schockblock

ALARM! ALARM! ZU HILFE! FEUER!

Ich wohne in der Schule, in der ich arbeite. Unter mir ist die 5a, manchmal weckt sie mich. Ich habe einen sehr kurzen Arbeitsweg, das ist toll. Ich kann in den Pausen nach Hause gehen. Ich kann mir was zu essen kochen und mir das Essen schnell reinschaufeln, weil ich es sonst nicht pünktlich zur nächsten Stunde schaffe.

Natürlich nur, wenn Schule ist. Und auch nur, wenn ich überhaupt zur Schule gehe und nicht gerade mit einer Mandelentzündung auf dem Sofa liege. Vor gut einem Monat war aber keine Schule und ich hatte zufälligerweise eine Mandelentzündung, weshalb ich weder in der Schule noch sonst wo herumrannte, sondern auf dem Sofa lag.

Es waren Osterferien. Und am Sonntagabend lag ich zur Abwechslung mal in der Hängematte und hatte natürlich total vergessen, dass Ostern war. Ich hatte schon das katholische Ostern vergessen und das orthodoxe jetzt eben noch dazu.
Bei uns sollte es Zwiebelsuppe geben. Max war deshalb fleißig am Kochen und schob Auberginen in den Ofen. Ich hörte mir ein Interview an und hing eben so herum, wie man das als Schwerstkranke zu tun hat.
Alles war sehr ruhig und entspannt, ein lauer Abend mit gutem Essen und noch mehr Ruhe in Aussicht. Naja.

Bis der Rauchmelder anging. Bis der Rauchmelder anfing zu piepen und zu schreien und mit Lärm nur so um sich zu werfen, weil wir uns auf jeden Fall in Sicherheit bringen mussten.

Sagte ich „der Rauchmelder“ ging an?
Nein, nicht nur der eine Rauchmelder, der aus irgendeinem Grund in unserer Küche hängt, sondern alle Rauchmelder in unserem Haus, alle im ganzen Block, alle Rauchmelder in den anderen Schulgebäuden, alle Rauchmelder auf dem ganzen Schulgelände.

Es war höllisch laut. Und wir hatten natürlich keine Ahnung, wie wir diesen Lärm abstellen sollten. Um die Lage aufzuheitern, veränderten die Sirenen sich und wurden immer schneller.

Also liefen Max und ich wie aufgescheuchte Hühnchen umher und versuchten alle möglichen Menschen anzurufen. Eine Lehrerin, die über uns im Haus wohnt, meine Ansprechpartnerin, die auch im Block wohnt, eine andere Freiwillige, die auch an der Schule ist, aber gerade im Urlaub war, und Max‘ Mutter.

Wir erreichten niemanden, der uns jetzt helfen konnte. Also nahmen wir den Feuermelder in der Küche raus. Aber das half natürlich nichts.

Wahrscheinlich stünde in 5 Minuten die Feuerwehr vor der Tür und würde uns aus der Wohnung zerren, in dem Glauben, uns zu retten. Vielleicht würden wir es aber auch nicht miterleben, weil wir bis dahin einen Hörsturz gehabt hätten.

Ich lief einmal durchs Haus und klingelte überall. Im zweiten Stock traf ich einen Mann, dem ich noch nie zuvor begegnet war. Ich fühlte mich ziemlich hilflos, aber er hatte auch keine Idee, wie man den Alarm beenden konnte..

In der Zwischenzeit hatte Max im Verwaltungsgebäude den Sicherungskasten für Alarme gefunden. Direkt im Flur. Sehr leicht zugänglich.
Dachte ich.

Es gab die Tasten „mute“ und „reset“.
Natürlich drückte ich sie eifrig -aber- man braucht ein Passwort. Wo sollten wir jetzt dieses superspezifische Passwort herkriegen?
„1234“ war es nicht.
Unten am Kasten stand eine Nummer: „Im Notfall…“
Diese Nummer war auch nicht das Passwort, aber eine Telefonnummer, bei der sich ein leicht verschlafen wirkender Mann meldete.

Meine Bulgarischkenntnisse reichten für so eine Situation lange nicht, (ich hätte ihm vielleicht mein Zimmer beschreiben können) und der Mann meinte, dass er kein Englisch spreche.

Aber von sprechen konnte ja auch nicht die Rede sein, weil ich zumindest alles ins Handy rief, um den Lärm der unendlichen Feuermelder zu übertönen.
„NO FIRE! We want to stop the alarm. No fire! Only Alarm! We need a password!“

Erst klar machen, dass wir Feueralarm hatten. Es gab aber kein Feuer. Nur den Alarm. Und den wollten wir stoppen. Es gab kein Feuer und wir wollten auch keinen Alarm auslösen. Nicht auslösen, sondern stoppen. Den Sicherungskasten hatten wir schon gefunden. Die Tasten auch. Und jetzt war ein Pin notwendig. Zahlen.  „We need a password! We need numbers!“

Die ersten Zahlen, die er mir sagte, stimmten nicht. 654.
Dann war es 765, aber das passte auch nicht.

Und immer lief ich auf den Schulhof, um mit ihm zu reden, weil dort der Alarm leiser war als im Gebäude und wieder ins Gebäude, um die Zahlen ein zu geben. Ich rief und wiederholte alles was ich sagte, alles was er sagte und vergaß die Mandelentzündung, aber lange nicht Ostersonntag. So ein Lärm an Ostersonntag.

Die nächsten vier Zahlen, die er sagte, kamen langsam und zögernd durchs Telefon. Und ich hatte schon Angst, dass er sich die Zahlen bloß ausdachte. Raten konnte ich auch. Aber er riet nicht. Und wenn doch, dann verdammt gut.

Mit einem Mal war alles still. Endlich war es wieder still. Max und ich waren ziemlich erleichtert und etwas ungläubig.

Ich bedankte mich sehr bei dem Mann und hoffte, dass es nur annähernd so dankbar bei ihm ankam, wie ich es meinte. Nach einer kurzen Pause sagte er: „Okay, bye“, und legte auf.
Ich weiß immer noch nicht, wer er war, aber er hat uns sehr geholfen.

Max und ich saßen dann noch ein bisschen auf dem Schulhof und gewöhnten uns wieder an die Ruhe und versuchten unsere Aufregung los zu werden. Wir überlegten, wie wahrscheinlich es war, dass die Feuerwehr noch kommen würde.

Es kam tatsächlich noch ein Mann und schaute auf den Sicherungskasten. Wir erklärten ihm grob, was passiert war. Er überprüfte noch ein bisschen und bat uns dann, unseren Feuermelder wieder rein zu drehen. Also gingen wir wieder rein, hängten den Feuermelder an seinen Platz, hatten kurz Angst, er würde von etwas Restrauch wieder angehen, aber das tat er nicht, denn es gab keinen Restrauch.
Max machte sich wieder an der Suppe zu schaffen und ich legte mich in die Hängematte und ruhte mich fleißig aus, denn das ist es doch, was man als Schwerstkranke zu tun hat.

Die mobile Version verlassen
Zur Werkzeugleiste springen