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Die Geschichte einer Nacht

Ich habe lange überlegt, ob ich über das folgende Erlebniss überhaupt in einem Blog  schreiben soll, oder ob es  Themen gibt, die zu sensibel für das Internet sind. Doch es sollte keine Tabuthemen geben, gerade wenn sie einen noch so lange beschäftigen. Manchmal beginnen Abenteuer klein, die uns am meisten herausfordern.

Es hat alles angefangen mit einem Päckchen aus Deutschland. Meine Mutter hat mir Ohrentropfen hinterhergeschickt, die es irgendwie nicht in meinen Ghana-Rucksack geschafft haben. Und da das Porto nach Ghana nicht maßgeblich vom Gewicht abhängt, wurde es noch es aufgefüllt mit Materialien für einen Kunstwettbewerb der Partnerschulen im Biosphärenreservat. Gemästet mit Buntstiften und Wachsmalkreiden und mit einem stattlichen Gewicht von 9,7 kg hat es sich dann auf den Weg zu mir nach Ghana gemacht.
Aber die Welt ist groß und die Wege von DHL sind unergründlich. Nach vier Wochen mache ich mich eigenständig auf die Suche und schaffe es mit Hilfe des Online-Trackings und vielen Telefonaten das Paket zu lokalisieren. Es hat es nach Ghana geschafft, liegt aber höchstwahrscheinlich noch im Postoffice in Tema (kurz vor Accra) wegen ausstehender Rechnungen. Aha. Dann mache ich wohl einen Kurztrip nach Tema, um mein Päckchen freizukaufen.

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit im Trotro das Postoffice erreiche, ist es voll, ich muss mal und habe kein Geld. Also werden Prioritäten gesetzt. Toilette, Supermarkt und Geldautomat. Eine Stunde, vier Geldautomaten und neun Versuche, Geld abzuheben, später, gebe ich auf. Irgendwie funktioniert das mit dem Abheben mal wieder nicht. Ich gehe also wieder zur Post und hole mein großes, zermatschtes Päckchen ab. Ja es ist wirklich da! Damit habe ich schon gar nicht mehr gerechnet. Der Grund, warum das Päckchen nicht ausgeliefert werden konnte, ist eine Nachzahlung von umgerechnet etwa 1,50 €. Netterweise öffnet der Postmitarbeiter das Päckchen dann auch gleich für mich (so eine Art nachträglicher Zoll). Das macht den Transport des ohnehin schon malträtierten Päckchens aber leider nicht einfacher.

Jetzt brauche ich also nur noch Geld, um nach Hause zu kommen. Zum Glück klappt es nach dem zehnten Versuch endlich (darauf, dass ich den falschen PIN eingegeben habe, bin ich gar nicht gekommen). Auch die Bankmitarbeiter kennen mich jetzt ganz gut. Sie haben schon vorhin gemerkt, wie unglaublich planlos ich unterwegs bin. Ungefragt rufen sie mir ein Trotro in die richtige Richtung, halten die Tür auf und tragen mein Packet, bis ich sitze. Das ist echt toll hier in Ghana. Siehst man auch nur so aus, als könnte man Hilfe gebrauchen, kommt sofort jemand und kümmert sich.

Das Trotro, in dem ich sitze, soll eigentlich zur Mainstation fahren, wo ich von dort aus in das Trotro nach Ada umsteigen kann. Es geht immer weiter in kleineren Straßen und Gassen, Gängen mit Häusern aus Lehm, die eng zusammen stehen. Immer mehr Leute steigen aus und dann hält der Kleinbus in einer Sackgasse. Okay, wie die Mainstation sieht das hier nicht gerade aus. Diesmal kommt meine Rettung in Gestalt eines gleichaltrigen Jungen. Er ist der Mate im Trotro (Fahrkartenverkäufer) und setzt sich kurzerhand mein Päckchen auf den Kopf. Immer wieder schaut er sich nach mir um, obwohl er ganz offensichtlich selbst den Weg zur Station nicht kennt. Etwa zwanzig Minuten quatschen wir über Ghana und Deutschland, Uni und Reisen, Natur und den Klimawandel. Währenddessen fragen wir uns durch. „Wo ist hier die Mainstation?“ „Geradeaus, rechts am Haus vorbei, zwischen der Mauer und dem Gebäude durch, einmal bitte umdrehen….“

