Russisch, Musik und Lehrertag

Orscha, 07. Oktober 2018 – Nach einer guten Woche melde ich mich erneut aus Orscha, wo mittlerweile sogar die Heizungen funktionieren. Es hat sich wieder ein bisschen Schreibstoff aufgebaut, wovon ich zumindest Einiges hier erwähnen möchte.

Wie der Titel schon sagt, geht es heute vor allem um drei verschiedene Themen – durch diese Struktur kann ich den Inhalt besser „bündeln“. Direkt im Anschluss schiebe ich noch einen zweiten Eintrag über den Samstag gestern nach, damit es nicht zu viel auf einmal wird.

*Russisch: Jede Woche bin ich zwei Stunden im Russischunterricht der 5. Klasse dabei und versuche so viel Nutzen wie möglich daraus zu ziehen. Die Themen verstehe ich meistens gut, das erleichtert das Verständnis, auch wenn manche Sichtweisen mir neu sind. Das ist wiederum interessant, z.B. das, was man hier als качетсва речи (in etwa: Beschaffenheit der Sprache) bezeichnet – demnach zeichnet sich die Qualität der Sprache eines Einzelnen durch dessen точность, чистота, правилность, логичность, богатство, уместност und выразительность (Genauigkeit, Sauberkeit, Richtigkeit, Logik, Reichtum, Angemessenheit und Ausdrucksstärke) aus. Die Schüler lernen so etwas auswendig, mittlerweile habe ich es auch einigermaßen drin. Ich weiß auch nicht, was mir das bringt, aber irgendwie ist es ganz cool und interessant. Nebenbei baue ich meinen Wortschatz aus – das vor allem auch durch die Märchen, die die Schüler lesen.

Außerdem hat der Unterricht die Folge, dass mich einige der Fünftklässler morgens am Eingang freudestrahlend begrüßen, ohne dass ich irgendetwas dafür getan hätte. Ein weiterer Punkt auf der Liste der Dinge, die ich nicht verstehe.

Natürlich wäre es noch viel besser, hätte ich weitere regelmäßige Termine, in denen ich mein Russisch üben und verbessern kann. Aber das hat sich bisher nicht ergeben, oder ich war eben zu faul bzw. scheu. Im Blog meiner Vorgängerin lese ich, wie sie sich schnell mehrere feste Termine in der Woche eingerichtet hat, um sich zu beschäftigen – das sollte ich auch tun. Hoffentlich schaffe ich es irgendwie. Auf Dauer reicht es nicht, nur in der Schule, in der Wohnung und auf Ausflügen zu sein, dann lerne ich auch keine Leute vor Ort kennen.

Wie es mit meinem Hörverstehen bisher so ist, hängt ganz von der Situation ab. In russischen Gesprächen, die ich selbst angefangen habe, verstehe ich meistens viel, denn ich kenne ja das Thema; ähnlich ist es im Unterricht, im Deutschunterricht verstehe ich die russischen Passagen in der Regel gut. Wenn ich das Thema nicht kenne, wird es schwieriger, aber in der Regel verstehe ich zumindest die Satzstruktur – wenn allerdings jemand anderes (überraschend) ein Gespräch anfängt und dabei erwartet, dass ich auch normale oder schnelle Sprache verstehe, ist es schwierig, dann verstehe ich kaum etwas.

Am Freitag hatte ich zum ersten Mal Russischunterricht bei Irina, meiner Ansprechpartnerin. Es ist noch nicht klar, ob wir regelmäßig Unterricht haben werden oder immer nur, wenn gerade Zeit ist, aber die Hauptsache ist, dass es jetzt losgeht. Ich hoffe, dass durch den Unterricht mein Lernen noch einen Schub bekommt, aber das wird sich erst zeigen.

Die ersten Russisch-Hausaufgaben

*Musik: Im Deutschraum steht ein Keyboard, an dem ich in Freistunden spielen kann. Um ehrlich zu sein, macht das allerdings wenig Spaß – man kann das Keyboard kaum mit einem „normalen“ Instrument vergleichen. Meine Stücke klingen einfach nicht echt, sondern sehr künstlich, langweilig, doof.

Umso mehr freue ich mich, als mir eine Alternative gezeigt wird – eine Musiklehrerin der Schule hat für ihren Raum ein E-Piano angeschafft, made in Japan. Ich darf das Instrument testen, und schon beim Anschlag merke ich, dass es ein ziemlich gutes Piano ist. Kurz darauf perlen Couperins „Barricades Mystérieuses“ durch den Raum. Der Klang ist fast schon himmlisch im Vergleich zu vorher. Die Töne erfüllen das Zimmer, als gäbe es echte Saiten, feine dynamische Abstufungen sind möglich und der Bass ist einfach toll, was bei diesem Stück besonders effektvoll ist. Ich genieße es sehr, denn einen echten, guten Klavierklang habe ich schon seit Wochen nicht erlebt.

