Zeitgefühle (Woche 6)

Bei geregeltem Tagesablauf vergeht die Zeit gleichförmig, sollte man meinen. Es gibt Stunden, die sich dehnen und solche, die scheinbar verschwinden, aber es gibt ein System, Regelmäßigkeiten.

Meine Zeit hier scheint keinen Regeln unterworfen zu sein. Sie dehnt und streckt sich unvorhersehbar, sowohl bei meiner Wahrnehmung der Gegenwart, als auch bei der von Vergangenheit und Zukunft.

Ich bin schon ewig hier, quasi schon immer. Aber ich hatte noch nicht genug Zeit, wirklich rumänisch zu lernen. Ich habe bald Geburtstag, aber Weihnachten kommt mir näher vor. Das Zwischenseminar im November ist ein diffuser Fleck irgendwo in der Zukunft.

Nur die Schulstunden sind zuverlässig. Die erste halbe Stunde dauert ewig, bis ich befürchte, dass das vorbereitete Material nicht reichen wird; die letzten zwanzig verschwinden und es klingelt, ohne das ich einen Abschluss gefunden hätte.

Es ist wohl schon ein Viertel meiner Zeit hier um, und ich weiß nicht, was ich davon halte. Es fühlt sich häufig an, als würde ich nicht genug aus meiner Zeit machen – aber wenn ich zurücksehe oder erzähle, ist schon viel passiert. Und die Zeit richtet sich eben nicht nach meinen Befindlichkeiten, sondern vergeht, wie es ihr gerade passt. Beziehungsweise, so kommt es mir vor. Was vermutlich bedeutet, dass die Zeit, also mein Zeitempfinden, sich ausschließlich nach meinen Befindlichkeiten richtet.

Letztendlich ist also nicht die Zeit das Problem, sondern ich bin es.