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Multikultimüll

Ich liebe es am Meer zu sein. Ich brauche das um in Ruhe nachzudenken, zu schwimmen, zu laufen … So bin ich auch hier in Ghana fast jeden Tag am Strand und immer aufs Neue fasziniert und geschockt wie die Realität aussieht.
Ein Meer aus Müll. Hügelweise stapelt sich Abfall am Strand. Die ersten fünf Meeresschildkröten, die ich gesehen habe: alle tot. Das meiste sind Plastiktüten und Flaschen, in denen hier das Trinkwasser ist. Aber sonst habe ich von Zahnbürsten bis Autoreifen auch schon so ziemlich alles andere an Meeresmüll gefunden. Als größter Lebensraum der Erde und mit komplexen, sensiblen Ökosystemen, ist es der Zustand der Ozeane der die Zukunft unseres Planeten bestimmt. Das war mir noch nie so bewusst wie hier.


Am ersten Wochenende waren wir am Volta Delta und haben ein Paradoxon gefunden. Ein Paradies aus Sand, Palmen, warmem Wasser, Hundewelpen, bunt bemalten Holzbooten, ein Fischerdorf aus Lehm und Palmwedeln mit Buchten und Brücken. Und doch omnipräsent: Der Müll. Plastiktüten umspülen meine Beine und das Mikroplastik im Spülsaum knirscht unter meinen Füßen.


Kunststoffe sind langlebig, günstig, universell einsetzbar und gehört hier, wie fast überall auf der Welt, zum alltäglichen leben. So auch der Müll. Leere Flaschen werden aus Gewohnheit fallen gelassen, Batterien mit dem Restmüll verbrannt und auch der Zustand am Strand ist Normalität. Ich merke schon bei mir selbst, wie schnell ich mich an das Straßenbild gewöhne und auch mit Stoffbeuteln im Rucksack habe ich beim Einkauf plötzlich wieder Plastiktüten in der Hand. Aber in Ghana mangelt es an Recyclingmöglichkeiten. Es gibt kein einheitliches Abfallsystem und der Müll wird hier meistens in der Natur entsorgt oder in Hintergärten verbrannt. Gelangt er erstmal ins Meer, dauert es mehrere hundert Jahre bis Sonne und Wellen den Kunststoff in Mikroplastikpartikel zerbrechen. Ein Geschenk für die Ewigkeit.

Aber der Müll hier am Strand ist weder nur von den Bewohnern aus Ada, noch ausschließlich durch die Wellen aus Accra und Tema hergetragen worden. Meeresmüll ist kein ghanaisches Problem, sondern ein globales. Fischdosen aus Japan, Spielzeug aus den USA und eine deutsche Cremedose liegen nur wenige Meter auseinander. Am Maratana Beach, direkt im Mündungsbereich, stehen Flaggen verschiedenster Länder für die aus aller Welt angereisten Touristen. Für mich sind die Mitglieder unserer Wegwerfgesellschaft am Ort der Folgen versammelt.


Klimawandel, Umweltverschmutzung und Überfischung: Die Einwohner hier sind mit die ersten, die es zu spüren bekommen werden und es jetzt schon tun. Eigentlich zählen die warmen Gewässer der westafrikanischen Küste zu den Fischreichsten der Welt und ist die Heimat der Barrakudas, Heringe, Makrelen, Thunfische, Haie, Schildkröten und vieler weiterer Arten. Doch die winzigen Fische, die von den einheimischen Fischern zum trocknen an den Strand gelegt werden zeugen davon, dass kaum noch ausgewachsene Exemplare vorhanden sind. Spanische, koreanische, chinesische und japanische Trawler haben mit hochmodernen Fangmethoden längst die maritime Artenvielfalt entdeckt und ausgebeutet.
Aber auch Klimaerwärmung und der Meeresspiegelanstieg könnten zu einem Problem an der ghanaischen Küste werden. Schon jetzt beginnt die Trockenzeit viel früher als noch vor einigen Jahren und durch eine stetige Erosion wurden in der Vergangenheit bereits große Teile von Ada Foahs Straßen und Häusern von den starken Atlantikwellen überspült. Auch der Mündungsbereich des Voltas muss künstlich befestigt werden, um ihn vor Abtragung zu schützen. Auf dem Rückweg vom Strand nach Hause müssen wir durchs Wasser waten. Es ist Flut und das Wasser steht jetzt schon bis kurz vor die Hauseingänge.
Ich möchte kein negatives Bild von Ghana vermitteln. Ghana, wie ich es bis jetzt die kennengelernt durfte ist vielfältig, aufregend, feuchtwarm anpassungsfähig, lustig, abwechslungsreich, bunt. Wenn ich jetzt gehen müsste, würde ich die Zeit hier schon vermissen. Und trotzdem ist auch Plastikmüll ein Teil davon und längst integriert in Umwelt und Gesellschaft. Aber vielleicht gerade deshalb braucht dieser Ort besondere Aufmerksamkeit und einen intensiveren Schutz.

 

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