Mir wurde schon angeboten, dass ich häufiger spielen darf, hoffentlich komme ich dazu. Das E-Piano ist vermutlich noch um einiges hochwertiger als mein Übungsinstrument zuhause.

*Lehrertag: Am Freitag ist день учителя, Lehrertag. Schon vorher geht es im Unterricht um Schultraditionen (Lehrplan Kl. 8) und ich bekomme den Eindruck, dass man diese hier sehr viel ernster nimmt. Die Schulfeste werden auch tatsächlich als Feste wahrgenommen und nach bestimmten Traditionen begangen: So werden am Lehrertag alle Stunden um 15 min verkürzt und die Schüler bringen ihren Lehrern Geschenke mit. Auch die Deutschlehrer gehen nicht leer aus (Zitat E. „So groß war das Geschenk noch nie“).

Außerdem findet ein Konzert statt, in dem die unterschiedlichen Musik- und Tanzgruppen der Schule auftreten, Lehrer geehrt werden und zusätzliche einige der Lehrer selbst Lieder vortragen. Ich kenne keines der Lieder, bin aber beeindruckt, wie vielseitig das Konzert wird – dadurch erfahre ich auch mehr über meine Schule. Zum Beispiel gibt es viele, viele verschiedene (und immer zu 90-100% weibliche) Tanzgruppen, was ich von meiner Schule in Deutschland nicht behaupten kann. Meiner Schwester P. hätte es sehr gefallen, LG an dich :)

Nebenbei frage ich Irina, wie viele männliche Kollegen sie an der Schule hat – sie zählt fünf, von etwa hundert (oder mehr). Ich bin also mal wieder in einer deutlich weiblich dominerten Umgebung gelandet… aber das passiert mir ja nicht zum ersten Mal.

Die Fortsetzung folgt gleich im Anschluss.

P.S.: Über Skype habe ich erfahren, dass auch einige Heuchelheimer aus der Martinsgemeinde diesen Blog hier lesen. Erst einmal liebe Grüße an Euch alle – und außerdem, falls Ihr Euch fragt, ob ich die Gemeinde vermisse: ja, das tue ich. Ich vermisse das Organist-Sein, die Gottesdienste und natürlich die Menschen, und freue mich schon darauf, an Weihnachten wieder nach Heuchelheim zu kommen.

 

 

На берегу днепра – Am Ufer des Dnjepr

Orscha, 29. September 2018. – Der Dnjepr ist ein mächtiger Strom, der einmal quer durch Belarus und die Ukraine fließt, bevor er im schwarzen Meer ankommt. Auf diesem langen Weg kommt der schwer aussprechbare Fluss auch in Orscha vorbei. Nicht weit weg von meiner Wohnung liegt der beeindruckende городской парк, der Stadtpark, direkt am Ufer. In der wunderschönen Grünanlage tummeln sich Raben, Krähen und vor allem Dohlen, die ich in Deutschland zumindest bewusst noch nie gesehen habe, und das alles mit dem Blick auf den ruhig fließenden Dnjepr.

Bin mir ziemlich sicher, dass das eine Dohle ist (oder?)

Der Park ist einfach ein perfekter Ort für schöne Herbstnachmittage.

Um das nur kurz zu erklären: von allen Jahreszeiten mag ich den Herbst am liebsten. Herbst ist die Zeit, in der man (wenn es nicht regnet) mit einer Jacke rausgehen kann, ohne zu frieren oder zu schwitzen, und den Wind um sich genießen kann. Ich mag auch das Nachdenkliche, Melancholische am Herbst, wenn die Natur sich zurückzieht, es dunkler und kälter wird und man länger drinnen bleibt, drinnen zuhause und drinnen in sich selbst. Ich genieße die schönen, ruhigen Herbstnachmittage sehr, und Orscha ist bisher ein absolut toller Ort, um den Herbst hier zu verbringen.

Mitten im городской парк befindet sich auch eines der zahlreichen Denkmäler, die an den zweiten Weltkrieg – Pardon: den Großen Vaterländischen Krieg – erinnern. Solche Denkmäler sind hier sehr häufig, und man versteht, wieso, wenn man die Hintergründe kennt.

Es ist ein trauriger, erschreckender, entsetzlicher Fakt, dass in den Jahren 1941-1944, in denen Belarus von Wehrmacht und SS besetzt war, jeder vierte Belarusse ums Leben gekommen ist. Die Deutschen sahen die Russen und Weißrussen nicht als Menschen an, verbrannten ihre Dörfer, zerstörten Felder und ermordeten Tausende. Der „Vernichtungskrieg im Osten“ ist vermutlich eines der grauenhaftesten Verbrechen der Geschichte, dem über 25 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Belarussen haben es nicht vergessen, überall erinnern Denkmäler an die Toten.

