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Polskaponatime

Es war einmal ein Mädchen, dem gab jedermann einen anderen Namen. Einmal schenkte es sich selbst einen Mantel von rotem Samt, und weil es sich darin wohl fand, und es nichts anderes mehr tragen wollte, nannte es sich selbst Rotmäntelchen.

Rotmäntelchen begab sich eines Tages auf den Weg. Wohin er sie führen würde, war sie sich in diesem Moment nicht bewusst. Sie kannte nicht einmal die Stadt, die Umgebung, das Land von dem sie ihren Spaziergang begann. Sie kannte nur ein Ziel: Die Namen anderer Menschen sammeln, damit diese nie in Vergessenheit geraten.

Das Ende war jedoch noch lange nicht in Sicht. Hingegen aber ein Gebäude. Mehr als das. Eine Schule. Es sollte ihr zweites zu Hause werden.

Bis es jedoch dieser Aussage zustimmt, würde noch einige Tage, Wochen, Monate verstreichen müssen. Mit jeder Stunde würde es besser werden, würde sich Rotmäntelchen Mut zusprechen. Immerhin hatte sie alle Zeit der Welt. 10 Stunden Deutschunterricht pro Woche standen in den Stundenplänen der Schüler*innen. Rekordzahlen in Polen.

Der besagte Ort, an dem Rotmäntelchen sich also wiederfand, lag unterhalb der Erde. Im Keller des (ersten allgemeinbildenden) Lyzeums (in freier Trägerschaft). Hier, im „Auerbachs Keller“, hier im nach einem Leipziger Restaurant getauften Klassenzimmer, gab es entgegen ihrer Erwartung keine Wölfe.

Die Schulkatze in ihrer Sommerresidenz

Die Bedrohung durch Wildtiere ist ein Hirngespinst gewesen. Dort erwarte man sie mit offenen Armen. Kürzere und Längere. Zugehörig zu Schüler*innen und Lehrer*innen. Letztere Gruppe unterschied sich am meisten von ihren Vorstellungen.

Rotmäntelchen würde sie später mit einer Metapher beschreiben. Jene würde wie folgt lauten: Die Lehrer*innen jener Schule sind wie die Zeit, beständig, einem immer umgebend, ob zu einer guten oder schlechten Stunde und durch nichts ersetzbar.

Insbesondere Maki (Nicht das Sushi, sondern das Kürzel Rotmäntelchens Ansprechpartners) der gleich zu Beginn zu ihrem (Groß-)Vater wurde, galt ihrer Bewunderung.

Der Unterricht ist wie ein Waldspaziergang. Maki ladet jeden, der ihm ein offenes Ohr schenkt, an die Plätze mit den schönsten Übungswiesen zu einer Kanne Testchen ein. Jeder kleine Lernschritt, jede andere Banalität auf dem Weg dorthin werden nicht von ihm selbst, sondern von den Lernenden mündlich in der Fremdsprache aufgesagt.

Er ist selbst Teil, dieses herbstlich gefärbten Waldes. In dieser „schwarz-rot-goldenen“ Natur*. Mal aufbrausend wie der Wind, mal überraschend wie der Regen, aber stets strahlend wie die Sonne.

Ressourcen zu Aufgaben scheinen unerschöpflich zu sein. Seien es „Pups-“laute um einen fehlenden Artikel (z.B. beim Plural) zu verdeutlichen. Sei es eine Kakteensammlung am Ende des Raumes, um Vergleiche durchzuführen. Oder seine stets ausgefallenen und bunten Socken.

Sein Engagement bezüglich seines Berufes färbt sich wie Farbe, auch auf die Schüler*innen ab. Zusammen mit Rotmäntelchen werden sie ein soziales Projekt haben. Kümmern sich künftig am Wochenende um gezähmten „Wölfe“ in einem Tierheim. Oder sind vor ihrer Ankunft schon mitten in der Entwicklung eines Theaterstücks für kranke Kinder.

Im Gegensatz zu Rotmäntelchen, haben jene bei der Auswahl ihres Namens – Klassennamens, jedoch immer freie Wahl gehabt. Ihre Existenz verbirgt sich nicht ein ganzes schullebenlang hinter einer Zahl und einem Buchstaben, welche keine Möglichkeit auf Individualität und Identifikation gibt. Nein. Sie taufen sich zu Beginn ihrer Schullaufbahn selbst auf einen 3-jährigen Namen. Namen wie „Weltschmerz verpiss dich“ oder „Haushaltschemie aus Deutschland“, mit dem sie im Schulalltag angesprochen werden.

Von hier würde Rotmäntelchen viel mehr als ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein für ihr (Groß-)Mutterland mitnehmen. Sondern viele Erinnerungen, Erlebnisse und Erfahrungen, die sie in ihrer eigenen Entwicklung weiterbringen würden. Nun. Und vielleicht doch Kuchen. Spinatkuchen des besten Mensakochs, wohlgemerkt.

Eine Liste mit Namen, die sie nie vergessen würde, führte sie schon. Diese Liste würde Rotmäntelchen von Tag zu Tag erweitern. Und wenn sie es nicht tut, dann tut es wohl keine*r.

*der „Auerbachs Keller“ ist von oben bis unten, von Tisch bis Stuhlbein in den Deutschlandfarben geschmückt.

 

 

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