer dem alle zwei Jahre für die Handvoll internationalen Studenten in den Sommerferien stattfindenden Rumänischkurs der Uni, kein anderes ähnliches Angebot zu geben scheint… Craiova ist eine große Stadt mit provinziellem Flair.
Es ist Dienstagvormittag und mir geht es endlich besser! Blöd nur, um zu meinen Plänen für den Wochenanfang zurück zu kommen, dass das Internet leider auch irgendwie erkrankt zu sein scheint, es schwächelt nämlich enorm.
Aber das kann ich ja alles auch noch morgen machen. Oder Übermorgen. Je nach dem.
Langsam fange ich wirklich an mich anzupassen. Denn diese Denkweise entspricht so wenig meiner eigenen etwas unentspannten Grundhaltung am besten immer so viel wie möglich auf ein Mal zu erledigen. Eher der der rumänischen Kollegen. Und Schüler. Als ich letzte Woche eine Vertretungsstunde in der 11. Klasse hielt, schienen die Schüler nicht nur von meinem Deutsch verwirrt zu sein, sondern auch von dem enormen Tempo, das ich, im Nachhinein betrachtet, hinlegte.
Ich frage auch nicht mehr in der Schule nach einem Termin für irgendetwas, nach dem mein deutscher Ansprechpartner lachend zu mir meinte: „Termin…? Geht auch so irgendwie!“ Wie wahr! In den letzten zwei Wochen habe ich immer irgendwie, irgendwo und irgendwann, das erfahren oder bekommen, was nötig war. Beispielsweise den Schlüssel zum Wohnheim oder meine Wäsche, die unten verschlossen im Keller hing. Und so wird bestimmt auch das Internet in den nächsten Tagen den dicken Wänden zum Trotz wieder in alter Frische mich und meinen PC erfreuen.
Die vergangene Woche lief in einem sonnenbeschienen gemütlichen Trott: Hospitieren im Unterricht und Abendstunden an der „Fântânǎ Muzicalǎ“, dem großen Springbrunnen im Stadtzentrum, wo fast jeden Abend irgendein Konzert stattfindet.
Außerdem machte ich mit den zahlreichen Einkaufsmöglichkeiten Craiovas vertraut. Anfang letzter Woche zeigt mir mein Ansprechpartner den örtlichen Ableger einer deutschen Supermarktkette. Deutscher Supermarkt mit Ausmaßen, die ich eigentlich nur aus Frankreich kenne, wo man wirklich alles, alles bekommt – sogar Honig (!), aber dazu später mehr – und jedes zweite Produkt, Produkt einer deutschen Marke zu sein scheint. Ich erwerbe Kleiderbügel und Wasserkocher und gerade von letzterem bin ich derart beflügelt, dass ich direkt nach dem ich zurück im Zimmer bin, die erste Fuhre Wasser warm mache um mir einen Kaffee zu kochen. Erst als der Wasserkocher fertig gekocht hat, fällt mir auf, dass ich weder Tasse noch Becher besitze… Ich hatte bisher einfach nur Wasser aus Flaschen getrunken.
Am Freitag treffe ich mich nach der Schule mit einer Schülerin, die mir die deutsche Bibliothek in der Uni Craiova zeigt. Und das ist auch gut so, denn alleine hätte ich diese unmöglich gefunden. Treppen rauf, Treppen runter, durch irgendwelche schweren Türen, unbeleuchteten Gänge, wieder eine Treppe runter… Bis zu einer unscheinbaren Tür auf der „Deutscher Lesesaal“ steht. Ausleihen können wir uns leider nichts mehr, aber ich hätte sowieso nicht so schnell gewusst, wo ich anfangen sollte. Die Bibliothek ist bestens ausgestattet mit (Hör-)Büchern, Filmen, Zeitschriften und tagesaktuellen Zeitungen. Ich komme mir vor wie die Entdeckerin eines wertvollen Schatzes!
Eine der eindrücklichsten Erfahrungen, die ich bisher hier gemacht habe, ist, was für ein unangenehmes, beklemmendes Gefühl es ist, nichts zu verstehen. Nicht zu vergleichen damit, wie ich im Englischen oder Französischen manchmal nicht verstehe, denn da kann ich mich ja zumindest halbwegs ausdrücken. Nein, mit nichts meine ich nichts!
Zwar ist Rumänisch eine romanische Sprache und manchmal erkenne ich Wörter, aber in 99,9% der Fälle bin ich momentan auf einen Übersetzer oder auf meine Englisch- oder Französischkenntnisse angewiesen. Wobei ich bisher auch den Eindruck habe, dass mir Letztere in 80% der Fälle nichts bringen, weil mein Gegenüber entweder zu wenig Vertrauen in die eigenen Fremdsprachenkenntnisse hat. Oder aber, was gar nicht so selten ist, tatsächlich nur eine Sprache – nämlich Rumänisch – beherrscht.
Diese Bibliothek ist also wirklich der absolute Segen! Zum einen um ein bisschen Vertrautheit in einem fremden Land herzustellen und zum anderen um Leute kennen zu lernen.
Später bummeln wir noch ein bisschen durch die Stadt und genießen das schöne Wetter.
