Endspurt

Bevor ich hier etwas brauchbares zu Papier bringen kann, muss ich erst einmal runterkommen. Das Ende meines Freiwilligendienstes in Pula ist in Sicht und es gibt noch so viel zu tun und zu erleben! Ich bin glücklich, aufgedreht und in den letzten Wochen noch einmal voller Tatendrang. Endspurt nennt sich das wohl. Ich genieße in vollen Zügen, möchte so viel mitnehmen wie möglich und sauge alles in mich auf wie ein Schwamm. Denn viel Zeit bleibt mir hier ja nicht mehr, in weniger als vier Wochen wird meine Zeit in Pula, die zu einem wichtigen Lebensabschnitt geworden ist, vorbei sein. 

Aber jetzt fange ich besser mal von vorne an zu erzählen. Über Weihnachten bin ich nach Hause gefahren. Darauf hatte ich mich schon Wochen vorher gefreut und immer wenn es mir mal nicht gut ging, war das mein Anker. Als ich dann die lange Reise mit Bus und Zug auf mich genommen habe, rückten Heimat, Familie und Freunde immer näher. Als der Zug mitten in der Nacht über die österreichische Grenze fuhr, lag ich halb schlafend in meinem Zugabteil. Plötzlich verlangte der Schaffner nach meiner Fahrkarte. Das war jetzt erstmal nicht überraschend, das Ticket musste ich auch schon in Kroatien und Slowenien zeigen. Aber jetzt war etwas anders – der Schaffner sprach Deutsch mit mir. Mann, ist das ein Gefühl, von einer fremden Person einfach so auf deutsch angesprochen zu werden! Da fühlt man sich direkt ein bisschen zu Hause, obwohl ich natürlich noch nicht mal im richtigen Land, geschweige denn zu Hause war. 

Nachdem ich hier natürlich fast nur von hochdeutsch umgeben bin , war es auch sehr lustig und schön, als ich dann kurz vor Heiligabend, so wie früher, beim guten, alten Metzger an der Theke stand und erstmal richtig schwäbisch gschwätzt wurde. Es war so schön alle Leute wiederzusehen und sich so richtig zu Hause zu fühlen. Ich habe die Woche wirklich sehr genossen!

Wie im Flug war dann aber auch schon der 29. Dezember da und es ging wieder los in Richtung Pula, aber nicht alleine, sondern mit der lieben Jana! Nach zwei tollen Tagen mit Jubeljana in Ljubljana (sorry, der musste einfach sein 🙂 ) haben wir uns auf den Weg nach Pula gemacht. Ins neue Jahr sind wir natürlich hier gestartet, wo auch sonst?!

Mit Jana in Ljubljana auf den „Drei Brücken“ des berühmten slowenischen Architekten Joze Plečnik

In meiner dritten Ferienwoche ging es dann nochmal los. Sarah, Tom und ich, alles kulturweit-Freiwillige, haben die Straßen von Kroatien und Bosnien ein bisschen unsicher gemacht! Nein nein Spaß, wir sind natürlich ganz super und vorsichtig gefahren. Was für ein Luxus so ein Auto doch sein kann, wenn man die letzten Monate eindeutig zu viele Stunden in Fernbussen verbracht hat…

Erster Halt: Plitvicer Seen. Ein Nationalpark in Kroatien, der bekannt dafür ist, dass dort Teile von Winnetou gedreht wurden. Ein Besuch lohnt sich zu jeder Jahreszeit; türkis strahlende Seen im Sommer und Frühling, bunte, sich auf den Seen spiegelnde Wälder im Herbst und vereiste Wasserfälle im Winter.

Mit Sarah und Tom an den Plitvicer Seen

Nach diesem beeindruckenden Erlebnis haben wir uns am nächsten Tag wieder ins Auto gesetzt und unser nächstes Ziel ins Navi eingegeben: Sarajevo. Die Fahrt lief trotz Schnee und Kälte gut und wir sind langsam aber sicher auf den Landstraßen Richtung Osten rumgegurkt. An der Grenze von Kroatien nach Bosnien und Herzegowina hat uns kurz die Angst gepackt und wir haben uns gefragt, ob man in Bosnien eigentlich schon mit 18 Jahren Auto fahren darf? Mmh, das hätte man auch mal vorher recherchieren können. Wir sind dann einfach ganz souverän an den Schalter gefahren und haben dem Beamten freundlich unsere deutschen Personalausweise in die Hand gedrückt. Nach einem kurzen prüfenden Blick hat er uns durchgewunken – puh, weiter gehts! Das wäre schon ein ziemliches Highlight gewesen, wenn wir wieder hätten umdrehen müssen 🙂

