Dankbar und ruhig

Dankbar und ruhig. So fühle ich mich gerade. Die Tage nach meiner Ankunft bis heute waren dauerhaft turbulent und mit Fragmenten neuer Eindrücke gefüllt.

Autos parken auf dem Bürgersteig

Laute Farben. Bunte Gerüche. Nach Menschen. Nach Gewürzen. Nach Weihrauch. Straße. Purpurrote Weintropfen. Dunkles Licht. Verrauchte Menschen. Blaue Augen. Braune Augen. Straßenhunde. Autos. Hupen. Ampeln. Verwaschene Zebrastreifen. Stehen? Gehen? Angefahren werden? Wohin als Nächstes? Wann bist du daheim? Kochen wir zusammen? In welcher Bar bist du? Ich komme morgen wieder um 9 Uhr und bleibe zur zweiten Schicht. Soll ich mit dir in den Unterricht kommen? Hallo, mein Name ist Taso! Gamarjoba. Nachvamdis.

Es war einfach viel. Zu viel? Nein.

Direkt bei meiner Ankunft hat mich das Abenteuerfieber gepackt. Ich konnte nicht einfach in meinem dunklen (-aber gemütlichen!) Zimmer sitzen und „nur“ lesen. Manchmal bin ich einfach drauflosgelaufen und habe dabei die hübschesten Strässchen entdeckt.

Marionettentheater

 

Dafür, dass ich erst seit 12 Tagen hier bin, habe ich mich schon sehr gut in Tbilissi integriert. Ich kann schon intuitiv ohne Links-rechts-links-Blick über die Straße laufen, weiß ungefähr wo welche Metrostation liegt und kenne auch schon einige gute Bars.

Die Intergration im Lehrerzimmer braucht wohl noch Zeit. Ich finde es super spannend den privaten Gesprächen der Lehrerinnen zu lauschen. Nervige Schüler, abgebrochene Diäten und das Wetter scheinen die Top-Themen zu sein. Zumindest stelle ich mir das vor. Ich verstehe ja nichts. Ab und zu vielleicht mal ein „Ki“ (ja), „ara“ (nein) oder „rogor?“ (wie). Aber das war’s auch. In solchen Momenten flüchte ich in die Schulkantine, wo Mariam und ihr Vorgesetzter (von dem ich nicht weiß, wie man seinen Namen schreibt) mit Khachapuri, Kaffee und neugierigen Fragen auf mich warten. Das hört sich jetzt alles viel schlimmer an, als es tatsächlich ist. Die Lehrerinnen scheinen alle sehr nett zu sein und mit einigen kann ich mich auf Russisch unterhalten. Wobei ich vorsichtig bin Russisch zu sprechen. Ich prahle mit diesem Sprachvorteil nicht und erzähle auch nicht direkt, dass meine Familie aus Russland kommt. Da ist eine innere Barriere, die mich davon abhält. Das ist schwer zu beschreiben. Ich glaube, ich möchte bei den Menschen hier keine alten Wunden aufreißen. Ich versuche praktisch, ihre Schmerzensgrenze nicht zu überschreiten, um bei ihnen keine negativen Gefühle zu wecken. Leider wird hier Russland eher mit Negativem als mit Positivem assoziiert. Ich wiederum möchte nicht mit politischen, historischen oder gesellschaftlichen Ereignissen in Verbindung gebracht werden, mit denen ich nichts zu tun habe.

Ich hasse es, dass die Nationalität immer so eine große Rolle spielt. Ich hasse es, dass eine der ersten Fragen „Woher kommst du?“ lautet. Ist das so wichtig? Kann man die Person nicht einfach mal so hinnehmen, wie sie vor einem steht und aufhören weiterzugraben? Diese Frage ist so oberflächlich und so tief zugleich. So unbedeutend für das Menschliche, aber gleichzeitig so wichtig für die Persönlichkeit. Denn zur Person gehört die Identität und zur Identität wiederum die Kultur. Damit verbunden die Nationalität. Ich könnte jetzt viel zu diesem Thema schreiben, denn es beschäftigt mich sehr, aber das ganze artet langsam zu einem nostalgischen Tagebucheintrag aus. STOP!