Am Freitag war ich an einem weiteren dieser Denkmäler, dem „Hügel der Unsterblichkeit“ im Stadtteil ранiца, was auf Belarussisch anscheinend „Morgen“ bedeutet. Drei Schülerinnen aus Klasse aus meiner Schule (Nr. 20) und weitere SuS aus Schule Nr. 17 hatten eine Stadtführung für mich vorbereitet und erzählten mir noch viel Neues über die Stadt und ihre Geschichte. Einfach ein sehr angenehmer Vormittag, obwohl er auch nachdenklich macht. Der Hügel der Unsterblichkeit ist ein Hügel im Zentrum von sechs Alleen, die nach verschiedenen Soldaten benannt sind. Vor dem Hügel brennt eine ewige Flamme, im Park stehen sowjetische Panzer zum Anschauen. Kinder klettern auf einen der Panzer und drehen am Geschützturm, und wir stehen im Park und trinken Tee.

Morgen werde ich an einem Schulausflug teilnehmen, der uns auch an eine weitere Gedenkstätte führen wird, nach Chatyn. Dort befindet sich eine Erinnerungsstätte für die hunderten verbrannten Dörfer in Belarus. Nun werde ich also auch diesen Teil der Geschichte kennenlernen, der sich mit Sicherheit tief in das belarussische Gedächtnis eingegraben hat.

In der Schule geht es ziemlich normal weiter. Noch habe ich einiges an Freizeit, doch bald wird ein neues Projekt starten: die Vorbereitung für das PASCH-Theaterfestival in Minsk, an dem meine Schule unbedingt teilnehmen will. Es gab wegen besonderer Vorgaben des GIs bisher Probleme, ein passendes Stück zu finden, doch das hat sich mittlerweile geklärt (woran ich, sagen wir mal, nicht ganz unbeteiligt bin). Ich werde erst noch sehen müssen, wie genau ich dann weiter in der Schule eingebunden und eingeplant werde. Was sich schon andeutet, ist Korrekturlesen für Artikel auf diversen Internetseiten, was spannender ist, als es klingt.

Zuletzt das Wetter: der heutige Tag ist wechselhaft, zurzeit (17 Uhr) scheint die Sonne bei etwa 14°C, nachdem es am Mittag schon Regen gab.

Liebe Grüße an alle!

Jonathan

P.S.: Das ist bisher mein Lieblingsplatz im Park:

Langsam wird es kalt – Herbstanfang in Belarus

Orscha, 25. September 2018. – Mit diesem Eintrag möchte ich noch über meine letzten Tage berichten, bevor das untergeht. Gestern begann für mich der „wirkliche“ Alltag, denn erst jetzt schreibe ich aus meiner Wohnung im Zentrum von Orscha, in die ich am Freitag einziehen durfte. Nur kurz dazu: die Wohnung ist ideal. Mehr als groß genug, voll ausgestattet, perfekte Lage – was das angeht, kann ich mich sehr glücklich schätzen. Außerdem: so komisch es klingt, Montag könnte mein Lieblingstag unter den Schultagen werden – könnte. Aber dazu später mehr.

Ein Blick aus meiner Wohnung

Über das Wochenende bin ich in Minsk, wo das Goethe-Institut uns Freiwillige zu einer Veranstaltung „eingeladen“ hat. Auf der Veranstaltung digital@goethe werden unterschiedliche digitale Neuerungen präsentiert, z.B. Augmented-Reality-Technik oder alternative Tastaturen aus Obst, dazu gibt es Workshops über digitale Musik, die mir zeigen – so geht es mir mit Musik immer – dass man mit Musik und mit Klängen sehr viel mehr machen kann, als man zu irgendeinem Zeitpunkt vielleicht glaubt. Ich denke darüber nach, was für ein Luxus es ist, dass wir uns hier im Ausland den Horizont erweitern lassen können, und frage mich, wie ich danach wohl in Deutschland weitermachen soll. Time will tell.

Nun, was war sonst noch in Minsk… am Abend essen wir in einer Pizzeria, wo eine Kellnerin nach der Bestellung kommentarlos einen Stapel mit fünf leeren Tellern auf unserem Vierertisch ablädt, den sie nach dem Essen wieder wegnimmt, ohne dass mit den Tellern bis dahin irgendetwas  passiert ist. Wenn das eine geheime Botschaft sein soll, verstehen wir sie nicht, doch vorsichtshalber geben wir etwas mehr Trinkgeld.

Wo wir gerade beim Verständnis sind – daran scheitern wir immer wieder. Ich bekomme schon viel mit, weil mein Wortschatz auf Russisch relativ groß ist und ich viele Sätze geübt habe. Somit habe ich einen gewissen Vorsprung vor den anderen und kann recht häufig helfen. Doch teilweise versagen wir auch kollektiv – woher soll z.B. irgendjemand von uns wissen, dass nur zwei der sechs Stellen auf dem Taxometer zählen?

