Das Vorbereitungsseminar 2018 – Ein Nachgeschmack in Worten

Hand aufs Herz, das hat ein bisschen länger gedauert als ursprünglich geplant, aber niemand hat jemals behauptet, dass ich beim Fazit ziehen die Allerschnellste bin. Und nach zehn Tagen Dauer-Input und zu vielen neuen und interessanten Begegnungen und Gesprächen, um sie alle im Kopf zu behalten, hat es eine kleine Weile gedauert, bevor ich mich gedanklich nochmal damit befassen wollte und konnte. Aber es ist Sonntag, die Sonne scheint in St.Petersburg und ich sitze auf dem Fensterbrett und beame mich gedanklich in die brandenburgische Mark zurück, während unter meinem Fenster der Sonntagstrubel seinen Gang geht. Der perfekte Zeitpunkt also für ein paar Geständnisse.

Beichte Nummer 1: Der Veranstaltungsort

Als ich erfahren habe, dass die kulturweit-Teilnehmer tatsächlich nach Brandenburg, genauer gesagt an den Werbellinsee verfrachtet werden sollen, habe ich mich erstmal gefragt, ob mich da jemand eigentlich verlackmeiern will. Brandenburg, ein Fleckchen Erde mit dem ich bis zum 1. September nichts weiter verbunden habe als Dörfersterben, Spreewaldgurken und Sandboden. Dass ich besagten Werbellinsee samt unserer Unterkunft gegoogelt habe, hat nicht gerade zu meiner Beruhigung beigetragen, denn die EJB Werbellinsee ist ein ehemaliges Pionierlager und der Gedanke, zehn Tage in schönsten DDR-Bauten zu verbringen, in denen wahrscheinlich noch irgendwo ein paar Kilo Asbest in den Wänden stecken, weit ab von den letzten Außenposten der Zivilisation, war gelinde gesagt…unverlockend. Aber es ist Pflicht, daran teilzunehmen, also habe ich meinen 32kg Koffer und den mit russischer Literatur, Schreibunterlagen und Schokolade vollgestopften Rucksack am 31. August in den Kofferraum verfrachtet und mir dabei fast das Kreuz gebrochen und bin in einer achtstündigen Nachtfahrt nach Berlin getingelt, von wo aus uns sieben Busse in die brandenburgische Wildnis gebracht haben.

Bemerkung: Zu dem ganzen Koffer-Drama, das ich mir selbst verschuldet noch antun musste, wird wahrscheinlich noch ein separater Eintrag folgen. Die ganze Geschichte ist einfach zu dämlich, um nicht erzählt zu werden und wird aus dem ein oder anderen von euch hoffentlich einen Minimalisten machen.

Jetzt zu meiner eigentlichen Beichte: Nein, der Werbellinsee liegt nicht am Ende der Welt, das Dorf Werbellin liegt direkt daneben und es gibt eine Haltestelle, die in etwas über einer halben Stunde nach Eberswalde fährt. Und als jemand, der sein ganzes Leben nur drei Buslinien täglich aus seinem Heimatkaff hatte, muss ich sagen dass sie da oben eine sehr gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur haben.

Was den Werbellinsee angeht: Ich habe mich schockverliebt. Dieser Ort hat alles, was ich mir jemals gewünscht habe, einen Wald, hinter dem direkt ein See liegt, Stege, von denen aus man ins Wasser springen kann und das Wasser ist so klar. Wären die Seminare nicht gewesen, ich hätte den ganzen Tag da unten zugebracht, gelesen, geschwommen und eine gute Zeit mit den Leuten verbracht.

Man hat es den kulturweitlern auch nicht zugemutet, sich in Massenschlafsäle zu begeben, sondern es gab Zwei- oder Dreibettzimmer, die geräumig waren und das ganze Gelände ist so weitläufig, dass man sich gut verteilen konnte. Was bei über dreihundert Teilnehmern auch wirklich das Beste war.

