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Religionen in Vietnam – Augen auf

Auf der Suche nach einem Rückzugsort in der lauten Großstadtwelt betrete ich barfuß Pagoden, Tempel und Kirchen. Finde, mir (un)bekannte Religionswelten und spüre, dass sich vor mir ein Labyrinth aus Mythen, Bekenntnissen und Traditionen erstreckt. Finde Stille und Glanz. Ich will in dem Moment aufgehen und darüber hinaus doch auch versuchen zu verstehen. So verweile ich im Schneidersitz und beobachte mich selbst in einem neuen Kosmos aus Religionen in Vietnam.

   Daoismus

Als ich die Augen wieder öffne sitzt ist da ein Mann mit schwarzen strähnigen Bart um ihn herum bunte Drachen. Ich bin in einer daoistischen Pagode. Daoismus, das ist die Lehre des Weges. Das Dao, das allem immanente und grenzenlos transzendente Prinzip, welches der ganzen Welt zu Grunde liegt und über das, weil es alle Widersprüche vereint, sich nichts aussagen lässt, ist das zentrale Element der daoistischen Lehre. Alles ist in einem permanenten spontanen Wandel, welchen der Mensch geschehen lassen soll. Gleichmut, Relativierung und Nicht-Eingreifen in das Dao, bilden daher die zentralen Wertvorstellungen und sind einziger Weg zu einem wahren Glück. Auf Lao Tses Lehren aus dem 4.Jhdt. v. Chr. geht diese Weltanschauung, die Philosophie und Religion sein kann, zurück. Noch heute ist der Daoismus mit seinen Lehren in Südostasien prägend und manifestiert sich zum Beispiel auch in den Praktiken des Qi Gong und Feng Shui.

Buddhismus

Als ich die Augen wieder öffne sitzt vor mir ein goldener Mann, um ihn herum liegen Äpfel und Pomelos, sind Blumen und Räucherstäbchen aufgestellt. Ich bin in einem buddhistischen Tempel, davon gibt es viele hier in Vietnam seit dem 2. Jahrhundert vor Christus, als der Buddhismus aus China und Indien durch Gesandtschaften aus Mönchen hierher kam. Während der Kaiserzeit war er sogar Staatsreligion. Heute schwanken die Angaben wie viele Menschen sich zum Buddhismus bekennen, 15 , 66 , 9,3 Prozent. Verschiedenste Strömungen des Buddhismus gibt es in Vietnam, zu unterscheiden sind sie für mich als Laien schwer. Doch auch die Gläubigen, erklärt man mir, sehen keine Widersprüche und harte Grenzen zwischen den Lehren, sie verbinden verschiedenste Praktiken, leben den Synkretismus *. Auch andere Götter werden verehrt und Ahnen angebetet. Der Kern ihrer buddhistischen Religion ist der Glaube: an eine Befreiung durch Buddhas Hilfe, an die vier edlen Wahrheiten und den achtfachen Pfad. Zeremonien gibt es am Nachmittag, zur Dämmerung und zu den Mondfesten.

Cao Dai

Als ich die Augen wieder öffne schreibt Victor Hugo „Gott und Humanität. Liebe und Gerechtigkeit“ auf eine Leinenpapier um ihn herum ein vietnamesischer Gelehrter (Trang Trinh) und ein chinesischer Revolutionsführer (Sun Yat Sen). Die 1926 im Süden Vietnams von Ngo Minh Chieu nach Offenbarungen des Gottes Cao Dai („hoher Altar“) begründete Religion, strebt die Verschmelzung aller bisherigen Offenbarungen an. Sie sieht Jesus und Muhammed, Konfuzius und Victor Hugo, Lao Tse und Buddha als Propheten an und im Cao Dai die dritte Offenbarung und Vollendung dieser Lehren. Für Cao Dai haben alle diese Lehren den selben göttlichen Ursprung und sich bloß unterschiedlich manifestiert. Ziel der Religion ist keine komplette Vereinheitlichung aller Religionen, sondern ein toleranteres Miteinander im Sinne der Grundwerte Liebe und Gerechtigkeit. Der Caodismus lehrt zum Beispiel, wie der Buddhismus, die Seelenwanderung und stimmt mit seinen moralischen Geboten mit Islam und Christentum weitgehend überein. Die Hierarchie wurde von der katholischen Kirche übernommen. Das Symbol der Religion ist das Auge der Vorhersehung, es steht für das Herz, die Quelle des Lichtes und das Licht und der Geist sind eins, Gott ist der Schein des Geistes in der caodistischen Vorstellung.

