Zweiundzwanzigstes Türchen – Begegnungen

Mein Leben in Vietnam ist geprägt durch Begegnungen.

Menschen, die mir zufällig oder auch nicht – vielleicht sollte man es auch Schicksal nennen, wer weiß… – begegnen, die ich irgendwie kennenlerne.

Begegnungen, die mich erheitern, zum Nachdenken bringen, mir einen neuen Blick auf eine Sache geben, die mich weiterbringen, irgendwie.

Nun ist es schwierig für mich, den Begriff „Begegnung“ zu definieren. Ich meine, wie würdest du jemandem dieses Wort erklären? Denn eine Begegnung ist nicht objektiv, sie ist immer subjektiv. Warum? Weil daran immer Menschen beteiligt sind.
Eine Definition des Begriffs möchte ich dir dennoch nicht vorenthalten:

„Begegnung, in der Existenzanalyse die Bezeichnung einer Ich-Du-Relation, in der die personalen Fähigkeiten zweier Menschen zu einer besonderen Interaktion mit der Etablierung eines „Zwischen“ als „Begegnungsfläche“ führen; Begegnung meint das Erkennen, Verstehen und Beantworten eines „Du“ (einer anderen Person) durch ein „Ich“, das auf das eingeht, was den anderen und ihn selbst bewegt und daher gemeinsames Thema ist.“

http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/begegnung/2042

Was genau will sie jetzt aber mit Begegnungen? Als ich – übrigens sehr lange – über das Thema des heutigen zweiundzwanzigsten Türchens nachgedacht habe, habe ich an die vielen Menschen gedacht, die mir hier begegnet sind. Und vor allem, was gewesen wäre, wenn ich ihnen nicht begegnet wäre. Dieser Blogeintrag soll ein Dank sein an alle Menschen, die mir in meinem Leben, aber vor allem jetzt in meinem Leben in Vietnam begegnet sind. Die mich sicherlich in irgendeiner Weise geprägt haben, selbst wenn vielleicht auch nur ganz gering.

Ich denke an die kleinen Begegnungen, die zwar klein, aber nicht unbedeutend sind: Eine alte Frau, die mir auf der Straße begegnet und mich einfach so angrinst. Ein Vater mit seinem kleinen, zuckersüßen Sohn, den ich mit einem Lächeln betrachte und von seinem Vater auch ein Lächeln bekomme. Die Verkäuferin an einer Straßenküche, die mir als „Souvenir“ ein zusätzliches Stück Brot schenkt. Ein junger Vietnamese, der mich in Hoi An plötzlich auf Vietnamesisch anspricht, ich wenigstens ein wenig antworten kann und er deshalb sehr grinst und am Ende ein Selfie zusammen machen möchte. Schüler, die mich erfreut mich mit „Hallo Sophie“ und einem Lächeln begrüßen. Kinder, die mich am Hoan Kiem See ansprechen und Englisch üben möchten. Eine Frau, die mir beim Shoppen sagt, wie hübsch ich in dem Outfit aussehen würde. Eine ziemlich alte Vietnamesin, die für ein Foto posiert und das typische Victoryzeichen macht. Und viele viele mehr, die ich gar nicht alle aufzählen kann oder will, weil es sonst einfach viel zu lange dauern würde.

Da sind aber auch die Menschen, mit denen man viel Zeit verbringt, mit denen man ausführlich spricht, viel erlebt, sich eine Freundschaft entwickelt, von der man hofft, dass sie lang hält. Menschen, die mein Leben in Vietnam einfach toll machen.

Meine liebe Chi (große Schwester): In jeder größeren Stadt werden Free Walking Tours angeboten. Wie könnte ich diese Chance nicht wahrnehmen? Meiner Meinung nach ist das ein wirklich tolles Konzept, da man mit Einheimischen die Stadt erkundet, die dabei ihr Englisch verbessern können.
In Hoi An habe ich spontan eben eine solche Free Walking Tour gemacht und dabei meine wundervolle große Schwester (chi, die vietnamesische Anrede) kennengelernt. Eigentlich war nur ein Treffen geplant. Nach dem ersten gemeinsamen Erkunden der Stadt und einem tollen Gespräch haben wir uns aber gleich am nächsten Tag für eine Ausflug in ein Töpferdorf in der Nähe Hoi Ans gemacht. Kurz vor meiner Weiterreise haben wir uns sogar noch ein drittes Mal getroffen, haben gemeinsam Frühlingsrollen gegessen und sind auf einem Fahrrad entlang des Flusses gefahren, haben viel geredet und einfach eine schöne Zeit gemeinsam gehabt. Ich bin froh, ihre em (kleine Schwester) sein zu dürfen und sie als chi zu haben. Ohne sie wäre meine Zeit in Hoi An nicht mal ansatzweise so toll gewesen.