Als wir dann dort waren, hat es ununterbrochen geschneit und schuhtechnisch waren wir natürlich richtig gut ausgestattet – nicht :). Wenn jetzt so darüber nachdenke, finde ich das eigentlich ganz gut, weil wir deshalb nämlich eine Menge Spaß hatten: Vor allem als wir die geniale Idee hatten mit der Seilbahn auf den Berg zu fahren, von dem man bei klarem Himmel scheinbar eine tolle Sicht auf die Stadt hat. Da kann ich jetzt nicht aus eigener Erfahrung sprechen, weil uns da nämlich der Schnee und der Smog, den es in Sarajevo leider auch gibt einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Davon haben wir uns nicht die Laune verderben lassen und sind ohne Bedenken ganz nach dem Motto „Nema problema!“, was wir auf dem Zwischenseminar in Serbien verinnerlicht haben, losgestapft. Von diesem Berg führt die alte Boppbahn von den Olympischen Winterspielen 1984 runter, welche heutzutage mit Graffiti vollgesprayt ist runter. Irgendwann hört die Strecke aber auf und dann ging der Spaß erst richtig los. Wege waren aufgrund der Schneemassen nicht mehr erkennbar und so sind wir mehr runtergerutscht als gelaufen. Ungefähr alle 20 Meter hat es einen von uns dreien auf den Po gesetzt, ob wohl Tom, der das ungeeignetste Schuhwerk hatte, da eindeutig den ersten Platz belegt. Dieser etwas ungewöhnliche Winterspaziergang wird mir immer in sehr lustiger Erinnerung bleiben. Nach zweieinhalb Stunden sind wir dann endlich mal wieder unten angekommen. Von der Stadt haben wir an dem Tag zwar wenig gesehen, aber das war es wert, wir hatten ja noch einen Tag um die Stadt anzuschauen. 

Bei unserem kleinen verschneiten Abenteuer

Sarajevo ist eine Stadt mit sehr vielen Facetten. Orthodoxe Kirchen stehen neben katholischen, und direkt daneben Moscheen. Wenn der Muezzin mit seinem Gesang zum Gebet aufruft, setzen die Kirchenglocken mit ein. In der kavana gibt es türkische Baklava und österreichische Cremeschnitten. Was mir besonders in Erinnerung bleiben wird ist Salep, ein Getränk bei dem Orchideenextrakt und Zimt mit heißer, aufgeschäumter Milch aufgegossen wird. In der EU kann man das nicht trinken, weil alle Orchideenarten besonders geschützt werden und der Handel mit ihnen verboten ist.  

Allgemein in Bosnien sind viele Leute arm und bei einem Stadtbummel begegnet man einigen Menschen, die um eine Spende bitten. Kein Vergleich zu Pula, geschweige denn Stuttgart oder Deutschland im Allgemeinen. Das merkte man auch deutlich an den Preisen. Ob für Apartments, eine Tasse bosnischen Kaffee oder eine ganze Mahlzeit, nie musste man viel bezahlen, wenn man die deutschen Preise gewohnt ist. Man sieht viele heruntergekommene Gebäude, die einen nicht vergessen lassen, dass der Krieg in Bosnien während dem Sarajevo belagert war, nicht lange her ist. Aber das Land ist auch dabei, sich wieder aufzubauen und so stehen neben heruntergekommenen Häusern Neubauten.

In ihrer jahrhundertealten Vergangenheit zog sich die Stadt von Ost nach West, in einem Tal gelegen, immer weiter in die Länge. In jedem Stadtviertel spürt man die verschiedenen Einflüsse unter denen Sarajevo im Laufe der Geschichte stand. Vom Osmanischen Reich, über die Österreich-ungarische Monarchie bis hin zum kommunistischen Jugoslawien, war viel unterschiedliches dabei. Während Kroatien und insbesondere Pula, weil ich das natürlich besser beurteilen kann, auf mich nicht sehr fremd wirkt, bekam ich in Sarajevo einen kurzen Einblick in eine Stadt, in der mir doch vieles fremd war und ich die Entfernung von zu Hause spüren konnte. Umso spannender und eindrucksvoller waren die Tage dort und ich werde bestimmt noch einmal zurückkommen. Schließlich habe ich auch aus dem Sebilj getrunken. Ein Brunnen, dessen Legende besagt, dass jeder der einmal Wasser von diesem Brunnen trinkt, nach Sarajevo zurückkehren wird.

Ein ganz besonderes Café, in dem wir Salep getrunken haben

Nach diesen drei abwechslungsreichen und schönen Wochen in Gesellschaft von so lieben Menschen, machte ich mir schon Gedanken, wie der Start in den Alltag in Pula wohl sein wird. Rückblickend waren diese Zweifel total unbegründet und seit dem Schulbeginn sind schon wieder anderthalb Wochen vergangen. Mein Projekt „Kunst aus Plastik“, bei dem ich mit einer Gruppe von Schülern aus der 9. und 10.Klasse vor den Ferien das Thema „Plastikmüll in der Umwelt“ behandelt habe, ist in vollem Gange. Gestern haben wir aus dem Plastik, dass sie über die Ferien sammeln sollten, Kunstwerke erstellt. Ich glaube, das hat uns allen viel Spaß gemacht. Nächste Woche wollen wir als Alternative zu Plastiktüten Stofftaschen selbst bemalen und Plakate machen, die das Thema „Plastikmüll in der Umwelt“ erklären. Ende nächster Woche ist es dann soweit und wir werden unsere Ergebnisse in einer kleinen Ausstellung in der Stadtbibliothek präsentieren. Außerdem habe ich mir die letzten Wochen Aufgaben für eine interaktive Ausstellung mit Plakaten vom Goethe-Institut zum Thema „Deutsche Städte und Landschaften“ überlegt. Die beiden Deutschlehrerinnen, die mir über die Monate immer mehr ans Herz gewachsen sind, und ich arbeiten fleißig um noch alle angefangenen Projekte zu Ende bringen zu können, bevor ich abreise. 

Die Schüler und ich bei unserem Projekt „Kunst aus Plastik“

Ich weiß schon jetzt, dass ich am 19. Februar mit einem weinenden und einem lachenden Auge, aber vor allem sehr dankbar und ein großes Stück erfahrener, ins Auto steigen werde. 

Macht’s gut und bis bald!