Könnte Paris sein

Georgische Schrift

 

 

 

 

 

 

 

 

 

An dieser Stelle ein paar Kurzinfos zu meiner Woche:

-Ab Donnerstagnachmittag kann ich behaupten, dass bei mir Wochenende ist, denn Freitag hab ich immer frei.

-Ich werde in 20 Klassen sein. Mal schauen wie gut das funktioniert…

Vorläufiger Stundenplan

 

 

 

 

 

 

Hat mir ein Viertklässler geschenkt

 

-Ich wurde in der Schule von den Viertklässlern so herzlich aufgenommen, dass ich gar nicht mehr gehen wollte. Es gibt nichts Schöneres, als warme Umarmungen von Kindern, ihr schallendes, ehrliches Lachen und ein akzeptierender Blick aus ihren strahlenden Augen.

-Ich war mit meiner Vertrauenslehrerin beim Zahnarzt. Nicht für mich. Aber wir hatten danach in der Nachbarschaft einen gemeinsamen Termin bei der Fachberaterin der ZfA. Daher bin ich nach der Schule mit zum Zahnarzttermin.

-Allgemein scheint Zahnmedizin und –technik ein gutes Geschäft hier zu sein

-Die Musiklehrerin versucht mich mit ihrem Sohn zu verkuppeln. Das finde ich gar nicht cool.

-Mein Handy ist mir runtergefallen und der Bildschirm ist jetzt total zerbrochen. Finde ich auch nicht cool.

-Bei Luca Polare gibt es das beste Eis der Stadt. Habe hier zwar nirgendwo anderes Eis probiert, kann das aber trotzdem mit 100%-iger Wahrscheinlichkeit sagen.

-Ich alleine, manchmal auch wir Freiwilligen zusammen, werden im Durchschnitt alle 2 Tage angesprochen. Manchmal auch von Georgiern auf Deutsch. Die Statistik wird weiter geführt.

-Es gab gestern in einer Bar tatsächlich kostenlosen!gratis!guten! Wein

 

Gründe warum ich dankbar bin:

  1. Ich habe die besten besten Freunde, die man sich nur wünschen kann. Freunde, die trotz 3.894 km Entfernung für mich da sind. Sei es durch WhatsApp, Skype, Fotos an meiner Wand oder unglaublich süßen, motivierenden, mit Liebe gemachten Geschenken. Und falls das Handy mal futsch sein sollte, ich keinen Internetzugang habe und eure lachenden Gesichter nicht betrachten kann, weiß ich trotzdem, dass ihr bei mir seid.
  2. Meine Eltern sind die geduldigsten Eltern der Welt. Ich weiß, dass es euch nicht einfach fällt euer heimisches Küken in die gefährliche, große, weite Welt zu lassen. Aber wir wissen auch, dass der Punkt gekommen ist, erwachsen zu werden und das bedeutet für mich loslassen, entdecken, meine Freiheiten auskosten. Das heißt nicht, dass ich nicht an euch denke und euch nicht vermisse. Es wäre einfacher, wenn es so wäre…
  3. Meine Mitbewohner sind sehr cool. Das erleichtert mir das Leben erheblich. Danke an Florian für die ständige Versorgung mit gutem, georgischen Wein. Danke an Lina und Tina für den gesunden Ausgleich an Schokoladenexszessen und kunterbuntem, geschnippeltem Gemüse für leckere Sommerrollen. Danke außerdem für den heutigen Tag, an dem wir absolut entspannen und das tun, was uns nach ermüdenden, energiereichen Tagen gut tut: abschalten.

Abschalten. Gutes Stichwort. Das werde ich nun auch mit meinem Laptop tun.

Bis zum nächsten Eintrag 😉

 

 

Unsere Samstagswanderung zum „Turtle Lake“ mit einer wunderschönen Aussicht auf die Stadt:

(Danke an Tina für die Bilder. Lest unbedingt auch ihren Blog.)