Auf Facebook habe ich kurz nach meiner Ankunft in Hanoi nach einem Exchange Partner für Vietnamesisch und Deutsch gesucht. Das Konzept: Man trifft sich auf einen Kaffee oder zum Essen und tauscht seine Sprachen aus. Das Ergebnis: Man trifft tolle Leute, lernt (bestenfalls) die andere Sprache besser und hat eine schöne Zeit.
Auf meinen Facebookpost haben sich wirklich viele Leute gemeldet, mit den meisten habe ich mich getroffen. Drei sind für mich aber besonders wichtig geworden:

Duc: „Hallo Sophie. Ich bin Duc, 21 Jahre alt. Ich las deine Anzeige auf Facebook. Und das zeigt, dass du einen Partner suchen möchtest, um die Sprache zu tauschen. Ich habe seit einem Jahr Deutsch gelernt. Und es wäre schön, wenn wir uns im Cafe treffen und unterhalten. Ich freue mich darauf.“ Wie hätte ich mich nach dieser netten Nachricht nicht mit ihm treffen können? Im Cafe hat er Theresa und mir tatsächlich viel über die vietnamesische Sprache beigebracht. Natürlich haben wir aber auch über uns gesprochen. Beim zweiten Treffen hat er uns zu einem Basketballspiel von Hanoi gegen Saigon eingeladen. Die Stimmung war toll und mich hat es begeistert, wie intensiv er mitgefiebert hat, mir aber als absoluter Basketball-Neuling auch die Regeln und den Spielverlauf erklärt hat. Es war ein so schöner Abend und ich wünschte, wir hätten mehr solcher Abende gehabt. Drei Tage später ist er nämlich nach Deutschland geflogen, weil er nun in Erfurt studiert.
Duc war einer der ersten, der mir gezeigt hat, warum es immer heißt, dass Vietnamesen sehr freundlich und offen sind. Ich freue mich, ihn nach meinem Rückflug nach Deutschland wiedersehen zu können und dann vielleicht genauso begeistert gemeinsam bei einem Fußballspiel mitzufieber!

Hung: seine Schwester hatte meinen Post auf Facebook gelesen und mich angeschrieben, dass ihr Bruder Deutsch lernt. Kurz danach bekam ich die erste Nachricht von ihm und wenige Tage später haben wir uns zum Abendessen getroffen. Mit dem Moped sind wir zu einem geheimen Lokal gefahren, in dem man mitten im Schlafzimmer der Eigentümer leckere Pho genießen kann. Mit ihm habe ich an diesem Abend in einem kleinen Cafe meinen ersten Kokosnusskaffee getrunken und wir haben sehr viel geredet. Am Mondfestival haben wir die Löwentänze angeschaut, wir waren bei einer großen Jubiläumsfeier des deutsch-vietnamesischen Stammtisches, waren wandern in den Bergen nahe bei Hanoi und haben am Fuße der Berge von ihm selbstgemachtes Sushi genossen, waren Hähnchen in der Bierdose essen (ein ganz besonderes Erlebnis), haben Matcha-Milchshakes beim Spazieren in der Hanoier Altstadt getrunken und viel, viel gesprochen über Vietnam und Deutschland, die Kulturen, das Essen, die Traditionen, die Menschen und vieles mehr.
Vor einigen Tagen hat er nun seine Ergebnisse für die B1 Prüfung bekommen – und bestanden, was mich sehr freut – und wird Ende Februar nach Deutschland fliegen, um dort zu studieren. Wenn wir beide in Deutschland sind, hoffe ich, dass wir weiterhin so viel Kontakt haben werden und viel unternehmen können!

Huyen/Joey: In einem riesigen Luxus-Einkaufshaus haben wir uns nach ihrer Nachricht auf Facebook getroffen. Ausgestattet mit Stift und Papier hat Joey bzw. Huyen (sie meinte zu mir „Du kannst mich Joey oder Huyen nennen“) in die komplizierte Welt der vietnamesischen Sprache eingeführt. An der Aussprache jeden einzelnen Wortes haben wir gefeilt bis es perfekt war – oder vielleicht auch nur akzeptabel 😉
Selbst wenn ich mich nicht so toll beim Lernen angestellt hat, hat sie mir weiter erklärt, wie es richtig heißen sollte, mir nebenbei einen tollen Einblick in die vietnamesische Kultur gegeben und richtig viel erklärt. Beim zweiten Treffen haben wir uns in einem tollen Restaurant mit Frühlingsrollen getroffen und sie hat mir mehr über sich selbst erzählt, ihre Geschichte und ihre Pläne für die Zukunft.
Auf Suche nach einem chicen Outfit hat sie sich beim dritten Treffen nicht von meiner geringen Entscheidungsfreude stoppen lassen und so sind wir tatsächlich 6 Stunden auf der Suche nach dem perfekten Outfit für eine Abschlussfeier gewesen. Belohnt wurde das mit einem Che auf dem Night Market.
Insgesamt drei Mal haben wir zusammen gekocht und das wirklich super lecker: Nudeln mit einer speziellen Sauce und leckerem Fleisch (den Namen weiß ich leider nicht mehr), Frühlingsrollen und das absolute Highlight waren definitiv die Sommerrollen.
Am 28. November war es soweit und sie flog nach Lübeck, um dort in einem Krankenhaus zu arbeiten, da sie bereits Medizin in Vietnam studiert hat.
Ich bin schon jetzt vorfreudig, sie nach meiner Rückkehr nach Deutschland besuchen zu dürfen und wieder eine tolle und unvergessliche Zeit gemeinsam verbringen zu können!

Es sind die Begegnungen, die Vietnam zu diesem ganz besonderen Ort für mich machen.

Menschen, die mir zufällig oder auch nicht – vielleicht sollte man es auch Schicksal nennen, wer weiß… – begegnen, die ich irgendwie kennenlerne.

Begegnungen, die mich erheitern, zum Nachdenken bringen, mir einen neuen Blick auf eine Sache geben, die mich weiterbringen, irgendwie.

Ich bin dankbar für jede einzelne davon und freue mich auf viele weitere Begegnungen in den nächsten zwei Monaten!

Viele Grüße und hoffentlich begegnen wir uns in Deutschland wieder

deine Sophie

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