Am Sonntag komme ich gegen 18 Uhr in der Wohnung an und sehe dem Montag entgegen. Das Besondere an diesem Tag sind für mich die Gegensätze: montags kommen alle Klassen doppelt vor. Ich bin in zwei zehnten und zwei dritten Klassen sowie in zwei Zertifikatsvorbereitungskursen (ZVKs) auf dem gleichen Niveau. Das Interessante dabei: immer ist einer der beiden Kurse um ein Vielfaches leistungsstärker als der andere. Dennoch behandeln die Kurse die gleichen Themen, was zu seltsamen Ergebnissen führt.

Gleich in der ersten Stunde am Montag stelle ich die zweite Episode meiner neuen PPPS (PowerPointPräsentationsSerie) vor, ein Zyklus, der bisher noch ohne einen konkreten Namen auskommen muss – und teilweise auch ohne Beamer, da dieser immer erst spontan entscheidet, ob er zum jeweiligen Zeitpunkt funktionieren möchte oder nicht. Da ich (wie gesagt) in zwei verschiedenen zehnten Klassen bin, wird die Präsentation kurz nach der Erstaufführung noch einmal wiederholt. In der zweiten Klasse wiederum ist eine Schülerin, die im Fakultativunterricht schon Episode 1 der PPPS  erleben durfte (Thema: „Wohnsituation und Mobbing“ – nein, das ist kein Scherz und war auch nicht meine Idee) und sich wahrscheinlich mittlerweile fragt, ob ich außer den Präsentationen nichts anderes zu tun habe.

Nächste Woche folgt dann Teil 3 der Reihe, dieses Mal für einen ZVK-Kurs.

In diesen ZVK-Kursen sitzen auch Schüler aus den Klassen, die ich kenne, was mich restlos verwirrt. Ich habe das Gefühl, den halben Kurs zu kennen, weiß aber nicht, woher genau. Vielleicht kommt das mit der Zeit, irgendwie müssen die Lehrer es ja auch schaffen. Wenig hilfreich dabei ist, dass in kaum einer Klasse nicht mindestens ein Vorname doppelt vorkommt, üblicherweise Mascha, Dascha, Nastja oder Lisa. (Das sind übrigens jeweils Rufnamen, die für Maria, Daria, Anastasia und Elisabeth stehen. Russische Namen sind ein spannendes Thema für sich.) In einem speziellen Fall gibt es unter den elf SuS im Kurs ganze drei mit Namen Mascha.

Spannend in Klasse 3 sind übrigens die Laute, die die Schüler aus dem Russischen noch nicht kennen, wie ch, st, sp und vor allem das deutsche r. ‚Pf‘ wird sicher lustig, darauf freue ich mich schon.

Ein Blick aufs „Zentrum“

Und zuletzt das Wetter: die Temperaturen variieren wenig, in etwa zwischen 6 und 10° C. Nach starkem Regen am Montag bleibt es heute zumindest teilweise trocken.

Liebe Grüße an alle!

Jonathan

P.S.: Für diesen Blogeintrag habe ich viel zu viel Zeit aufgewendet, obwohl ich eigentlich einige andere Dinge zu tun habe. Hoffentlich bekomme ich das morgen einigermaßen in den Griff.

 

So etwas wie Alltag beginnt

Orscha, 19. September 2018. – Nach drei Tagen in der Schule melde ich mich hiermit wieder und kann schon ein wenig aus der Schule berichten. Mein Bild ist allerdings noch nicht vollständig, deswegen versuche ich, noch nicht zu bewerten oder zu verallgemeinern.

Ein paar kleine, aber wichtige Beispiele für Unterschiede zu deutschen Schulen:

*Stundenplan: Es gibt keine Doppelstunden. Zu jeder vollen Stunde beginnt eine Unterrichtsstunde, nach 45 min gibt es jeweils 15 min Pause.

*Notengebung: Es gibt keine wirklichen Zeugnisse. Was zählt, sind die Endnoten in den Prüfungen nach Klasse 9 und 11. Trotzdem wird den Schülern nach jeder Stunde eine Note eingetragen, von 1 bis 10, wobei 10 die beste Note ist.

*Fremdsprachen: Alle Schüler müssen Russisch und Belarussisch lernen, die beiden offiziellen Amtssprachen. (Vielleicht schreibe ich noch einmal darüber.) Dazu kommt eine Fremdsprache, an der Schule hier Englisch oder Deutsch. Lateinunterricht gibt es nicht, in anderen Schulen kann es Französisch, Chinesisch oder Spanisch geben (alles eher selten).

