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Ich hasse Abschiede

Verfasst am 26.02.2019

Während ich das schreibe, sitze ich am Ufer des Werbellinsees, auf dem Steg, der schon im Sommer mein Lieblingsplatz gewesen ist. Anfang September war das noch im Bikini auf einem Handtuch und bevor ich geschrieben habe, bin ich munter in das glasklare Wasser gehüpft. Jetzt sitze ich hier fest in meinen Trenchcoat gewickelt und sehe auf das immer noch glasklare, aber gerade viel zu kalte Wasser, genieße die erste Wärme der Sonne. Alle anderen sind bei irgendeiner Veranstaltung und ich genieße noch ein bisschen Ruhe und verabschiede mich langsam von diesem Gewässer, das mir wirklich ans Herz gewachsen ist.

Wie doch die Zeit verfliegt, wenn etwas Spaß macht.

Was nach dem Standardspruch jeder Person 60+ klingt hat sich in den letzten Tagen als nur zu wahr erwiesen. Es ist schön, alle vertrauten Gesichter wieder zu sehen und doch immer noch neue Begegnungen zu machen. Aber ein Teil von mir kann immer noch nicht fassen, dass es das gewesen sein soll, dass es danach nicht nach Petersburg zurückgeht und ich nicht erleichtert mein Zimmer betreten werde, einen Blick auf die Straße vor dem Haus werfend. Nein, das war’s tatsächlich morgen Abend mit kulturweit, das war es seit Samstag vorerst mit Petersburg. Ganz ist die Erkenntnis noch nicht zu den letzten Regionen meines Verstandes vorgedrungen und zum Herzen natürlich erst recht nicht.

Als ich mich letzte Woche von meinen Schülern verabschieden musste, war ich schon fast ein wenig wütend darüber. Wie grausam, jemanden jetzt dem inzwischen vertrauten Arbeitsumfeld zu entreißen, wie unfair mich jetzt von meiner liebgewonnenen Vermieterin und den neuen Freunden verabschieden zu müssen. Ich habe es bevorzugt, nicht darüber nachzudenken, weil mir ohnehin klar war, dass sich daran nichts ändern lassen wird und unnötiges Grübeln nichts außer trübe Gedanken bringen wird. Petersburg hat mich in den letzten Tagen mit herrlichem Wetter belohnt und mir klar werden lassen, was für ein unendlicher Glückspilz ich doch in vielerlei Hinsicht gewesen bin. Der Freiwilligendienst hat meine hohen Erwartungen letztlich übertroffen und das trotz kleiner und großer Krisen und all den Schwierigkeiten, die ein neues Land, eine fremde Sprache und eine andere Mentalität mit sich bringen – nicht anzufangen von gewissen Visaangelegenheiten. Ich hatte absolut keine Lust zu gehen und hätte mir jemand angeboten, die fünf Tage Nachbereitungsseminar gegen weitere fünf Tage in Russland zu tauschen, ich hätte nicht eine Sekunde gezögert zuzustimmen.

Oft ist mir durch den Kopf gegangen, was ich alles hätte sehen und erleben können, wäre es doch nur möglich ein ganzes Jahr zu bleiben. Zu beobachten, dass das Eis auf der Newa langsam aufbricht und die Eisschollen ins Meer treiben. Die Aufregung, wenn der Wintermantel endgültig in den Schrank verbannt werden und endlich wieder Übergangsjacken angezogen werden können, ohne dass man eine Stunde später an Erfrierungen zugrunde geht. Die berühmten Petersburger Weißen Nächte und der Schulabschluss meiner Zehntklässler inklusive Riesenfeier an den Ufern der Stadt. Je näher der Abflugtag gerückt ist, desto mehr Reiseziele, die ich gerne im Sommer gesehen hätte, sind mir in den Sinn gekommen – Kasan, der Ural, Sotschi, usw. -, aber es war nicht mehr ein Bedauern, dass ins Herz sticht, wie es vielleicht noch vor ein paar Monaten gewesen wäre. Es war ein Bedauern, dass dich mit den Schultern zucken lässt, weil dir ohnehin klar ist, dass du zurückkehren wirst, du aber nicht so lange warten möchtest.

Die Reise ist zwar irgendwie vorbei, aber irgendwie auch nicht. Bis zum Studium habe ich noch etwas über ein halbes Jahr, auf dem Konto sind noch ein paar Euro und die ersten Pläne sind schon gemacht. Es wäre meiner Meinung nach übertrieben, kulturweit dafür zu danken, dass meine letzten Monate so angenehm waren, aber ich bin auf jeden Fall froh, dass es eine solche Möglichkeit gibt, ins Ausland zu gehen. Es mag nicht alles perfekt sein und die Erfahrungen eines FSJ sind auch nicht durchweg positiv, aber was sagt das schon aus? Würde mich jemand fragen, ob ich einen Freiwilligendienst weiterempfehlen würde wäre meine Antwort, denk wirklich sorgfältig darüber nach. Für mich hat es sich überraschenderweise als das absolut Richtige herausgestellt.

Eine weitere positive Überraschung ist das ein oder andere nette Wort über diesen Blog hier. Ich freue mich wirklich von ganzem Herzen, dass so manchem gefallen hat, was ich an dieser Stelle von mir gegeben habe und es hat mich zum nachdenken gebracht, wie ich meinen privaten Blog in Zukunft gestalten kann. Wer weiter etwas über mein Tingel-Tangel durch die Weltgeschichte, die Städte die ich demnächst besuchen werde und meine Meinung zu diesem und jenem zu hören möchte, ist gerne eingeladen, bei palabera lumera vorbeizuschauen. Dort werde ich auch versuchen, mich weiterhin mit Russland und seinen liebenswürdigen und weniger liebenswürdigen Eigenheiten zu befassen.

Und jetzt? Abschied. Der letzte Abend steht bevor und ich möchte mich ab morgen voll auf Zuhause konzentrieren, was mir nicht möglich sein wird, wenn ich ständig im Hinterkopf habe, dass ich ja noch einen Blogpost schreiben will. Der Artikel über die Veranstaltungen zur Leningrader Blockade ist sogar fast schon fertig und die über Moskau und Jekaterinburg feste in Planung – nur eben nicht mehr hier.

Vielen Dank an die Leute, die das hier mitverfolgt haben und noch einen speziellen Dank an die, die sich mit positivem oder negativem Feedback gemeldet hat, das hat mir beides viel bedeutet. Ich wünsche jedem, dem noch sechs Monate bevorstehen oder der sechs Monate vor sich hat oder sich ebenso wie ich langsam verabschieden muss, eine super Zeit und alles Gute. Man sieht/hört/liest sich bestimmt nochmal – oder halt auch nicht.

До свидания!

Sarah

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Ich hab da was begriffen.

„Man ist oft mit sich selbst so sehr im Widerspruch als mit Andern.“ – Francois de la Rochefaucauld

Die letzten Wochen waren nicht ganz einfach. Dienstag vor zwei Wochen bin ich mit einem derartig entzündeten Hals aufgewacht dass es sich angefühlt hat als hätte mir jemand eine Handvoll Rasierklingen in den Hals gesteckt. Folglich war ich die ganze Woche zu nichts zu gebrauchen, habe im Bett gelegen, meine Schüler vermisst, zwei Staffeln Queer Eye vernichtet und mich buchstäblich zu Tode gelangweilt, während draußen auch noch das schönste Wetter war. Continue reading