Gerade als wir in eine weitere Nebenstraße eingebogen sind, entdecken wir eine Frau Mitte zwanzig. Mein neuer Freund spricht sie sofort an und erkundigt sich erneut nach dem Weg, doch die Frau dreht sich weg. Das ist ihm definitiv zu unfreundlich und er berührt sie am Arm. „Wo ist die Mainstation?“ wiederholt er. Widererwartend schreckt sie mit weit aufgerissenen Augen zurück und presst sich gegen die Wand. „Ich bin doch auch nicht von hier.“ Als der Junge sie fragt, ob wir ihr helfen können, bricht sie in Tränen aus.

Und obwohl sie sich sichtlich schämt, erzählt sie uns ihre Geschichte: Sie komme ursprünglich aus einem Nachbarland und wohne hier bei einer Tante. So oft es gehe, arbeite sie in einem Restaurant, um die Verwandten bezahlen zu können. Eigenes Geld habe sie nicht. Vor 3 Tagen habe ihr Boss sie abends angerufen und kurzfristig für eine Nachtschicht eingeteilt. Als sie im dunkeln ankam sei sie von ihm in das geschlossene Lokal gezerrt und brutal vergewaltigt worden. Auch einige der Mitarbeiter seien beteiligt gewesen.
Dann sei sie ins Krankenhaus gefahren, ohne Krankenversicherung oder Geld für die Behandlung. Der Arzt habe in dieser speziellen Situation weitestgehend auf die Behandlungskosten verzichtet. Trotzdem gebe es noch offene Rechnungen von 100 Cedi für das ärztliche Gutachten, welches dem Richter für eine Anklage gegen sexuelle Gewalt vorgelegt werden müsse. Sonst habe sie nichts gegen den Arbeitgeber in der Hand, der ein einflussreicher Mann mit fünf Frauen sei. In nur einer Nacht hätten sie ihr alles genommen. Sie schäme sich so und könne deshalb nicht zur Tante zurück. Sie wisse nicht was sie nun tun solle.

Immer wieder schüttelt sich die junge Frau und ich merke, dass es sie richtig Anstrengung kostet, nicht wegzulaufen. Und doch kommen immer mehr Details ans Licht: Anhaltende Blutungen, ein Schwangerschaftstest und sie zeigt uns ihre Patientenmappe mit all den Untersuchungsergebnissen. Sie habe seit drei Tagen weder geschlafen, noch gegessen und so sieht sie auch aus.

Mein Begleiter zieht einige Scheine aus dem kleinen Bündel der Trotro Tageseinnahmen, die er wahrscheinlich aus seinem eigenen Einkommen für heute abzweigt. Sie soll sich etwas zu essen kaufen und bloß nicht zum Restaurant zurückgehen. Mehr kann er nicht tun, aber ich. Und die fehlenden 100 Cedi wandern in die Hand der Frau. Ich weiß nicht, ob das richtig ist, und fühle mich so schlecht, weil ich ihr nur Geld gebe und keine echte Hilfe. Aber gleichzeitig frage ich mich, ob die Geschichte wahr ist. Und was ist das für eine Welt in, der man sich sowas fragen muss?

Bisher habe ich in Ghana niemandem ohne weiteres Geld geschenkt, wenn jemand gebettelt hat. Selbst Kindern habe ich je nach Situation nur mal Orangen oder Süßigkeiten gegeben. Viele von ihnen sind sicherlich in einer schwierigen finanziellen Situation, besonders im Vergleich zu mir. Aber ich möchte nicht, dass durch mein Handeln eine Abhängigkeit und Ungleichheit entsteht und sich schon Kinder auf das Mitleid anderer verlassen. So fies das klingt, aber es ist nicht das Bild dass ich in Ghana vermitteln möchte. Und trotzdem bin ich in jeder dieser Situation aufs Neue überfordert.

