13 Mal mein Ungarn

Nachdem der vorige Beitrag sich um die Frage „Was vermisst du?“ drehte, ist es mir wichtig, an dieser Stelle einmal ganz bewusst zu betonen, dass ich hier in Ungarn glücklich bin.

Selbstverständlich – niemand ist immer glücklich, auch ich nicht; weder in Ungarn noch in Deutschland, weder auf Mallorca noch im Schlaraffenland oder meinen Träumen. Ich bin frustriert und müde, genervt oder gestresst, enttäuscht von mir selber; fühle mich allein oder unsicher. Ich bin wütend aufgrund von manch einem Zustand, traurig, wenn ich Hass oder Leid sehe. Fühle mich vielleicht hilflos.

Doch meistens geht es mir gut. Ich lache, liebe, lebe, schwebe. Ich tanze zu meinem ganz persönlichen Soundtrack durch die Stunden – schnell, dann wieder langsam.

Mir ist bewusst, dass ich viele Vorteile habe: ein leichter Start ins Leben; in der deutschen Bildungsschicht aufgewachsen, ohne materielle Probleme, eine gute Ausbildung, nun mit kulturweit ein FSJ im Ausland. Und dafür bin ich dankbar. Allerdings würde auch all dies mich nicht glücklich machen ohne Liebe.

„Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann ist glücklich“
Hermann Hesse

Und lieben können wir alle:
selbstverständlich Menschen, aber auch Dinge oder Orte; Gerüche, Geräusche, Gefühle, Gedanken und so vieles mehr. Schönheit finden wir überall.

An dieser Stelle eine kleine und mehr oder weniger willkürliche Auswahl der Dinge, die ich durch meinen Freiwilligendienst kennen und lieben lernen durfte:

  1. Die vielen wunderbaren Menschen, die mir begegnen: kulturweit-Freiwillige, die zu Freunden werden; meine süße Mitbewohnerin; charmante Lehrer bzw., zumindest im Deutschzweig, eher Lehrerinnen; Schüler und Schülerinnen, so verschieden wie die Farben des Regenbogens; Zufallsbekanntschaften in Pécs – über Lenau-Haus, Schwabenball oder die Uni – oder bei einer Unterhaltung im Zug oder Hostel, in Budapest auf einer Studentenparty…
  1. Die Wertschätzung von Traditionen in Ungarn – ich mag Altbekanntes, Gewohnheiten und eben auch Traditionen und empfinde Dinge wie den feierlichen Einzug der Abiturienten bei der Bandweihe als schön und wertvoll
  1. Die Tatsache, dass ich, die ich sonst gerne unpünktlich bin, noch nie meinen Bus verpasst habe, da dieser zumindest morgens genau wie ich stets treu um ein, zwei Minuten zu spät dran ist
  2. Dass mich dieses Land und seine Menschen immer wieder überraschen können – wie jener Zahnarzt, bei dem ich jeder Diskussion über die Flüchtlingsthematik lieber aus dem Weg ging, da seine Haltung dazu schon aus seiner Frage nach meiner Meinung zu dem Thema recht deutlich hervorging – und er sollte schließlich noch meinen Zahn behandeln; der mir dann aber auf die Frage, was der Zahnarztbesuch denn koste, antwortete, für mich sei er kostenlos – ich solle doch sehen, wie großzügig die Ungarn seien…
  3. Die ungarische Sprache, deren Sätze wie Zaubersprüche klingen
  4. Dass (fast) alle Post im Briefkasten für mich ist – und Briefe habe ich schon immer geliebt
  5. Den ungarischen Gentleman: ungeachtet der Tatsache, dass Frauen auch in Ungarn gleichberechtigt sind, gibt es ihn hier noch, den Gentleman alter Schule – Männer, auch schon Schüler aus der zwölften Klasse, halten die Tür auf oder bedanken sich für einen Tanz. Und auch die Grußformel „csókolom“, die frei mit „Küss die Hand“ übersetzt werden kann und nur von kleinen Kindern und von Männern Frauen gegenüber benutzt wird, würde in Deutschland wohl eher altmodisch anmuten
  1. Die unkomplizierte Freude, die hier beim Tanzen herrscht, gepaart mit der Überzeugung, dass wirklich jeder tanzen kann – mein Selbstvertrauen auf der Tanzfläche ist ungemein gewachsen; letzten Samstag führte ich zusammen mit einigen Lehrern vor der ganzen Schule eine Polka auf, und das auch noch im für mich als Norddeutsche ungewohnten Dirndl
  1. Dass die meisten Ungarn genauso gerne und viel essen wie ich
  1. Die entspannte Einstellung der Ungarn zu vielen alltäglichen Kleinigkeiten – langsam erst gewöhne ich mir ab, in jeder Kirche, jedem Museum als erstes nach dem „Fotos verboten“-Schild Ausschau zu halten und auch mein Fahrrad lehne ich mittlerweile ganz selbstverständlich überall an
  1. Das Lachen zusammen mit Schülern, wenn wir etwa ein Spiel spielen, bei dem die erste Assoziation genannt werden muss, und auf „Jesus“ der Name eines Schülers folgt; Schüler, die sich freuen, wenn ich in die Klasse komme, für jedes kleine ungarische Wort applaudieren, mir Anekdoten aus ihrem Leben erzählen, auf Facebook ein Foto mit mir posten möchten, mir eine Nachricht schicken, in der sie mich fragen, wie es mir geht, mich anlächeln oder mich fragen, ob sie mich umarmen dürfen
  1. Die Ampeln, die die Sekunden, die sie noch grün oder rot sein werden, anzeigen – das hat mir schon oft das Hetzen zu der vielleicht nur noch wenige Augenblicke grünen Ampel erspart
  2. Die große Anzahl wunderschöner Orte, die ich bereits entdeckt habe und noch entdecken werde: allen voran mein schönes Pécs, Ungarns Herz – Budapest, das Mecsek-Gebirge und viele mehr… Ungarn!

13 Blicke auf mein Ungarn. 13 einmal als Glückszahl. 13 der vielen kleinen und großen Dinge, die mich hier glücklich machen. Ich wünsche uns allen offene Augen und Herzen für all das, was unser Leben jeden Tag aufs Neue lebenswert macht.

Eure Silja