Themenbad Tschernobyl (Logbuch Eintrag 6)

Liebe Leser*innen,

In diesem Sonder (-supermega) -Beitrag möchten wir, Thekla und Lennard, unseren katastrophentouristischen Ausflug nach Tschernobyl kritisch reflektieren.

„Sicherheitshinweise für die Reise nach Tschernobyl“

„Macht Radioaktivität unfruchtbar?“

So begann der Trip für uns bereits am Vorabend bei der gemeinsamen Recherche im Hostel in Kiew.

Beruhigend war die Aussage, dass man wohl bei einem Aufenthalt von 6-8 Stunden innerhalb der Zonen nahe des Tschernobyl Reaktors genauso viel Strahlung ausgesetzt sei, wie bei einem einstündigen Flug über den Atlantik. Der Abend blieb jung, da wir am darauffolgenden Morgen um 6:30 Uhr in der Früh aufbrechen mussten.

Um die besagte Stadt zu erreichen fuhren wir 2 Stunden in einem der vielen Tschernobyl Reisebusse.Wir hatten eine Ganztagestour (inklusive Mittagessen) gebucht, einen eigenen Geigerzähler hielten wir jedoch nicht für notwendig. Vorbereitet auf das was uns erwartete, wurden wir durch einen Dokumentarfilm. Diesen verschliefen wir leider prompt. Es war einfach noch zu früh für müde Freiwillige, denen solche Zeiten inzwischen fremd erscheinen.Fragwürdig erschien uns der Ausflug erstmals, als wir am ersten Checkpoint (30 km entfernt) neben einem Tschernobyl Souvenirshop anhielten. 

Nachdem wir diesen passierten und uns somit in der 30 Kilometerzone um den Kernreaktor befanden, startete die eigentliche „Sightseeing Tour“. In einem monotonen Tonfall trug die Reiseleiterin uns vor, welche Gebäude wir aus dem Bus zu unserer Linken und Rechten sehen bzw. nicht mehr sehen konnten. Die restliche Gruppe war mit diesen Informationen sichtlich zufrieden gestellt. Schnell stellte sich heraus, dass die Intention der anderen 9 Teilnehmer eher ein aufregendes Profilbild, als eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes war. Zugegebenermaßen waren auch wir im Vorfeld an den Bildern der verlassenen Ruinen interessiert.

Das Interesse legte sich jedoch noch vor dem Erreichen des ersten geplanten Stops.

Unsere Reiseleiterin schien ganz verwundert zu sein, dass wir, im Gegensatz zu den anderen Mitreisenden, uns auch nach Nachfrage gegen ein Gruppenfoto vor dem Stadteingangsmonument entschieden.

Einer der darauffolgenden Stops war ein verlassener Kindergarten. Nachdem die Reiseleiterin uns ausführlich über die gefährlich hohe Strahlung abseits der Wege informierte, lieferten sich die Teilnehmenden einen Wettkampf, fasziniert davon, welche Strahlenwerte ihr Geigerzähler doch erreichen konnte. Der Gewinner machte sich auch nicht die Mühe den nervenaufreibenden Alarm Ton seines Geiger-Müller-Zählrohres abzuschalten, welcher wohl hörbar den gesunden Grenzwert überschritten hat.

Noch begeisterter waren sie jedoch von den, von anderen Touristen, platzierten Puppen an dem Eingang des Kindergartens. Mit der Besichtigung eines, aufgrund einer Katastrophe verlassenen Ortes hatte das nichts zu tun.

Unser nächster prägnanter Halt war der 1986 außer Kontrolle geratene Reaktor Nummer 4. Eingeleitet wurde der Stop durch die genauen Anweisungen der Reiseleiterin, den besagten, fast völlig von einem metallenen Sarkophag umschlossenen Reaktor, nur aus einem bestimmten Winkel zu fotografieren. Die Arbeiter, und das zum Atomkraftwerk hinzugehörige Gelände, durften keineswegs auf den Bildern zu sehen sein. Dem Anschein nach wird auf dem gesamten Gelände weiterhin gearbeitet. Wir erfuhren auf Nachfrage, dass die Arbeitszeiten je nach Strahlengrad variieren und die Arbeiter nach 15 Tagen die Zone für die gleiche Anzahl an Tagen verlassen müssen. Mehr Geld erhalten die Arbeiter jedoch nicht, obwohl sie der radioaktiven Strahlung ausgesetzt sind.

In Prypjat erkundeten wir zu Fuß die berühmten Überreste des Jahrmarktes und besichtigten ein Schulgelände. Es scheint einen großen Reiz zu haben, illegal, in die verlassene Stadt einzudringen und diese zu zerstören. So sind die leer stehenden Gebäude nur aufgrund der Verwüstungen ein Blickfang für die Katastrophentouristen.

Eine ordentliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes über mehrere Stunden fiel uns sehr schwer. Beim Anblick der Ruinen fielen Sätze wie „Macht Radioaktivität eigentlich den Boden kaputt?“ Bei einem gemeinsamen Mittagessen in der Kantine aßen wir mit weiteren Touristen neben den Arbeitern des Atomkraftwerkes. Das große Highlight war die vorangehende Kontrolle des Strahlenwertes durch ein kurzes Scannen der Kleidung, Hände und Füße. Auch hier bereitete eine eventuelle radioaktive Verseuchung den Teilnehmern Freude, die auf unzählbar vielen Fotos festgehalten wurde (siehe Facebook). Nach dem Mittagessen war auch der letzte Funke unserer Konzentration dahin. Zwei Stunden lagen jedoch noch vor uns. Unter anderem der Besuch der geheimen sowjetischen Militärbasis, genannt Tschernobyl 2. Während unsere Auffassungsgabe gegen null sank und wir langsam unserer Gruppe mit großem Abstand hinterher trotteten, stieg unsere Abneigung gegenüber den anderen Teilnehmern. Selbst ein harmloser Stockwurf eines Teilnehmers, zu der Unterhaltung des Pförtner Hundes, missfiel uns. Alles was die anderen taten, empfanden wir als doof und einfallslos. Für die letzten Attraktionen fehlte uns dann sogar die Motivation den Bus überhaupt zu verlassen. Der Blick durch die beschlagenen Scheiben des Busses war für uns vollkommen ausreichend. Dementsprechend groß war die Freude bei der Wiederankunft in Kiew.

Abschließend können wir sagen, dass es uns nicht möglich war unser vorhandenes Wissen mit dem Erlebten vor Ort zu verknüpfen. Diese Kommerzialisierung einer atomaren Katastrophe verhinderte unserer Meinung nach eine angemessene Auseinandersetzung damit. Uns ist bewusst, dass es dennoch eine prägende Erfahrung war. Wir persönlich halten uns in Zukunft von ähnlichen Touren fern.