Heute ist es etwas anderes. Die Frau hat nicht nach Geld fragt, nicht einmal um Hilfe gebeten. Und ich stehe hier vor ihr, ein Päckchen aus Europa in den Arm und ein Rucksack mit gefüllter Brieftasche auf dem Rücken. Mir war selten so klar, wie viel Macht ich in meiner Position auf das Leben anderer Menschen habe; was für Auswirkungen mein Handeln haben kann, obwohl ich es gar nicht will. Und das alles mit gerade mal umgerechnet 20 €, die hier so viel mehr Wert haben. Wir sind zu zweit, stehen vor ihr auf der Straße und fühlen uns ganz machtlos gegenüber so viel Leid und Ungerechtigkeit. Die Frau liegt mir in den Armen und weint, „ Gott bless you.“ Aber ich fühle mich keineswegs, wie der barmherzige Samariter. Ich bin einfach nur zufällig, ohne mein Zutun in ein sehr behütetes sicheres zu Hause hineingeboren worden.

Der Junge rät ihr noch, das Geld gut zu verstecken, dann müssen wir sie alleine lassen. Nach etwas hin und her finden wir dann noch das richtige Trotro. Es ist voll und fährt vor unserer Nase ab, doch der Junge wartet mit mir auf das nächste. Ich sage ihm, dass das nicht nötig ist und er schon so viel für mich getan hat, aber er besteht darauf. Nach einem kurzen Schweigen in dem Trubel der Station frage ich ihn, was er von der Geschichte eben hält und er zuckt die Achseln. Wir sehen uns an und ich merke, dass wir beide die Wahrheit schon zu wissen glauben. So schrecklich und detailliert, verzwickt und hoffnungslos ist nur das wahre Leben.

Meiner Meinung nach gibt es in Ghana eigentlich ziemlich gute Gesetze, wenn es um Frauenrechte geht. Seit 1992 sind sie den Männern gesetzlich gleichgestellt und Frauen sind im Arbeitsleben ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. 80% der erwachsenen Frauen arbeiten, und haben eine traditionell autonome Position. In meinem Reiseführer steht, Ghana sei das Land der starken Frauen. Aber langsam glaube ich, das müssen sie auch sein, um ihre vollständige Gleichbehandlung erlangen zu können.

Ich habe für mich festgestellt, dass in der Realität die Geschlechterrollen und die Geschlechterungleichheit noch tief in der Gesellschaft verwurzelt sind. Ungleiche Ausbidungschancen, niedrigere Löhne und die Vielehe sind nur einige Schwierigkeiten auf dem Wege der Gleichstellung. Immer wieder begegne ich Menschen, die eine sehr antiquierte Vorstellung davon haben, wie man mit Frauen umgehen sollte und besonders unverheiratete Mädchen haben es nicht immer leicht. Diesen Sexismus habe auch ich schon in einigen Situationen zu spüren bekommen. Wenn es um die Vorstellung in einer neuen Runde oder das Weiterleiten von Informationen geht, wird immer Lukas angesprochen. Anfangs wurde mir bei einem Gespräch kaum in die Augen geschaut, ich durfte weder die Schubkarre noch den Sparten alleine benutzen und auch jetzt noch werde ich öfters mal am Arm gepackt oder hinterher gezerrt.Trotzdem ging es mir hier nie schlecht und auch das Verhalten der Mitmenschen und Mitarbeiter mir gegenüber hat sich mit der Zeit gewandelt. Ich weiß leider oft ich nicht in wie weit das eine Sonderstellung durch die Hautfarbe ist. Ist das weiße Mädchen anders als das dunkelhäutige?

Ich stoße hier immer wieder auf Widersprüche. Wir gehen mit der Wildlife Division einmal die Woche zur Education an Grundschulen und haben im letzten Vortrag neben Umweltthemen auch über Rechte aufgeklärt. Ein Thema war unter anderem auch die Gleichberechtigung der Frauen. Aber beim Aufräumen wurde ich dann wieder von einem der Mitarbeiter zur Seite geschubst, weil ich als Frau nicht in der Lage sei, den Generator zu tragen. Weitere angesprochen Themen, wie die sexuelle Verstümmelung bei Mädchen und Kindesmissbrauch zeigen, mit welchen Problemen einige der Grundschülerinnen schon früh konfrontiert werden. Auch Homosexualität ist in Ghana nicht geduldet und führt von Verachtung in der Gesellschaft bis hin zur Freiheitsstrafe.