Anzeigetafel im Zentrum mit der Aufschrift „Ich liebe Belarus“

Interessant am Deutschunterricht ist vor allem, wie sehr sich die Kurse unterscheiden. Klar ist: Deutsch ist viel zu schwer. Als Beispiel Klasse 3: Ich habe den größten Respekt für die Lehrer- sie müssen Neunjährigen, die gerade erst das lateinische Alphabet lernen, den Unterschied zwischen „ei“, „ie“ und „eu“ erklären. Außerdem sind viele Buchstaben des kyrillisches Alphabets auch im lateinischen Alphabet vorhanden, aber anders. „н“ entspricht dem deutschen“n“, „n“ im Russischen (Schreibschrift) ist auf Deutsch „p“, „р“ auf Russisch wiederum ist auf Deutsch „r“. Erklärt das bitte mal in einer dritten Klasse.

In Klasse 10 ergibt sich ein anderes, aber ebenso interessantes Bild. Als die Schüler mich durch ihre Schule führen und sie mir vorstellen sollen, erzählen fast nur die Mädchen – was Deutsch angeht, haben sie die Jungs anscheinend schon vor Jahren abgehängt. Das Niveau geht massiv auseinander – blöd nur, dass alle die gleichen Abschlussprüfungen schreiben, und alle verpflichtend auch in Deutsch.

Am Dienstag Nachmittag weiht Irina (meine Ansprechperson in der Schule) mich in die Geheimnisse des belarussischen Verkehrswesens ein, denn am Wochenende soll ich mit den anderen Freiwilligen in Minsk sein. Als wir die Bahnkarten kaufen, verstehe ich die Dame am Schalter falsch und lege 60 Rubel hin – Irina lacht mich aus. Ich hatte 57 Rubel (ca. 23€) verstanden und das für einen normalen Preis für die jeweils zweistündige Hin- und Rückfahrt gehalten, doch tatsächlich sind es 15,70 Rubel (ca. 6€).  Eine  positive Überraschung für jemanden, der für eine Fahrt von Berlin nach Kassel 97€ bezahlt hat. ладно, dafür haben die belarussischen Züge kein WLAN – allerdings gibt es hier unbegrenztes mobiles Internet für etwa 7€/Monat.

Und als Bonus:
1) Die Züge haben üblicherweise keine Ver-spätung.
2) Die Tickets sehen einfach cool aus.

 

Die Gastfamilie führt mich unterdessen weiter in das belarussische Leben und vor allem Essen ein. Die Entdeckungsreise durch die belarussische Küche nähert sich langsam ihrem Ende, denn am Freitag soll ich in meine Wohnung im Zentrum umziehen. Die Eltern fragen mich, was ich kochen kann – ich erzähle ein bisschen, aber sage nicht, dass ich nach ihrer Vollverpflegung am liebsten fürs Erste auf Salat und Gurken umsteigen würde, und auch nicht unbedingt abends noch warm essen muss, wenn ich mittags in der Schule für weniger als 50ct ein vollwertiges warmes Mittagessen kaufen kann.

Ob ich noch länger in der Familie bleiben wollen würde? Naja. Die Vorteile sind natürlich klar – aber was z.B. die Sprache angeht, brauche ich nicht nur Gesprächsübung, sondern vor allem auch Zeit zum Lernen. Mir fehlen sehr viele Wörter, die ich mir einprägen muss, und auch Lesen und Grammatik muss ich üben. Von daher lerne ich vielleicht besser, wenn ich in der Wohnung bin – Sprachpraxis habe ich immer noch, notwendigerweise. Und mit der Familie kann ich mich immer noch treffen (das wollen sie auch unbedingt).

Nachteile: Die Zeit hier kann echt anstrengend sein. Oft läuft der Fernseher durchgängig oder die Jungs spielen Videospiele ohne Kopfhörer, abends auch gerne beides gleichzeitig. Ich sage nichts dagegen, doch es stört natürlich, denn in dieser kleinen Wohnung kann man sich mit fünf Leuten einfach schlecht aus dem Weg gehen. Die Zeit in der Schule ist für mich interessanter und angenehmer als die Zeit in der Wohnung – dennoch bin ich der Familie unheimlich dankbar für ihre (Gast-)Freundlichkeit. Ich kann kaum etwas Schlechtes über sie sagen, es liegt eher an mir, wenn ich mich nicht ganz wohl fühle.

Was es nicht alles gibt: Snickers с семечками – Snickers mit Sonnenblumenkernen

Es gibt auch immer wieder lustige Momente. Die Jungs machen sich über das Wort „Sonnenblumenkerne“ lustig (im Vergleich zum russ. „семечки“ seeehr viel länger) und können es kaum fassen, als ich von den sechswöchigen Sommerferien in Deutschland erzähle – in Belarus sind die Sommerferien volle drei Monate lang. Außerdem scherzen wir über Lukaschenka, den belarussischen Präsidenten „auf Lebenszeit“.