 

Christentum

Als ich die Augen wieder öffne steht vor mir eine Frau in einem langen Gewand, darüber hängt ein Kreuz woran ein leidender junger Mann mit langem Haar hängt, um das Kreuz sind blinkende Neonröhren. Durch europäische Missionare kam im 16.Jhdt auch das Christentum, vorwiegend katholisch, nach Vietnam und wurde dann unter dem Druck der französischen Kolonialherrschaft in Vietnam verbreitet. Seitdem gibt es hier auch viele Kirchen, welche vom Stil wie die europäischen Kirchen sind und auch die Messe läuft ähnlich ab. Doch gibt es für mich auch einige Unterschiede. Zum Einen merke ich in den Kirchen die Einflüsse eines anderen ästhetischen Empfindens, so gibt es eine pinke Kirche, bunt flackernde Kreuze auf den Kirchtürmen und Neonröhren mit den Namen der Heiligen in deren Kapellen. Zum Anderen ist das Christentum in Vietnam in meinen bisherigen Erfahrungen nahtlos mit anderen Religionen und Bräuchen verbunden. So war ich bei einer vietnamesischen Familie zu Hause, fand dort einen Ahnenaltar, mit Bildern und Räucherstäbchen und einen weiteren bunten Altar für andere buddhistische Gottheiten. Als ich dann fragte welcher Religion sie denn angehörten, antwortete mir My, sie sei Christin und würde jeden Sonntag in die Kirche gehen.

Als ich die Augen wieder öffne sitze ich noch immer noch barfuß auf den Fließen im Schneidersitz und fühle mich wie zeitgereist. Der Motorlärm wird in meinem Kopf wieder lauter, vor dem offenen Fenster der Strudel der Geschäftigkeit der Stadt. Auch dort an den Bäumen am Straßenrand, an den Bussen und Autos, in den Läden und Banken sind in irgendeiner Ecke immer wieder einige Räucherstäbchen, Bilder oder kleine goldene Statuen, zu finden, Verweise auf ein Verbindung ins Weite. Vietnam, sich selbst offiziell als mehrheitlich atheistisch bezeichnendes Land, zeigt sich mir voller Traditionen aus verschiedensten Kulturkreisen, so gibt es Moscheen und Kirchen, Tempel und Pagoden, auch hinduistische Tempel und wahrscheinlich noch viele Religionen mehr, welche ich hier unerwähnt lasse. Doch vor allem gibt es einen privaten, ganz persönlich vermischten Glauben mit Kulten, die auf der Straße, so wie im Wohnzimmer praktiziert werden. Dabei beobachte ich, wie die Definitionsgrenzen und Dogmen von Religion an Konturen und Wichtigkeit verlieren in meinem Kopf.

Es gäbe noch viel mehr zu Religionen in der sozialistischen Republik Vietnam zu schreiben. In meinen Bildern fehlt die dunkle Schattierung, fehlen die historischen Kontexte, fehlen die Konflikte. Offiziell ist in Vietnam die Religionsfreiheit und Gleichheit aller Religionen vor dem Gesetz in der Verfassung (Artikel 70) festgeschrieben, dies gilt allerdings nur für staatlich registrierte Gemeinschaften. Das im letzten Jahr in Kraft getretene neue Religionsgesetz wurde von Menschenrechtsorganisationen und dem interreligiösen Konzil Vietnams stark kritisiert. So erhöht es, auch nach Angaben der Regierung, die Möglichkeiten zur Überwachung der Religionsgemeinschaften durch die Regierung. Den Gemeinschaften ist es verboten die nationale einheitliche Ordnung zu stören. Besonders aus den ländlicheren Religionen Vietnams gibt es viele Berichte über Personenkontrollen während der Zeremonien und über Verhaftungen von Mitgliedern.

Solche politischen Kontexte sind auch wichtig für das Verständnis von Religionen in Vietnam, doch es fällt mir schwer nach so kurzer Zeit hier, die Situation wirklich kritisch zu beurteilen. 

Die meisten Fragen bleiben bestehen, ich will deshalb weiter mit offenen Augen, meinen Weg durch dieses faszinierende Labyrinth suchen.

 

 

*Synkretismus: bedeutet die Verschmelzung verschiedener religiöser und philosophischer Praktiken zu einem eigenen System

 

 

 

Meine Quellen:

Allgemein:

https://www.vietnam-special-tours.de/land-leute/

http://www.farang.de/Landinfo/Vietnam.html

https://en.wikipedia.org/wiki/Buddhism_in_Vietnam (sowie alle Wikipedia Artikel zu den einzelnen Religionen, zu Pagoden, Feng-Shui, Kultur in Vietnam, etc.)

Zur Geschichte:

http://www.vietnam-aktuell.de/vietnam-info/geschichte-vietnam/


Cao Dai:

http://www.caodai.org/web/content.aspx?pageID=1

https://www.britannica.com/topic/Cao-Dai

http://www.patheos.com/library/cao-dai

Zur Religionsfreiheit und dem neuen Religionsgesetz:

http://www.scmp.com/week-asia/politics/article/2051224/vietnams-new-religion-law-smokescreen-political-repression

https://www.liportal.de/vietnam/gesellschaft/

http://www.missio-hilft.de/media/thema/religionsfreiheit/laenderberichte/09-vietnam.pdf

 

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