Letztendlich ist Ghana aber ein sehr sicheres Land, in dem gerade Meinungen, Länder, Kulturen und Religionen verschiedenster Art toleriert werden. Trotzdem ist das Leben, wie überall auf der Welt, nicht für alle gerecht . Manchmal ist da dann doch eine junge Frau ganz allein in einer Gasse und weiß nicht wohin sie als nächstes gehen soll.

Und dann kommt auch schon das Trotro. Der Junge von dem ich nicht einmal den Namen kenne, sucht mir ein Sitzplatz ganz hinten, damit ich nicht so oft aussteigen muss. Er wartet bis ich sitze und lädt mir das Paket auf dem Schoß. Sichere Reise! Er winkt und als ihn der Fahrer fragt, ob ich „boy or girl“ bin (ohne mich persönlich anzusprechen natürlich), sagt er: „She is the woman.“ So bin ich hier in Ghana tatsächlich nur selten wahrgenommen worden. Meist bin ich ein Mädchen, oder ohne Ohrringe und mit Hosen auch gerne mal ein Junge. Jetzt schaut der Junge sich noch einmal um, lächelt und verschwindet im Gedränge der Mainstation. Dann ist er weg und ich konnte mich nicht einmal ordentlich bedanken. So wie er war, hätte er es auch nicht gewollt und trotzdem war er so hilfsbereit, empathisch, freundlich, unaufdringlich und ein guter Zuhörer, dass ich es ihm einfach gerne gesagt hätte. Ich werde wohl noch eine Weile an diese kurze, innige Bekanntschaft denken.

Im Trotro gibt es leider keine Zeit, um in Ruhe nachzudenken. Auf der Rückfahrt feiern wir Gottesdienst, weil ein Pastor an Bord ist. Wir singen, beten und klatschen zwei Stunden lang. Auf der waghalsigen Motorrad-Taxifahrt nach Hause habe ich dann noch vier Beinahe-Unfälle und ich klammere mich fest an mein Päckchen.

Als ich endlich ankomme, ist es schon dunkel. Stockdunkel. Stromausfalldunkel.
Aber ich habe ein sicheres Dach über dem Kopf, zwei nette Mitbewohner, die schon in der Küche Abendessen kochen und eine so verdammt abgesicherte Zukunft.

Live is life

Eine Kurze Geschichte über die Herausforderungen des Alltags.

(Geschrieben in einem Trotro nach Togo mit 16 Reisenden und einer Ziege im Fußraum.)


Alle guten Dinge sind mindestens drei! (War ja auch schon mein Motto bei der Führerscheinprüfung) Annika ist letzte Woche aus dem Regenwald des Biosphärenreservates in Bia zu uns an die Küste gezogen und wohnt jetzt in dem letzten freien Zimmer unser lustigen 3er Wg.

Eigentlich hatten Lukas und ich uns geschworen, das verwahrloste hintere Zimmer mit all seinen mehrbeinigen Bewohnern für die nächsten 6 Monate zu meiden, aber jetzt nach einer 4 Stunden langen Putzaktion ist das Zimmer wieder im Normalzustand. Eigentlich warte ich auch immer noch auf Tapferkeitsmedaille für die Reinigung des Choleraklos. Da hat sich unter der Wärme des Toilettendeckels doch glatt ein isoliertes Biotop gebildet.


Die neue Dreisamkeit ist sehr schön, oft lustig und das WG leben mit all den Alltagstätigkeiten, wie waschen, kochen, einkaufen und spülen, auf den ersten Blick das selbe wie in Deutschland. Und trotzdem ist alles anders: Wir waschen mit der Hand in einem Eimer und das Wasser dafür wird auf der Gaskatusche erhitzt. Trinkwasser kochen wir zweimal täglich ab und den Biomüll rausbringen = Ziegen füttern. Da wir nur eine Flamme auf unserem Gaskocher haben, ist das Essen zubereiten meistens eine Abendbeschäftigung von mindestens zwei Stunden. Zudem ist unser Kühlschrank kürzlich ermordet worden (oder zumindest kaputt) ,weshalb wir jetzt jeden Tag neu einkaufen gehen müssen.