Ich kann mich wirklich nicht beschweren. In meiner wenigen Zeit bis jetzt habe ich viele, viele Eindrücke gesammelt, die ich nicht alle hier wiedergeben kann/will. Die Zeit ist alles andere als langweilig, und Belarus ist definitv nicht die triste Ostblockdiktatur, die man als Besucher vielleicht erwartet.

Bis dann und до свидания!

Jonathan

Hier kommt viel Text, aber es lohnt sich

Orscha, 16. September 2018. – Dieser Blogeintrag wird vermutlich sehr textlastig sein, da ich in den letzten Tagen kaum zum Fotografieren gekommen bin (man wird sehen, warum). Trotzdem versuche ich, ihn möglichst interessant zu gestalten.

Am Freitag (14.) haben wir Belarus-Freiwillige einen Vorbereitungstag im Goethe-Institut (GI), zu dem ich nicht viel mehr sagen werde – es ist einfach die übliche entspannte Professionalität. Immer wieder erscheint im Gespräch der Geist meiner Vorgängerin („letztes Jahr gab es einen Fall…“), aber unsere Kontaktpersonen am GI sind zuversichtlich, dass in diesem (halben) Jahr alles gut geht. Dazu gibt es Landeskunde-Input: wir vergleichen z.B. das blr. und das dt. Schulsystem und scheitern völlig daran, das dt. Modell einigermaßen zusammenhängend zu erklären, während das blr. System innerhalb weniger Minuten abgehakt ist. Im Verlauf des Nachmittags treffen wir unsere Ansprechpersonen aus den Einsatzstellen und können uns weiter kennenlernen.  Mein guter Eindruck von Irina bestätigt sich, ich bin für den Anfang beruhigt und freue mich auf die kommende Zeit.

Btw: Anna-Lina, falls Du das liest, lass gerne mal einen Kommentar oder eine Nachricht da, ich würde mich freuen :) ich habe auch kein schlechtes Bild von Dir, ich habe Deinen Blog gelesen und kann das meiste nachvollziehen.

Im Verlauf des Wochenendes wird es dann sehr viel abenteuerlicher. Nach etwas mehr als zwei Stunden Zugfahrt kommen Irina und ich mit leichter Verspätung in Orscha an – ein regelrechter Skandal, da die Züge doch angeblich stets pünktlich sind. Mich beunruhigt es aber noch mehr, dass der (staatlich angestellte!) Taxifahrer, der uns am Abend vom Bahnhof in die Stadt bringt, es nicht für nötig hält, sich anzuschnallen – aber wie ich später in der Gastfamilie merke, scheint das generell keine Priorität in Belarus zu sein. Nehme ich einfach mal so hin.

Seit Freitag Abend bin ich also in einer Gastfamilie, bis einschl. nächsten Donnerstag. Familie D. besteht aus vier Personen: V. mit seiner Frau I. und den Zwillingen A. und S. – V. ist Direktor einer Bank und I. ist Buchhalterin, während die beiden Jungs zur Schule gehen. Ich habe den Eindruck, dass die Familie mir in der Woche bei ihnen das volle belarussische Paket nahebringen will, wie man vielleicht an ein paar Stichpunkten aus dem Wochenende sieht:

*Essen/Trinken: Nach Draniki und Bliny konnte ich in der Familie schon Borschtsch und Schaschlik, Birkensaft und Kwas probieren. Mir wird alles angeboten: нравится? нравится? Gefällt es dir? в германии есть? Gibt es das in Deutschland? Vielleicht geht es allen Gästen so, aber vermutlich mir als Ausländer besonders: ich kenne vieles hier nicht und soll es dann beurteilen. Dazu der Vorwurf, ich würde schlecht (плохо) essen – das klassische „du bist doch so dünn…“. Die Gastfreundschaft ist einfach überwältigend. Irina hat mir schon gesagt, mein Vorvorgänger Chris habe in der Zeit in Belarus mehrere Kilo zugenommen. Tolle Aussichten. Nach dieser Woche brauche ich wahrscheinlich erstmal eine Diät, am liebsten mit sehr viel weniger Fleisch als jetzt gerade, das gibt es nämlich schon zum Frühstück (und nicht nur dann).

*Wohnsituation: die Familie lebt in einer kleinen Wohnung in einem der vielen riesigen Wohnblöcke. Einfamilienhäuser gibt es in Orscha anscheinend auch, aber nur selten. Stattdessen besitzt man üblicherweise eine Datscha, ein Wochenend- oder Sommerhaus, wo z.B. auch Gemüse oder Obst angebaut wird. An den Wochenenden fährt man „за годод“, aufs Land, und ruht sich aus.

