Archiv für den Monat: Dezember 2017

Vergessen (Woche 14)

Ich dachte lange Zeit, ich hätte ein ziemlich gutes Gedächtnis. Gedichte und Theatertexte konnte ich mir schon immer problemlos merken, und auch der Schulstoff war nie ein Problem. Irgendwann stellte ich fest, das es wohl doch nicht so grandios ist; meine Mutter ist regelmäßig erstaunt (und enttäuscht), weil ich mich partout nicht mehr an Reisen oder Ausflüge erinnern kann, bei denen ich nun wirklich nicht mehr so klein war.

Heute muss ich, selbst enttäuscht, feststellen, dass mein Gedächtnis ganz schön bescheiden ist. Um nicht zu sagen: beschissen. Diese Erkenntnis hat sich jetzt schon länger angebahnt. Ich komme zu ihr, weil ich anscheinend keine wirkliche Erinnerung an den Großteil meiner Schulzeit habe. Ich beziehe mich bei dieser Behauptung vor allem auf die Tatsache, dass ich nicht mehr sagen kann, wie wir (als Klasse) uns bei Gruppenarbeiten benommen haben. Was mir in der siebten, oder gar der fünften Klasse schwierig vorkam. Wann ich das erste mal bewusst das Wort „Argument“ gehört und/oder benutzt habe. Und das alles führt zu meiner Tendenz, alle Schüler wie beinahe-Abiturienten zu behandeln.

Mit den Lehrplananforderungen komme ich ja noch klar. Ich weiß, dass deutsch eine Fremdsprache für die Schüler ist und (ungefähr) auf welchem Niveau ich mit ihnen kommunizieren kann. Ich versuche mir zu merken, welche grammatikalischen Konstruktionen bekannt sind und welche nicht. Mein Versagen liegt beim Einschätzen von Sozialkompetenz. Ich gehe davon aus, dass Gruppenarbeiten in einer bestimmten Zeit erledigt werden können, weil die Schüler*innen in der Lage sind, zusammenzuarbeiten. Ich bin mir sicher, dass sie verstehen, wie viel einfacher es für uns alle ist, wenn sie in einem Mindestmaß mit mir kooperieren. Ich setze voraus, dass sie einschätzen können, bei wem die Schuld für eine schlechte Note liegt. Sozialkompetenz ist nicht das richtige Wort dafür. Selbstreflexion? Selbstreflektiertheit? Irgendwie sowas.

Ich muss manchmal an meine Schulfreundinnen denken, wenn ich wieder so im Klassenzimmer stehe und mich frage, warum denn diese Schüler*innen keine, meiner Meinung nach simple Gruppenarbeit zustande bringen. Diese Freundinnen, die gerade zum Teil als Au-pairs in der Welt verteilt sind und mir wahrscheinlich von vornherein hätten sagen können, warum das mit dieser Klasse nicht klappen wird. Es sind doch Kinder!

Es ist nicht das einzige Problem, das ich als „Lehrer“ habe – ich kann mittlerweile mit Sicherheit sagen, dass ich weder für diesen Beruf geboren bin noch Interesse habe, hineinzuwachsen. Ich brauche nur an den Papierkrieg, die Gefühlsarbeit und die Erwartungen mancher Eltern zu denken und freue mich schon darauf, hier fertig zu sein.

Immerhin nehme ich ein viel größere Wertschätzung für alle Lehrer*innen mit, die mich ertragen mussten. Sogar für die Schlechten. Ihr hattet es wahrscheinlich nicht einfach – nicht, dass ich mich an allzu viel erinnern könnte.

Gastfamilie (Woche 12)

Ich lebe ja nun seit mittlerweile drei Monaten bei einer Gastfamilie. Und um es in einem Wort zusammenzufassen: komisch.

Komisch wie ungewohnt. Es hat sich zwar inzwischen gelegt, aber vor allem zu Beginn ist der „Familien“-Teil von Gastfamilie wesentlich schwächer ausgeprägt als der „Gast“-Teil. Es fühlte sich seltsam an, einfach mal ins Wohnzimmer zu kommen und dort zu was-auch-immern, weil ich gerade nicht allein sein wollte. Denn letztendlich waren es eben erstmal Fremde, mit denen ich mich da umgab. Dieses Gefühl wurde schwächer – ich traue mich jetzt sogar, einfach Sachen aus dem Kühlschrank zu nehmen – aber es ist nicht ganz verschwunden. Und ich bezweifle, dass es das noch wird.

Komisch wie lustig. Stichpunkt Sprachbarriere: meine Gastmutter spricht deutsch, aber eher schlecht; mein Gastbruder deutsch (schlecht) und englisch (ziemlich gut), aber allgemein eher wenig; und mein Gastvater kann weder deutsch noch englisch wirklich, bemüht sich jedoch, in einem fröhlichen Mix der beiden mit mir zu kommunizieren. Manchmal auch einfach auf ungarisch, denn dazu kommt, dass meine Gastfamilie zur ungarischen Minderheit gehört, ich aber rumänisch lerne. Das ganze ist mal lustig (zum Beispiel als mein Gastvater sich entschuldigen wollte, dass er auf ungarisch geflucht hatte, nachdem ich aus Versehen das Licht auf dem Dachboden ausgeschaltet hatte), mal ein bisschen frustrierend. Zum Glück öfter lustig.

Komisch wie seltsam. Das hängt wahrscheinlich mit diesem halbgaren Gastdasein zusammen, dass ich hier führe, aber ich fühle mich in dieser Familie manchmal wieder wie ein Kind. Während meine Mutter und ich den Haushalt zu Hause in Deutschland mehr oder weniger gemeinsam schmissen, wird meine Hilfe hier weder erwartet noch gewünscht. Ich wasche nicht, ich koche nicht, ich sauge gerade mal mein eigenes Zimmer und wechsle die Bettwäsche. So wie damals, als Mama mir nach und nach die Verantwortung für mein eigenes Zimmer übertrug. Wie alt war ich da? Auf jeden Fall jung. Wenn man bedenkt, dass der Freiwilligendienst zum Teil auch ein Schritt in die Unabhängigkeit sein sollte, fühlt sich das lächerlich an.

Ich weiß noch nicht, ob ich froh bin, in einer Gastfamilie anstatt alleine hier zu leben; wahrscheinlich werde ich es auch am Ende dieser sechs Monate nicht wissen. An dieser Stelle fällt mir gerade kein guter, abschließender Satz ein, also:

ENDE