Von alten Meistern und einem Bier am Mittag

Wenn man nicht in der völligen Einöde wohnt, hat man naturgemäß Nachbarn. Mit ihnen kann man kann man viele Vorteile (Lebensmittel leihen) und Spaß (Straßenfeste bis in die Puppen) haben, aber ohne Konflikte kommt keiner davon. Sei es die Hecke, die versehentlich auf einem anderen Grundstück gepflanzt wurde oder Hunde, die in des Nachbars Garten ihr Geschäft verrichten. Nun kam ich in ein neues Land und fragte mich: Wie wohnt man in Ungarn?  Grüßt man sich auf der Straße? Und: Wie ist das Zusammenleben unter Nachbarn in Ungarn? Dazu im Folgenden mehr.

Mitte Oktober zog ich aus der Pension in die Bartók Béla utca (Straße), die schön gelegen beim Öreg-tó (alten See) ist. Für mich als Klavierspieler ist es natürlich eine Ehre in einer Straße zu wohnen, die nach einem der größten Meister benannt ist und nicht nach irgendeinem ungarischen Nationalhelden (von denen es eindeutig zu viele gibt). Manche wird es wundern, dass der Nachname des Künstlers zuerst genannt wird. Das liegt daran, dass in Ungarn häufig der Nachname vor dem Vornamen geschrieben wird, wenn beide Namensteile gemeinsam zu sehen sind oder gesagt werden – und zwar ohne Komma. Warum dies der Fall ist, weiß ich nicht. Trotzdem erscheint es etwas logisch für mich, den eigentlich wichtigeren Nachnamen nach vorne zu setzen.

Die Umgebung der Bartók Béla u. besteht aus vielen weiteren Plattenbauten. Früher hatte ich eine wahre „Plattenbauten-Phobie“, als ich als Pizza-Auslieferer arbeitete. Wie kann man nur so leben? Jetzt muss ich sagen: So schlimm ist es doch nicht. Der Plattenbau, den ich aus meinem Fenster sehen kann, von einem Flüsschen und Büschen verdeckt. Und die Gegend ist allgemein sehr grün. Ich finde, das kompensiert die Unschönheit der quadratisch praktischen und nach deutschem Standard nicht gerade schön hergerichteten Gebäude ungemein.

Schönen guten Tag!

Eine Frage, die ich mir stellte, war: Grüßt man sich in Ungarn, auch wenn man sich nicht (richtig) kennt. Anfangs habe ich, wie ich es aus Ravensburg gewohnt war, viele Leute auf der Straße gegrüßt. Nachdem aber meistens nichts zurück kam, habe ich mir das abgewöhnt. Dennoch, unter Nachbarn grüßt man sich häufig. Dabei ist stets die „Höflichkeitsstufe“ der Begrüßung zu beachten, also ob man eine Person duzt oder siezt. D.h. Szia! -> Hallo!/Tschüss! (wenn man jemanden duzt) oder Jó napot kivánok! -> Guten Tag! (wenn man jemanden siezt). Ganz am Anfang ist mir ein Fauxpas passiert, ich sagte zur Verabschiedung einer älteren Friseurin Szia! Die Schülerin, die dabei für mich übersetzte, musste mich „zurechtweisen“.

Geräusche und ein Bier am Mittag

Bei meinem Einzug war ich erstmal mit mir selbst beschäftigt. Wie positioniere ich die Möbel? Wo kommen die Poster hin? Oder: Wie bekomme ich die Toilette sauber? (Obwohl angeblich davor eine Putzfrau der Schule in meiner Wohnung war). Doch dann vernahm ich erste Geräusche aus anderen Appartements. Was zur Hölle ist das? Boren die ein Loch in die Wand? Hüpfen die auf dem Boden? Nem tudom. Ich verstehe das nicht. Und die Sounds kommen immer wieder, aber egal, solange mich niemand aus dem Schlaf holt.

Eines Mittags wollte ich laut Musik hören, aber auch ein bisschen frische Luft in meine Wohnung lassen. Die Fenster sollten nur ganz ganz kurz geöffnet sein. Ich hoffte einfach, dass sich so schnell keiner beschwerte. Schon kam ein Nachbar daher, ich nahm an er wolle sich über die Musik beschweren. Ich entschuldigte mich tausend Mal. Doch er wollte mir irgendetwas auf Ungarisch mitteilen, das ich nicht verstand. Hm, merkwürdig. Später kam er wieder und zeigte mir auf seinem Handy eine 5.1-Sorround-Anlage. Ach so, er wollte mir die verkaufen. Ich lehnte dankend ab. Irgendwie logisch, man hört Lieder wie „Scream and Shout“ von einer offensichtlich guten Musikanlage, die ich aus Deutschland mitgebracht habe und will dem Hörenden seine eigene verkaufen…

Einige Wochen später klopfte der ca. 50-Jährige wieder an meine Tür, denn meine Klingel war zu dem Zeitpunkt immer noch defekt. Er zeigte mir einen Zettel auf Deutsch, auf dem er bat, meinen Keller nutzen zu dürfen. Er würde gern sein Brennholz darin staplen. Was, ich habe einen Keller?! Gut zu wissen. Ich willigte ein. Aus irgendeinem Grund hat mein Nachbar einen Schlüssel dafür und ich nicht. Aber das ist mir eigentlich egal; in Ungarn gibt es alles was es normalerweise nicht gibt.

Später traf ich den Mann wieder, er wollte mich zum Dank auf ein Bier zu sich in die Wohnung einladen. Ich lehnte ab, musste ich doch für die Englischprüfung lernen. Beim zweiten mittäglichen Treffen konnte ich dennoch nicht nein sagen. Es war nett in seiner Bude, da mein Ungarisch sich verbessert hat, konnten wir uns einigermaßen unterhalten. Er erzählte, dass er arbeitslos sei, aber auf dem Münchner Oktoberfest und in Stuttgart gearbeitet hat. Generell sei er ein großer Deutschlandfan (wie im Übrigen viele hier).

Eine tolle Erfahrung wieder einen Ungarn persönlich kennen zu lernen und seine Geschichte zu hören – und versuchen ihn und seine Kultur zu verstehen. Genau darum geht es meiner Meinung nach bei „kulturweit“.