Reis, Bohnen und Hurricanes

Man könnte hier nach vielen Dingen seine Uhr stellen: Nach dem beinahe täglichen Gewitter gegen 16 Uhr, nach dem pünktlichen Sonnenuntergang um 18 Uhr oder nach dem halbstündlichen Aufheulen der Autoalarmanlagen. Das ist allerdings gar nicht nötig, denn in Medellín richtet sich die Zeit nicht nach den Uhren – auch für mich kehrt langsam Entspannung ein.

Die ersten Arbeitstage in der Escuela Normal in Copacabana gestalteten sich kurzweilig, denn die Schüler sind liebenswert und unerwartet diszipliniert. Obwohl die jüngeren Schüler selten zur Ruhe kommen, macht mir die freie Arbeitsatmosphäre in Kombination mit dem wunderschön luftigen Schulgelände gute Laune. In der Cafeteria wird die in Antioquia typische Comida Corriente serviert – im Wesentlichen Reis, Bohnen und Fleisch.

Nach der Arbeit und einer einstündigen Metrofahrt komme ich im Barrio Estadio an und fühle mich schon ganz heimisch. Kochbananen und Arepas zu jeder Tageszeit, regionaler Rum und meine Mitbewohnerinnen verschönern mir die Freizeit. Die zentralen Sportanlagen von Medellín befinden sich zudem direkt beim Stadion, was mir kostenloses Training im Fitnessstudio, im Schwimmbad und auf dem Volleyballfeld ermöglicht.

Während ich immer mehr Menschen aus Kolumbien und dem Rest der Welt kennenlerne, mich allmählich an eigene Schulprojekte herantraue und abends El Poblado, das Ausgehviertel von Medellín erkunde, habe ich kaum Zeit um zur Ruhe zu kommen. Stress gibt es hier allerdings auch nicht – dafür ist Pünktlichkeit viel zu unwichtig. Medellín erscheint mir extrem interessant und je mehr ich von der To-Do-Liste erledige, desto länger wird sie. Vielleicht schreibe ich demnächst ein paar Einträge über verschiedene Ausflugsmöglichkeiten – morgen soll der Fels von Guatapé besichtigt werden!

Ein Erlebnis dieser Woche sollte noch genannt werden: Die erwähnten Gewitter treten in unterschiedlicher Heftigkeit auf. Mal blitzt es nur, mal regnet es leicht. Am Dienstag jedoch erreichten uns Ausläufer der karibischen Hurricanes. Der Himmel wurde schwarz und es begann heftig zu blitzen, bevor eine Sintflut über uns hereinbrach, die mein Zimmer unter Wasser setzte und die Straßen leerfegte. Eine Stunde lang stand Medellín still, wobei der Donner ohrenbetäubend war. Stromausfall und schrille Alarmanlagen steuerten ihren Teil dazu bei – es war ein tolles Erlebnis. Wobei man sich schon fragt: Wenn ich nicht einmal den Balkon betreten kann, wie ergeht es dann den Menschen in den Armenvierteln am Stadtrand, die unter Plastiktüten schlafen?

Michael Ende, dessen Buch Momo ich gerade lese, fragte sich einmal:

„Wenn unsere Vorstellung von der Wirklichkeit sich ändert, ändert sich dann auch die Wirklichkeit?“ 

Bald werde ich im Rahmen eines Schulprojekts mit Straßenkindern arbeiten – ich hoffe, ich kann so einen kleinen Teil zur Entwicklung dieser wunderbaren Stadt beitragen. Bildung eröffnet Chancen, sagt man doch so schön.