Archiv für den Monat: Oktober 2017

Zeitgefühle (Woche 6)

Bei geregeltem Tagesablauf vergeht die Zeit gleichförmig, sollte man meinen. Es gibt Stunden, die sich dehnen und solche, die scheinbar verschwinden, aber es gibt ein System, Regelmäßigkeiten.

Meine Zeit hier scheint keinen Regeln unterworfen zu sein. Sie dehnt und streckt sich unvorhersehbar, sowohl bei meiner Wahrnehmung der Gegenwart, als auch bei der von Vergangenheit und Zukunft.

Ich bin schon ewig hier, quasi schon immer. Aber ich hatte noch nicht genug Zeit, wirklich rumänisch zu lernen. Ich habe bald Geburtstag, aber Weihnachten kommt mir näher vor. Das Zwischenseminar im November ist ein diffuser Fleck irgendwo in der Zukunft.

Nur die Schulstunden sind zuverlässig. Die erste halbe Stunde dauert ewig, bis ich befürchte, dass das vorbereitete Material nicht reichen wird; die letzten zwanzig verschwinden und es klingelt, ohne das ich einen Abschluss gefunden hätte.

Es ist wohl schon ein Viertel meiner Zeit hier um, und ich weiß nicht, was ich davon halte. Es fühlt sich häufig an, als würde ich nicht genug aus meiner Zeit machen – aber wenn ich zurücksehe oder erzähle, ist schon viel passiert. Und die Zeit richtet sich eben nicht nach meinen Befindlichkeiten, sondern vergeht, wie es ihr gerade passt. Beziehungsweise, so kommt es mir vor. Was vermutlich bedeutet, dass die Zeit, also mein Zeitempfinden, sich ausschließlich nach meinen Befindlichkeiten richtet.

Letztendlich ist also nicht die Zeit das Problem, sondern ich bin es.

 

Entspannt oder ich hasse Social Media (Woche 3)

Erst fehlte mir der Schock. Mein antiklimaktischer Einstieg in den Freiwilligendienst war (und ist) mir suspekt.                                                                                                                                                    Jetzt hat mich auch noch die Banalität des Alltags eingeholt. Was hat sich schon verändert, seit ich nicht mehr als Schüler zur Schule gehe?

Ich stehe wieder morgens früh auf, erwische den Bus (meistens), fahre zur Schule. Stehe jetzt zwar auf der anderen Seite des Klassenzimmers, aber der Unterschied ist nicht so groß. Komme zwischen zwölf und drei nach Hause und esse. Bin dann müde, sodass ich mit meinem Tag irgendwie nicht mehr viel anfangen kann.                                                                                                Das Lernen auf Klassenarbeiten wurde durch das Lernen der Landessprache ersetzt. Statt Übungsaufsätzen schreibe ich Unterrichtskonzepte.

Der Idee eines Auslandsaufenthaltes haftet ein Geschmack von Abenteuer an. Dauernde Spannung, ständig neue Eindrücke. Die Fremde erleben, indem man in die Fremde eintaucht (übrigens nicht so leicht, wenn man die Landessprache nicht spricht). Der Alltag kennt aber keine Ländergrenzen. Und die Fremde kann vertrauter sein, als man sich das vorstellt; oder sie wird es sehr schnell. Für das Abenteuer ist man selbst verantwortlich – und es ist nicht immer leicht, mal eben ein kleines Abenteuer zu generieren.

Kommen wir nun zur obligatorischen Social-Media-Hasstirade.                                                            Es sieht so aus, als wäre jeder Freiwilligendienst spannender als meiner. Das liegt an den bösen sozialen Medien, wo jeder nur teilt, was besonders grandios ist. Und daran, dass es hier Leute gibt, die auf ihren Blogs jeden Tag als Abenteuer beschreiben. Und ich will mich ja nicht vergleichen, aber was bleibt mir anderes übrig, wenn mich der Content quasi überflutet. Und dann gibt es auch noch Leute, die etwas ganz anderes machen, was scheinbar auch total spannend und neu und anders ist.                                                                                                    Zurück zum Thema.

Ich bin mir sicher, diese Stimmung ist eine vorübergehende Erscheinung. Gemeint ist, dass ich mich nicht jeden Tag fühle, als wäre mein Leben langweiliger als deins. Trotzdem bleibt die Erkenntnis, dass so ein soziales Auslandsdings keine Garantie auf ständige Spannung ist. Hatte ich jetzt bewusst auch nicht so erwartet, unterbewusst wohl irgendwie schon. Werde mir jetzt Mühe geben, ein bisschen mehr Robinsonade (danke, Duden) in meinen Alltag zu bringen.

Hallo, ich bin jetzt wichtig (Woche 3)

Meine neu gewonnene Importanz (das ist wirklich ein deutsches Wort) stellte sich eines Tages in Form einer äußerst exklusiven Einladung ein.

Womit habe ich das verdient? Im positivsten Sinne, meine ich. Meine Leistungen hier gehen (bisher) gegen null. Aber die Tatsache, dass ich hier bin, als Deutsche, und mich engagiere(n werde) reicht wohl aus. Ich bin jetzt Teil eines Zirkels von Personen, die zum dritten Oktober zu einem festlichen Empfang in der Oper eingeladen werden.                                                                    Dieser Zirkel ist gar nicht so klein, stellte sich heraus. Wahrscheinlich braucht man gar keinen furchtbar besonderen Status, um eingeladen zu werden. Ein deutscher Pass (und eine Anstellung) genügt. Obwohl man jetzt so einen deutschen Pass durchaus als besonderen, privilegierten Status bezeichnen könnte. Aber das ist jetzt nicht Thema.

Was ist nochmal Thema? Genau, meine kurzzeitige Wichtigkeit, die sich dann doch als relativ bescheiden herausstellte. Aber immerhin habe ich jetzt einem deutschen Konsul die Hand geschüttelt. Und das Buffet war auch recht gut.                                                                                        Die Veranstaltung selbst war natürlich auch sehr wichtig – so wie ich. Es wurden Reden gehalten, die nebst den wunderbaren Beziehungen zwischen Deutschland und Rumänien sogar auch die Wiedervereinigung erwähnten. Die Sache mit den Beziehungen war mir davor auch noch nicht so bewusst. Ist aber natürlich alles ganz toll.                                                                          Dann natürlich noch dem Anlass angemessene Auftritte. Ich wusste nicht, dass München-Pasing ein Zithernorchester hat. Eines, das auf Europatournee geht.

Es bleibt:

  • Wichtig sein ist mal ganz unterhaltsam. Ich bin aber froh, dass es voraussichtlich ein vorübergehender Zustand für mich ist.
  • Wer auf einer Bühne Zither spielt, sieht so aus, als würde er gerade etwas abtippen.
  • Mehrere Redner auf der gleichen Veranstaltung müssen sich dringend mit ihren Themen abstimmen.
  • Sobald jemand den Sponsoren dankt, fühlt sich das Event gleich weniger vornehm an. Auch wenn es in einer Oper stattfindet und alle schick angezogen sind.
  • Hähnchenschlegel nicht auf dem Buffet servieren, wenn es keine Möglichkeit gibt, sie mit Messer und Gabel zu essen.