*Die Datscha: wir verbringen den Samstag Nachmittag auf der Datscha von Freunden. Was man da macht? Рыбачить (Angeln), русская баня (russisches Dampfbad) und noch mehr essen, dazu Wodka (40%). Mir wird wiederum alles angeboten, ich darf (soll) bei allem mitmachen. Angeln ist nicht so mein Ding, aber immerhin erweitere ich meinen Wortschatz um die entsprechenden Begriffe – z.B. „окунь“, auf Deutsch Barsch (hatte ich an der Angel). Das Dampfbad wiederum ist angenehmer, als ich gedacht hätte. Als der Besitzer merkt, dass es mir gefällt, bietet er an, ich könnte jede Woche herkommen. Auch er freut sich unheimlich über mich als Gast.

Übrigens regnet es am Nachmittag fast durchgängig, aber das ist nach der Zeit im баня auch ganz angenehm.

Bleibt noch die Frage, wie wir überhaupt kommunizieren. Die Jungs sprechen vermutlich etwas besser Deutsch als ich Russisch, aber im Verhältnis zur Lernzeit ist es trotzdem ziemlich schlecht, das muss man einfach so sagen. (Dass ich mich überhaupt mit ihnen vergleichen kann, obwohl sie theoretisch gute zwölf Mal so viel Lernzeit hatten wie ich, ist ziemlich traurig.) Meistens geht es mit Russisch irgendwie. Englisch geht sowieso nicht.

Ich bin unheimlich froh, schon Einiges gelernt zu haben, denn das zahlt sich jetzt aus. Es ist ein seltsames Gefühl: ich verwende täglich ca. 90% meines gesamten Russisch-Könnens, einfach weil es notwendig ist. Ich verwende ungefähr alle meine vorbereiteten Sätze, von dem typischen „(не) понимаю, понятно, я понял“ (unterschiedliche Abstufungen von „verstehen“) über „дождь ещё идёт?“ (Regnet es noch?) bis zu „во сколько отходит поезд?“ (Wann fährt der Zug?) usw. usf. Ständig höre die Wörter, die ich schon selbst geübt habe – ohne dadurch den Gesamtzusammenhang zu verstehen. Die meisten einfachen Dinge gehen gut, und teilweise schaffen wir auch komplexere Themen (was ein Freiwilliger ist, wie viele es in Belarus gibt, einmal sogar die deutsche Teilung in ganz grob). Wenn die Kommunikation nicht klappt, sagt man mir „alles gut“ und belässt es dabei, die Leute sind nicht böse darum.

Bleibt außerdem noch die Frage, wie es mir damit geht.

Einerseits: natürlich, die Zeit in der Familie ist gewissermaßen perfekt, um die Sprache zu lernen. Ich habe den Klang immer um mich herum, nehme viel mit, lerne neue Wörter, gewöhne mich an den Klang, an einfache Sätze. Somit ein guter Anfang.

Andererseits ist es unglaublich anstrengend, das den ganzen Tag machen zu müssen. Den ganzen Tag alle Russisch-Reserven mobilisieren zu müssen, damit die Kommunikation einigermaßen klappt. Auf Dauer macht es mich fertig und müde, obwohl man immer wieder durch kleine Erfolge belohnt wird. Vielleicht könnte ich so die Sprache am besten lernen, может быть. Die Sache ist nur, dass ich hier in der Familie sehr in Anspruch genommen werde. Wie oben beschrieben, wird mir alles gezeigt, ich werde ständig ausgefragt, so gut es geht, und die beiden Jungs sind etwas zu interessiert. Ich bin nicht der Typ dafür. Zeit alleine würde mir guttun, deswegen freue ich mich auf meine eigene Wohnung. Blöd nur, dass wir nächstes Wochenende wieder zum GI kommen sollen. Naja, mal sehen.

Es gibt noch mehr, was ich erwähnen könnte, über Orscha, Minsk, und Belarus, aber das hebe ich mir noch auf, bis ich mehr weiß. Der Eintrag hier ist sowieso lang genug.

Liebe Grüße и до свидания,

Jonathan

Erste Eindrücke aus Minsk (sponsored by Belavia)

Minsk, 13. September 2018. – Der Tag der Abreise (gestern) verläuft überraschend entspannt, um das gleich vorwegzunehmen. Am Flughafen ist mein Übergepäck kaum ein Problem, auch sonst verläuft alles gut. Ein Deutscher vor mir in der Schlange erzählt von seinen Erfahrungen mit dem Land und gibt mir bereits Tipps. Man muss einfach rein in das Land, sagt er, dann lernt man auch die Sprache. Und die Leute seien ohnehin gastfreundlich ohne Ende.