Auch das Einkaufen auf dem Markt oder an den vielen Straßenständen dauert seine Zeit, aber wir haben Fortschritte gemacht. Auf den ersten Blick sieht es zwar nicht so aus, aber in den zahlreichen Läden gibt es von Zahnbürsten bis Edelstahltrinkflaschen fast alles. Ein Chaos mit System. Überall wird gekauft, gefeilscht und verkauft. Der Handel ist spürbar und das Einkaufen so viel persönlicher, als im deutschen Supermarkt.

Manchmal ist für mich das reine Existieren schon anstrengend und vor allem zeitaufwendig. Aber auch wenn ich von Zeit zu Zeit wehmütig an die Mikrowelle und den Ofen von zu Hause denke, ist das Kochen hier in Ghana definitiv ein lohnenswertes Abenteuer.

Neben diversen lokalen Früchten wie Ananas, Kokosnuss, Orangen, Papaya oder Bananen, gibt es zudem eine Vielzahl an Lebensmitteln von deren Existenz ich bis vor zwei Monaten nicht mal wusste. Wir kochen viel mit Okra, Garden eggs, Yam Wurzel, Cassava Wurzel oder Cocoyam Knollen und verschiedensten Bohnen. Mein Lieblingsessen sind gegrillte Kochbananen, die ist zum Glück fast überall für 1 Cedi zu kaufen gibt. Aber auch durch die Ghanaischen Gerichten haben wir uns schon etwas durchprobiert. Neben unserem selbst zubereiteten Fufu (Plantains-Casava-Brei mit Quallenkonsistenz)hatten wir auch schon Banku und Kenke (fermentierter Maisbrei) und dazu die Palmnutsoup mit Fisch.

Trotzdem bin ich neuerdings beim probieren etwas zurückhaltender geworden, als mir nach einer Soße aus Tellergroßen Blättern dicke, rote Blasen im Mund angeschwollen sind. Die Blätter der Cocoyam-Pflanze enthalten viel Calciumoxalat und haben Nesseln, die erst beim zweiten Mal kochen genießbar werden. Sonst schmeckt es eher wie eine unangenehme Mischung aus Spinat und Brennesseln und kann nur mit ordentlich Cortison und Halsschmerztabletten runtergespült werden.

Auch der Blick in den Spiegel nach dem Besuch bei „Herbs Haircut“ war zunächst eine Überraschung. Meinen Wunsch auf kürzerer Haare wurde auf jeden Fall erfüllt und ich habe die ghanaische Durchschnittsfrisur von wenigen Millimetern bekommen. Unglaublich praktisch bei dem Wetter, aber ein bisschen froh bin ich doch, dass sie jetzt nach drei Wochen etwas gewachsen sind.

Auf der Arbeit gibt es jetzt auch immer mehr zu tun. Wir haben gemeinsam mit den Bewohnern der Kommune in Wakatsi all unsere Mangroven in der Lagune gepflanzt und ich habe gelernt die Setzlinge auf afrikanische Weise in großen Metallschalen auf dem Kopf zu transportieren.

Jetzt ist November und statt Kastanien sammeln wir Mangrovensamen. Fast die ganze letzte Woche waren wir mit einsammeln, schälen und pflanzen beschäftigt. Die Samen werden Senkrecht in die Erde gesteckt und dann brauchen die Mangroven etwa 3 Jahre bis sie bereit zum Pflanzen sind. Ab nächste Woche sind vielleicht schon die 1. Blätter zu sehen.

Auch hat die Trockenzeit jetzt begonnen und die Temperaturen steigen merklich. Eigentlich wurde mir gesagt, dass es jetzt wo es immer heißer wird auch die Moskitos verschwinden. Leider wissen die das anscheinend nicht. Volunteers vs Moskitos.