Ein See vor der Haustür – mein absoluter Kindheitstraum

Beichte Nummer 2: Das Seminar

Weil in diesen zehn Tagen wirklich so viel geboten wurde, dass ich beim besten Willen nicht auf alles eingehen will – und außerdem hab ich die Hälfte schon wieder vergessen – teilen wir das mal auf. Nochmal erwähnen will ich hier, dass das alles meine Eindrücke waren. Es gibt noch über dreihundert andere und ich erhebe keinen Anspruch darauf, für alle zu sprechen. Das wäre mir auch viel zu anstrengend.

Die Homezone: Das absolut Beste an dem ganzen Seminar. Meine Homezone war die 21 und ich hatte eine super Zeit mit den Leuten. Dadurch, dass wir alle in dasselbe Land versetzt wurden, konnte man sich gleich darüber austauschen, welche Fragen und Sorgen es gibt und allein schon das Wissen, dass man mit seiner Verwirrung (ja, ich sehe dich an, Visum!) nicht allein ist, dass man aber auch seine Vorfreude teilen kann, hat mir sehr geholfen. In den Homezones werden Themen wie Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, Kolonialismus und der Umgang damit thematisiert, wie tief Denkmuster und Vorurteile in den Köpfen verankert sind und wie man damit umgeht. Über vieles habe ich mir auch im Bezug auf diesen Blog in den letzten zwei Wochen Gedanken gemacht. Wie will ich eigentlich aus Russland berichten und wie erzähle ich von ein bisschen mehr als meinen kleinen kruden Abenteuern? So ganz habe ich es noch nicht heraus, aber hier werdet ihr auf jeden Fall auf dem Laufenden gehalten.

Einziger Nachteil: Wir hatten einfach viel zu wenig Zeit. In den Homezones soll diskutiert und einander zugehört werden und ich bin der Meinung, dass es dafür noch mehr Raum braucht. Mir ist schon klar, dass man die Teilnehmer auch auf anderen Veranstaltungen durchmischen will, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich möglichst vielfältig auszutauschen, aber bei so schwierigen und komplexen Themen sollte es meiner Auffassung nach mehr Möglichkeit geben, um auch wirklich in die Tiefe gehen zu können. Wenn ich für jeden Gedankengang, der mir während der Diskussionsrunden in den Sinn gekommen ist einen Euro kriegen würde, könnte ich jetzt einige Male in die Eremitage gehen. Und die ist ganz schön teuer.

Eine Möglichkeit, die Diskussionen gewinnbringender für jeden zu gestalten wäre vielleicht, die Homezones noch einmal zu verkleinern. Zwölf Teilnehmer, wie in unserem Fall, sind zwar schon eine sehr kuschelige Gruppe, aber lass mal zwölf Menschen in einem Kreis sitzen und sieh, wie die Gesetze der Gruppendynamik ihre Wirkung tut. Gesprächsrunden sind immer dann am besten, wenn sich möglichst viele Leute einbringen und mit so vielen Teilnehmern ist das kaum möglich. Mit acht Leuten oder vielleicht sogar sechs? Ich denke, das wäre im Sinne der Beteiligung und des Austausches weitaus sinnvoller. Das muss ja nicht heißen, dass eine Diskussion mit einer erweiterten Teilnehmerzahl nicht auch angeboten werden kann.

Der Partnertag: Kommen wir zu dem Teil des Seminars, an dem ich einiges auszusetzen habe und soweit ich mich umgehört habe, war ich nicht alleine. Das Konzept des Partnertages macht durchaus Sinn. Die Teilnehmer sollen Vertreter der Organisation kennen lernen, mit der sie entsandt werden. Wir sind ja nicht völlig zum Spaß ins Ausland, da stecken unter anderem Regierungsgelder drin und das uns bewusst ist, welche Institution hinter unserer Entsendung steht, ist eine Intention, die ich nachvollziehen kann. Allerdings war der Partnertag ein Gequäle von einer Pflichtveranstaltung zur anderen und ich hab mir in jeder Pause einen Kaffee hinter die Binsen kippen müssen, um in der nächsten Veranstaltung nicht einzuschlafen. Es war einfach zu viel Information auf einmal und es fällt mir schwer, mich an irgendetwas zu erinnern, was dort gesagt wurde. Ich weiß nicht, ob es mehr Sinn machen würde, die einzelnen Vorträge auf mehr Tage zu verteilen, aber so funktioniert das Konzept auf jeden Fall nicht wirklich, was schade für alle Beteiligten ist.

