Archiv für den Monat: November 2017

Kaputtbenutzt (Woche 9)

Ich habe das Gefühl, an einen Auslandsaufenthaltsblog besteht eine gewisse Erwartungshaltung. Man muss doch irgendwann über die Unterschiede zwischen diesem Ausland und daheim schreiben. Gerne in Listenform, das ist so schön übersichtlich, aber wenn es denn sein muss, liest man auch einen längeren Fließtext.

Ich glaube, spätestens nach dem Vorbereitungsseminar haben alle Kulturweitfreiwilligen ein ambivalentes Verhältnis zu diesen Artikeln. Denn egal wie oft man dazusagt, dass es sich natürlich nur um die eigenen Erfahrungen handelt und die Menschen auch in anderen Ländern Individuen und keine Stereotype sind, beeinflusst man mit diesen Artikeln oder Blogeinträgen doch das Bild der Leser vom jeweiligen Land. Und das tendenziell irgendwie stereotyp-negativ. Manchmal auch positiv. Aber immer verallgemeinernd.

Andererseits sind solche Artikel einfach sehr unterhaltsam. Und manche Dinge sind ja auch irgendwie anders. Man möchte etwas erzählen, der Leser versteht doch, dass man nur die eigenen Erfahrungen berichtet. Zusätzlich wäre es auch nicht sehr sinnvoll, das weite Feld der Auslandsberichte denen zu überlassen, die ohne schlechtes Gewissen Klischees verbreiten. Denn gelesen werden diese Artikel auf jeden Fall.

Hier also meine Gedanken zu einem Unterschied zwischen Deutschland und Rumänien. Ohne Wahrheitsanspruch, basierend auf meinen Erfahrungen. Und so.

Es geht darum, ob und wie Dinge kaputtgehen.   

Meine Gastfamilie hat einen Staubsauger. Es ist ein sehr alter Staubsauger, und er besteht gefühlt zur Hälfte aus Klebeband und gutem Willen. Mit diesem Staubsauger zu saugen ist nervig und ineffektiv; das Klebeband beeinträchtigt die Saugkraft erheblich und die Teppichtaste klemmt. Aber der Staubsauger ist noch nicht kaputt, also wird der Staubsauger noch benutzt.

In Zalau fahren auch viele deutsche Busse. Es kleben noch die „bitte beim Fahrer einsteigen“-Schilder an den Türen. Die Sitzbezüge haben 70er Flair. Glaube ich. Diese Busse fahren noch ganz wunderbar, verstoßen aber wahrscheinlich gegen alle Abgasregelungen Deutschlands.

An der Hauptstraße stehen für mein Auge zerfallende und vollständig zerfallene Gebäude, viele noch in Benutzung.

Diese und andere Beobachtungen führen mich zu dem Gedanken, dass Dinge hier wortwörtlich kaputtbenutzt werden. Alles bleibt so lange in Betrieb, bis es wirklich, wirklich, ganz sicher nicht mehr geht. Das ist bestimmt kein ausschließlich rumänisches Phänomen; vielleicht typisch für arme Regionen? Man kann diese Mentalität jetzt gut oder schlecht finden. Sicher ist sie sparsamer als die häufigen Neuanschaffungen der „sparsamen“ Deutschen. Und letztendlich ist es umweltfreundlicher, einen Bus totzufahren, als alle fünf Jahre einen Neuen anzuschaffen.

Die Häuser sind für mich schon schwieriger zu erklären. Warum nicht reparieren und instandhalten? Ich weiß es nicht. Möglicherweise hat das finanzielle Gründe, wahrscheinlich vertsehe ich auch die „rumänische Mentalität“, sofern existent, auch nicht halb so gut, wie ich glaube.

Und zum Schluss noch einmal: Es handelt sich hier ausschließlich um meine persönlichen Erfahrungen, Beobachtungen und Gedanken dazu.

Mir fehlen die Worte (Woche 7) (Verrechne ich mich?)

Ich lerne ja Rumänisch. Nicht sehr diszipliniert, nicht sehr schnell, aber ich lerne. Diese Tätigkeit ist ehrlich gesagt in hohem Maße frustrierend. Nicht, weil ich keine Fortschritte machen würde, sondern weil es nie genug ist. Ich habe noch knapp vier Monate Zeit, und ich weiß schon jetzt, dass ich bis dahin maximal einfachste Sätze bilden können werde.