Und dann haben Anita, Lucas und Onya auch noch dreimal die Woche 2 Stunden Sprachunterricht mit unserem Dagme Lehrer Michael. Er ist super nett, aber wir haben jede Woche andere Namen. Ich meistens ohne R, denn diesen Buchstaben gibt es in Dangme nicht. Es ist zudem eine tonale Sprache. Das heißt, dass es sehr auch Aussprache und Betonung ankommt und beispielsweise das Wort pa drei verschiedene Bedeutung hat (Fluss, ausleihen und schlürfen), je nachdem in welcher Tonhöhe geredet wird. Dazu kommt noch, dass ich außer Agometaku kaum Wörter mit mehr als 3 Buchstaben kenne.

Aber auch wenn wir für das Sprachen lernen im Allgemeinen und Dangme im Besonderen das Talent fehlt und es manchmal echt verwirrend ist mit 2 Fremdsprachen unterwegs zu sein, macht es viel Spaß immer wieder aufs Neue zu versuchen auf Dangme Obst einzukaufen oder Smalltalk zu führen. Auch der Zugang zu den Mitmenschen ist leichter mit ein bisschen Dangme. Viele freuen sich wenn wir ihnen auf Dangme antworten und fast jeder versucht uns neue Sätze beizubringen.

Aber Dangme ist nur eine von 50- 100 Sprachen mit genauso vielen Dialekten und wird wirklich nur sehr lokal an der Küste östlich von Accra gesprochen. Als wir am Wochenende im 50 km entfernten Angola beim Hogbbetsots-Fest waren, wurde Ewe gesprochen und in Accra ist es eben Twi. Ghana das Land der 1000 Sprachen. Aber so etwas wie zwischenmenschliche Sprachbarrieren gibt es in Ghana kaum. Warum auch? Mir wurde erklärt, dass die Kinder hier meist schon mehrsprachig aufwachsen, eigentlich überall Englisch gesprochen wird und geheiratet wird unabhängig von Volksgruppe, Sprache oder Religion. „Wir sind doch ein Land, eine Familie. Wir gehören alle zusammen.“

Lustig ist es jedoch, wenn man in eins der Nachbarländer fährt. Burkina Faso, Cote d’Ivoire und Togo sind alle französischsprachig. Letztes Wochenende waren wir auf einem 3tägigen Kurztrip nach Lomé, der Grenz- und Hauptstadt Togos, um unser auf 60 Tage begrenztes Visum durch Aus- und Einreise verlängern zu lassen. Neues Land, neue Sprache, neue Währung. Mit Englisch kommt man da kaum weiter und der meist genutzte Satz aus dem letzten Französisch Urlaub: Je voudrais six pain au chocolat si vous plaît.“ Hat da leider auch nicht ausgereicht. Zum Glück hatten wir ja Hände und Füße, um zu kommunizieren und Lukas französisch war nicht ganz so eingestaubt. Trotzdem hat uns das mit der Währung noch mal komplett aus dem Konzept gebracht. Sind 870 CFA für 5 Liter Wasser zu viel? Und 300 für Bananen? Auf der ersten Taxifahrt haben wir erstmal fünfmal zu viel bezahlt, aber wir lernen ja dazu.

Und Togo ist auf jeden Fall eine Reise wert. Nochmal ganz anders als Accra und direkt am Meer. Der „Stadtpark“ ist ein kilometerlanger Sandstrand mit Palmen gesäumten Bänken und am Horizont zähle ich 42 Frachtschiffe. Der Hafen ist ein wichtiger Handelsstützpunkt , auch für die angrenzenden Binnenländer.

Geschlafen haben wir in einer kurzfristig gebuchten Ferienwohnung mitten in der Stadt, die sich als riesiges Appartement mit eigenem Zimmer und Bad für jeden von uns entpuppt hat. Und auch wenn das mehr ist als wir brauchten, haben wir den Luxus von Kühlschrank, WLAN und Klimaanlage für zwei Nächte sehr genossen.

Am Sonntag haben wir zu Fuß in der Mittagshitze die Stadt unsicher gemacht und anschließend haben wir uns nachmittags mit Annikas Internetbekanntschaft getroffen, einem Couchsurfer und Mitglied des Lomé Orchesters, der uns kurzerhand auf ein Konzert an einen Strand etwas außerhalb der Stadt eingeladen hat. Und so tanzten wir abends unter freiem Himmel vollkommen unerwartet mit jede Menge Togoern, Ghanaern und Touristen zu südamerikanischer Samba Musik.

C’est la vie.