Die Exkursion nach Berlin: Es gab einige Diskussionen über diesen Teil des Seminars. Ich fand es toll, dass wir die Möglichkeit hatten nach Berlin zu fahren weil ich Berlin liebe und die Exkursionen, die dort angeboten wurden, allesamt teilnehmenswert klangen. Ich hatte eher Schwierigkeiten, mich zu entscheiden was ich mir jetzt anhören will und hab mich für den „Kolonialhistorischen Spaziergang durch Mitte“ entschieden, was ich auch nicht bereut habe. Wir hatten ein bisschen Freizeit, bevor es in die Baremboim-Said-Akademie ging, wo uns unter anderem Michelle Müntefering vorgestellt wurde, eine der Verantwortlichen hinter kulturweit. Es wurden Reden gehalten und ein Gruppenfoto gemacht, ehe wir wieder an den Werbellinsee gefahren sind. Damals habe ich keinen Gedanken an diese Veranstaltung verschwendet und an die Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit kulturweit gefallen sind, aber inzwischen denke ich darüber ein bisschen anders und ich habe zumindest vor, darüber noch ein bisschen ausführlicher zu schreiben.

Markt der Möglichkeiten und Workshops: Das Angebot war unglaublich vielfältig und interessant und nach den Homezones war das der Teil des Seminars, der mir am besten gefallen hat. Beim Markt der Möglichkeiten hatten sowohl Trainer als auch Teilnehmer selbst die Möglichkeit, sich einzubringen und ein bisschen Abendprogramm abzuliefern und es wurde, soweit ich das mitbekommen habe, sehr dankend und positiv angenommen. Man hatte die Möglichkeit, nochmal ganz andere Leute kennen zu lernen oder sich über Themen zu informieren, mit denen man zuvor nichts anfangen konnte. Ich habe zum Beispiel an einem Abend einen Film über Audre Lorde gesehen und jetzt ist mein Kindle voll mit ihren Büchern. Die Workshops wurden ausschließlich von Trainern angeboten und waren eine Möglichkeit, einige Fragen, die man nach den Diskussionen in den Homezones hatte, nochmal zu stellen und im Austausch darüber manchmal ganz andere Sichtweisen zu erleben. Oder sich in einen Workshop zu setzen, mit dem man auf den ersten Blick absolut nichts anfangen konnte, was auch viele getan haben. Alles in allem ein schönes Angebot, das Spaß gemacht hat und den Kopf mit mehr Fragen gefüllt hat als beantwortet wurden – was in diesem Fall eine gute Sache ist.

Die größte Entdeckung für mich auf diesem Seminar

Habe ich mich zuvor gefragt, ob es überhaupt notwendig ist, ein Vorbereitungsseminar abzuhalten? Ja und ich war der Meinung, es ist unnötige Zeitverschwendung. Das hat sich gründlich geändert und ich bin inzwischen ganz froh, dass es auch ein Zwischen- und Nachbereitungsseminar geben wird. Es ist nicht nur eine Möglichkeit, die Leute aus der Homezone wieder zu treffen, sondern auch das eigene Verhalten im Bezug auf all das zu reflektieren, was uns in diesen zehn Tagen beschäftigt hat. Insofern freue ich mich darauf. Und noch mehr freue ich mich, all das endlich mal von der Seele getippt zu haben und endlich von Russland berichten zu können!

Der Werbellinsee – unerwartet schön.

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