Visa schmisa

Es ist Mittwochvormittag, 11.09 Uhr. Seit vierzehn Minuten ist mein Flieger in der Luft. Und ich? Sitze in Berlin, im Hostel und habe mir epischen Herr der Ringe – Soundtrack auf die Ohren geklatscht, um nicht volles Rohr loszuheulen.

Denn heulen will ich seit gestern Nachmittag in einer Tour, seit ich in der Visastelle stand und mir zum mittlerweile fünften Mal gesagt wurde, „Tut mir leid Sarah Merkle, ich habe heute leider kein Foto, äh… Visum für Sie.“

Haben das alle mitgekriegt oder soll ich es nochmal extra aufschreiben? Die fünfte Ablehnung.

Das mit dem Visum hat bei mir, aus welchem Grund auch immer, von Anfang an ja nicht so super hingehauen. Dreimal musste ich nach Frankfurt tuckern, bis ich diesen Wisch endlich mal im Reisepass hatte und nun kommt die russische Besonderheit: Eben nur für drei Monate. Etwas, das ich übrigens nicht aus den kulturweit-Unterlagen, sondern erst in der Visastelle in Frankfurt erfahren habe. Und auf dem Vorbereitungsseminar wurde uns dann mitgeteilt dass wir eben nicht, wie ich naiv vermutet hatte, das Visum locker flockig vor Ort in den zuständigen Behörden verlängern können, nein, dafür mussten wir nach Deutschland reisen.

„Nicht schlimm, dann kann ich in Berlin meine Schwester sehen und außerdem müssen wir ja ohnehin zum Zwischenseminar in Tschechien. Das ist bestimmt alles easy, immerhin hab ich ja schon ein Visum, was kann es dann noch für Probleme geben?“

Eine Menge, hat sich herausgestellt.

Ich kann nicht sagen, woran es diesmal schon wieder hängt. Ich weiß, dass die Tatsache dass ich jetzt überhaupt hier sitze auch auf meine eigene Kappe geht und gebe mir daran auch durchaus Mitschuld. Zu viel Schludrigkeit beim Lesen der relevanten Unterlagen, zu viel Vertrauen in andere. In Zukunft werde ich so einen Kram nicht mehr so leicht aus der Hand geben, denn niemand, wirklich niemand,  abgesehen von der netten Frau in der Visastelle gestern, die sich nach Kräften bemüht hat zu helfen, konnte mir bisher eine vernünftige Antwort geben, auf keine einzige Frage.

Aber sogar dort wurde mir gesagt, dass es inzwischen nicht mehr an mir hängt. Das einzige was ich jetzt tun kann, ist warten und versuchen, nicht noch mehr Geld zu verlieren, denn dass ich jetzt nicht irgendwo da oben sitze und auf das kleiner werdende Berlin sehe, hat mich ein hübsches Sümmchen gekostet. Und die Bordkarten liegen ausgedruckt neben mir und ich weiß nicht, ob ich lachen oder doch heulen soll.

Meine Gefühle sind schwer zu beschreiben. Ich will so, so sehr nach Petersburg zurück, dass es mich verrückt macht. Ich bin doch noch nicht fertig mit dieser Stadt, ich muss doch noch so viel sehen, will doch noch so viel erkunden, beobachten, herausfinden. Ich war noch nicht mal in der Eremitage, verdammte Hacke!

Verzweiflung hat sich seit gestern in mir breit gemacht. An meiner Story, bei der es so gut lief, hab ich wegen diesem ganzen Drama seit Wochen kein Wort mehr geschrieben und ich habe Angst, dass sie mir entgleitet, das ich nicht mehr zurückfinde zu den Worten. So langsam ist der Punk erreicht, da ich den Sinn dessen anzweifle, was ich in Petersburg geschrieben habe. Warum überhaupt? – das ist die Frage die ich nicht verdrängen kann und die sich allmählich in andere Bereiche schleicht, in meine Zukunfts-, meine Gegenwartsgedanken. Und ich ab mich doch nicht aus meiner Sinnkrise herausgearbeitet um durch so einen Mist wie ein Visum wieder in die nächste zu geraten.