Abends bin ich mit einer anderen Schülerin verabredet, die ihre Schwester und einen Freund mitbringt. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zur „Mall“, Craiovas zweite und neueste Attraktion: das niegelnagelneue Einkaufszentrum mit all den Ketten und Marken, die wir auch aus Deutschland kennen. Soweit ich das bisher verstanden habe, trifft man sich hier nicht hauptsächlich zum Shoppen, denn die Preise sind nicht unbedingt an den Lohn eines durchschnittlichen Bürger Craiovas angepasst. Sondern viel mehr um Freunde zu treffen, etwas trinken zu gehen und einfach nur ein bisschen zu schauen.
Danach besuchen wir noch kurz „die Nacht der Wissenschaften“ der Technischen Fakultät, was zwar sehr interessant ist, doch um sämtliche Experimente zu verstehen, reicht leider nicht mehr die Energie. Was wohl auch an dem wilden Sprachkarussell aus Französisch, Englisch, Deutsch und Rumänisch liegt, das sich in meinem Kopf dreht. Das uns aber zu einem sehr lustigen Abend verhilft.
Am Samstag spaziere ich zu eben jenem Riesensupermarkt, der mich zu meinem Wasserkocher gebracht hat. Der doch irgendwie ziemlich lange Fußweg bringt mich in Ecken von Craiova, durch die ich bisher nur durchgefahren bin. Und wieder krasse Kontraste zwischen den dörflichen Abschnitten (breite kopfsteingepflasterte Straßen mit Bauernhöfen), dem angrenzenden von Plattenbauten geprägten Abschnitt und einer viel befahrenen, von Bürogebäuden gesäumten Straße.
Im Supermarkt erwerbe ich neben Lebensmitteln auch einen Mülleimer, genau einen Teller, eine Schüssel und Löffel, Gabel und Messer. Hier stoße ich auch auf ein Bio-Regal. Das ist deswegen so bemerkenswert, da ich das bisher in keinem anderen Supermarkt hier in Rumänien entdeckt habe. In Deutschland hochgelobt, allgegenwärtig und ein echter „Lifestyle“, scheint es mir hier in Rumänien echter Luxus zu sein. Sind die Preise in diesem Laden insgesamt günstiger als die deutschen, so entsprechen sie in diesem Regal diesen oder überbieten sie noch. Hier finde allerdings auch den Honig, den ich schon in mehreren Supermärkten vergeblich gesucht hatte.
An der Kasse betrachtet die Kassiererin erst etwas belustigt das Sammelsurium, das ich ihr da auf das Band lege und deutet dann mit breitem Grinsen auf mich und erklärt irgendetwas. Ich versuche es auf Englisch und sie gibt mir zu verstehen, dass es ihr wohl meine Haare angetan haben. Irgendwie. Sie zieht ein Stück Bon aus der Kasse, schreibt ihren Facebooknamen drauf und sagt ich solle sie da mal suchen. Voll lieb!
Ich bummel noch ein bisschen durch die anderen Läden, weil mein Bus, der mich zurück in die Schule bringt, erst in ein paar Minuten kommt. Ich lande in einer Schuhladenkette – deutscher Name, grün-weißes Logo. Durch die Lautsprecher schallt Musik, deutsche Musik. Johannes Oerdings „Morgen“ erklingt und ich bin kurz verwirrt. Wo bin ich hier nochmal? Rumänien?
„Das ist Morgen,
oder der Tag danach,
oder der Tag danach!“
Der Bus, der mich zurück bringt, ist übrigens einer der kleinen, überfüllten, aber kostenlosen Omnibusse, die von dem Supermarkt gestellt werden, um einen weiteren Kaufanreiz zu schaffen. Ist aber echt ganz praktisch.
Sonntagmittag liege ich dann flach. Montag auch, mein Ansprechpartner kocht mir einen Liter Suppe. Dienstag steht eine meiner Kolleginnen mit einer Tüte voller Bananen und der Pädagogin vor meiner Tür und ermahnt mich alle Bananen zu essen, samt denen, die ich selber noch habe. Anschließend gehe ich mit der Pädagogin rüber in die Kantine. Ich soll warm essen, das hilft bestimmt. Angesichts des recht deftigen, reichhaltigen rumänischen Gerichts, hauptsächlich bestehend aus Bohnen und Fleisch, bin ich etwas skeptisch, ob das meinem angegriffenen Magen so gut tut. Aber da ich ziemlich großen Hunger habe und es mir schon besser geht, lange ich zu und es schadet tatsächlich kein bisschen.
Mittwoch werde ich von der Schulärztin nochmals begutachtet und ich darf ab Donnerstag wieder mit in den Unterricht. Der Frage, ob ich noch ansteckend bin, schenkt sie keiner großen Beachtung. „Dafür ist es jetzt sowieso zu spät“, mein sie. „Wenn sich die anderen nicht bei Ihnen anstecken, dann bei irgendeiner anderen Person. Ich habe übrigens mal Deutsch gelernt!“, und sagt mir und meinem Ansprechpartner, der bis dahin dolmetschte, darauf den „Erlkönig“ auf.
Später klingelt es an meiner Tür. Zwei Schülerinnen aus der 12. Klasse sind gekommen, um sich nach mir zu erkundigen und mir eine große Geschenktüte zu überreichen, die Gefüllt ist mit Müsli, frischer Milch, Schokolade, Piratenservietten, Besteck und noch viel mehr. Glücklicher hätte man mich nicht machen können und ich bin ziemlich gerührt von so viel Warmherzigkeit!
Viele Grüße aus Craiova!