Wozu lerne ich das ganze dann überhaupt? Was mache ich damit, wenn ich wieder zu Hause bin? Weiterlernen? Reizt mich ja schon irgendwie. Einfach nur so, weil Wissen cool ist. Weil ich dann Bücher auf Rumänisch lesen kann (damit ich es nicht verlerne), mitten in der Bahn, ganz offensiv. Hallo, ich spreche eine Fremdsprache! Ich gebe gern mit Wissen an.

Angesichts meines kompletten Mangels an Selbstdisziplin scheint dieses Szenario aber eher unwahrscheinlich. Vielleicht lade ich mir in Deutschland wieder eine App runter, stelle nach zwei Tagen fest, dass ich Lernapps hasse, und stelle mein Vorhaben wieder ein. Vielleicht kaufe ich mir ein rumänisches Buch, finde es schlecht, lese es doch nicht. Mal sehen.

Meine ortsbedingte Kommunikationsunfähigkeit hat aber natürlich auch unmittelbarere Effekte auf mein Leben als generelle Sinnfragen. Heute zum Beispiel war ich shoppen – nicht sehr erfolgreich. Ich habe zwei von vier geplanten Dingen erworben. Für viele Freiwillige ist einkaufen jetzt wahrscheinlich schon komplett alltäglich und mein Unwohlsein dabei eher lächerlich. Ich muss aber nunmal nicht einkaufen, ich werde von meiner Gastfamilie rundum versorgt.

Einkaufen an sich ist jetzt auch nicht wirklich in Problem. So im Supermarkt oder in der Drogerie – schlimmstenfalls muss man sich den Preis mit den Fingern zeigen lassen. Unschön wurde es für mich beim Schuhkauf.

Der Schuhladen ist klein, kleiner als ich ihn in einer Stadt dieser Größe erwartet hätte. Und es scheint der Einzige zu sein. Nach etwa zwei Minuten werde ich gefragt, ob man mir helfen könne (glaube ich). Ich antworte mit meinem inzwischen verinnerlichten „Entschuldigung, ich spreche kein Rumänisch. Ich bin eine Freiwillige aus Deutschland“. Ich werde in Ruhe gelassen. Ich suche als nach gefütterten Schuhen ohne Absatz, keine hohen Stiefel, schwarz oder braun. Ich finde ein Paar, das mir gefällt. Ein anderes, das aber doch ein bisschen Absatz hat. Das Paar ist mir ein bisschen zu eng.                                                                                                                         In dieser Situation hätte ich in Deutschland eben einfach gefragt, ob es noch etwas gibt. Ob die Winterschuhe schon da sind. Ob das noch die Herbstmodelle sind. Und so. Mir Fehlen aber die Worte.

Zurück auf der Straße, ohne neue Schuhe, wurde mir mal wieder bewusst, wie isoliert ich hier gewissermaßen bin. Normalerweise kann ich das einfach ausblenden, weil meine Schüler*innen Deutsch und Englisch sprechen, meine Kolleg*innen, meine Gastfamilie. Aber ich kann nicht einfach mit jedem auf der Straße in Gespräch anfangen. Ist jetzt sowieso nicht so meine Art, also kein Problem. Trotzdem fühlt es sich seltsam an – ich schwebe immer noch in meiner deutschen Blase, irgendwie.

Dieses Gefühl erinnert mich an einen Artikel, den ich neulich gelesen habe. Die Zeit spricht mit drei jungen AfD-Wähler*innen. Eine von ihnen sagt, sie fühle sich manchmal fremd, weil sie so viele Ausländer sehe. Ich glaube, dieses Gefühl jetzt nachvollziehen zu können, zumindest ein bisschen. Nur, dass ich mir das eben ausgesucht habe und sie nicht. Ich will jetzt nicht beurteilen, ob diese Frau recht hat, ob Deutschland eine „Überfremdung“ droht. Ich persönlich glaube das nicht, diese Frau (Franziska im Artikel) wohl schon irgendwie.

Was ich sagen will ist (glaube ich): Sprache ist sehr wichtig. Ohne Sprache wird man schnell isoliert. Das ist kein angenehmes Gefühl, und eines, das man ernstnehmen sollte, finde ich. Fremdsprachen lernen lohnt sich.

 

Eigentlich wollte ich hier einen Link zum Artikel einfügen. Geht aber nicht. Was geht: Auf Zeit online nach „Weltoffenheit ist mir sehr wichtig“ suchen.