Und dann bin ich so wütend. Warum wird es denn jungen Leuten, die freiwillig in die Föderation reisen und dort unentgeltlich im Unterricht helfen, so schwer gemacht? Steckt dahinter System oder pure Willkür? Ich weiß es nicht und im Moment will ich es auch gar nicht wissen. Im Moment sehne ich mich einfach nur wahnsinnig nach zu Hause und nach der Geborgenheit meiner Familie, ich, die ich in meinem Leben noch nie Heimweh hatte. Und ich sehen mich nach Petersburg, nach meinem Zimmer dort, nach Kira, nach dem Michailowski-Park, nach dem Anblick unserer Straße und der Fontanka, nach den unbedarften Gesichtern meiner Schüler. Ich will zurück, verdammt noch mal. Ich muss zurück.

Und ich fürchte mich vor der letzten Stufe dieses ganzen Gefühlschaos: Resignation. Ich bin niemand, der schnell aufgibt, im Gegenteil neige ich dazu mich bei Widerständen und Schwierigkeiten so lange in einer Sache zu verbeißen bis ich bekomme, was ich will, mag es noch so lange dauern. Aber im Moment fühle ich mich einfach nur hilflos. Die ganze Sache liegt nicht in meiner Hand und geduldig warten, bis sich ergibt was sich eben ergibt war noch nie meine Stärke. Die Folge ist, dass ich mir zunehmend Gedanken mache, was ist, wenn ich jetzt einfach wirklich nach Hause gehe.

Denn ich bin müde, unfassbar müde. Vor zwei Wochen bin ich hierher gereist und seitdem kreisen meine Gedanken um nichts anderes mehr als Visum, Visumsanträge, Einladungen, Fristen, Blitzvisum. Das wäre vielleicht alles nicht so schlimm, wenn ich die ganze Cause nicht schon vor über drei Monaten hätte mitmachen müssen. Und jetzt ist der Punkt erreicht wo ich ein Ende absehen will, weil ich langsam nicht mehr kann. Allein, dass ich das schreibe, steckt mir so dermaßen bitter im Hals. 

Freitag habe ich die Frist gesetzt. Wenn ich Freitag kein Visum in der Hand habe, dann werde ich nach Hause fahren und mir dort überlegen, was ich als nächstes tue. Klingt dramatisch, ich weiß, aber ich hab nicht unendlich Zeit, nicht unendlich Ressourcen und unendlich Nerven hab ich erst recht nicht. Tatsache ist, mir reicht’s langsam und der Frust musste jetzt mal raus. Was schlimmerweise noch dazu kommt ist, dass ich nicht die einzige bin, der es so ging. Und das ganze Hickmeck hätte ich nicht mal meinem schlimmsten Feind gewünscht.

Sankt Petersburg muss nicht vorbei sein, es gibt immer noch die Möglichkeit des einmonatigen Touristenvisums und damit eröffnen sich neue Möglichkeiten. Aber das ist eine Exit-Strategie, über die ich ernsthafter nachdenke, wenn ich hier endlich mal Bescheid weiß. Bis dahin heißt es warten. Gott, wie ich warten hasse.

 

Da ich jetzt durch diese Verkettung unglücklicher Tatsachen erst einmal in Berlin festsitze werde ich hoffentlich hier auf dem Blog hoffentlich ein bisschen etwas auf die Beine zu stellen, wenn ich es schon nicht schaffe an anderen Texten weiterzuarbeiten. Was also demnächst folgen könnte:

  • Der Bericht über unser Zwischenseminar, das wirklich toll war und für das ich trotz anfänglichen Gemeckeres sehr dankbar bin.
  • Eine Empfehlung für die besten georgischen Restaurants in Sankt Petersburg
  • Ein Text über die Erfahrungen, die ich bisher mit der russischen Sprache gemacht habe.

Film der Woche: Fantastische Tierwesen – Grindelwalds Verbrechen. Obwohl dieser Film mir nicht so gut gefallen hat wie der erste, lässt er mich doch seit Freitag nicht mehr los. Wenn ich mal nicht mit Visumskram beschäftigt bin, kehren meine Gedanken zu Newt, Tina, Queenie,Jacob, Grindelwald, Leeta, Dumbledore und all den anderen zurück. Vieles hat mich verwirrt und einiges hat mir nicht gefallen, aber ich vertraue JK, das sie weiß, was sie tut. Und der Soundtrack ist einfach grandios. Womit wir bei der nächsten Rubrik wären,

Lied der Woche: Ein Soundtrack diesmal. Leta’s Confession ist meiner Meinung nach das beste Musikstück des gesamten Films und es jagt mir mit seiner Schönheit und seiner Tragik auch nach dem hundertsten Mal noch eine Gänsehaut über den Körper.