Insgesamt sind die Passagiere eine interessante Mischung aus Geschäftsreisenden, Heimkehrern und undefinierbaren Gestalten wie mir. An Bord bekommen wir alle eine (für das, was ich kenne) üppige Mahlzeit inklusive Süßigkeiten, dazu Kaffee oder Wasser. Während wir essen, überfliegen wir eine unspektakuläre Landschaft, von der ich nicht sagen kann, ob es sich jetzt um Brandenburg, Polen oder schon Belarus handelt. Macht von oben auch keinen großen Unterschied.

Vom Flughafen führt eine schnurgerade zweispurige Straße zum einige Kilometer entfernten Minsk. Um die Straße herum: Wald. Ich erinnere mich daran, was die Nationalfarben von Belarus (grün und rot) bedeuten: grün für die Wälder, rot für das Blut der Gefallenen. (Wobei man rot auch als die kommunistische Vergangenheit deuten könnte.) Dieser grüne Teil wird auf dieser Fahrt deutlich sichtbar, ob das die Gesamtsituation wiederspiegelt, ist eine andere Frage.

Minsk selbst ist einigermaßen beeindruckend, es gilt vor allem eines: man hat Platz. Die Straßen sind breit ausgebaut und trotzdem befinden sich überall ebenso breite Fußgängerwege, weit angelegte Parkanlagen, riesige Gebäudeblöcke, Denkmäler und viel, viel mehr, dass ich nicht zuordnen kann. Und so viel grün! Die Stadt zeigt sich modern, hübsch, aufgeräumt, nicht überlaufen, aber immer noch mit vielen kleinen Hinweisen, wo man sich befindet: Neonreklamen staatlicher Konzerne, monumentale Kriegsdenkmäler und typische Sowjet-Statuen.

Ein Blick auf die Swislatsch – Foto: Denise Rödel

Im Hostel treffe ich auf Denise und Leo, die schon vor mir angekommen sind. Wir tauschen uns über unsere Ankunft und unseren Eindruck aus, bevor wir raus zum Abendessen gehen. Irgendwo ein paar Straßen weiter finden wir ein Restaurant, indem wir einige Kleinigkeiten bestellen. Die Bedienung redet ausschließlich Russisch und bemüht sich nicht besonders, auf uns zuzugehen. Als unfreundlich sehe ich das aber nicht unbedingt: man scheint uns zu sagen: „Wir reden hier Russisch. Wenn ihr das nicht versteht, warum seid ihr dann überhaupt hier? Niemand zwingt euch, herzukommen!“ Überhaupt fallen wir – so scheint es uns – kaum auf, denn Touristen existieren quasi nicht oder sind nicht zu erkennen.

Draniki (blr. Kartoffelpfannkuchen) mit Smetana (saurer Sahne)

Belarus-Rubel und Kopecken

(1 EUR ~ 2,5 BYN)

Heute haben wir noch einen freien Tag und schaffen es evtl., uns zum ersten Mal mit allen Freiwilligen in Belarus zu treffen. (Wir sind übrigens fünf Leute.) Vor allem aber wollen wir mehr von der Stadt sehen.

Liebe Grüße an alle!

Всего хорошего и до свидания!

Jonathan

Homezones, Workshops und „Russisch am See“

Heuchelheim, 11. September 2018. –

Jonathan Beyer
GI-PASCH Belarus

steht während des Vorbereitungsseminars auf meinem Namensschild, das jeder von uns scheinbar nur besitzt, damit man es gar nicht erst nötig hat, immer wieder die gleichen Fragen an die anderen Teilnehmer*innen zu stellen: „Wie heißt du eigentlich? Wohin gehst du? Und welche Organisation?“ Diese Fragen wären ohne die Schilder quasi unvermeidlich bei den unzähligen Menschen auf unserem gemeinsamen Vorbereitungsseminar. Zehn Tage Elitenförderung auf einem ehemaligen DDR-Pioniergelände, die wir mit Gruppeneinheiten, Workshops, Diskussionen und üppigen Mahlzeiten füllen. Nicht zu vergessen natürlich das Baden im Werbellinsee, der nur ein paar hundert Meter entfernt auf uns Freiwillige wartet.

Um es für alle Nicht-kulturweitler zu erklären: das wichtigste Format des Vorbereitungsseminars sind die sogenannten Homezones. In meinem Fall ist das Homezone 18, in der alle Freiwilligen aus Belarus, Moldau und der Ukraine versammelt sind (12 Leute). Mit der Homezone verbringt man viel Zeit während des Seminars, da man sich im Ausland vergleichsweise nah beieinander aufhält und außerdem ein weiteres Seminar zusammen haben wird. Somit werden die „Homies“ schon während des Seminars zur festen Bezugsgruppe.

In der „Zone“ ist es so, wie andere aus meiner Gruppe es schon gesagt haben: am Anfang ist die Gruppe fremd, man weiß nicht, wer diese Leute sind – doch am Ende des Seminars hat man jeden Einzelnen und seinen Charakter, seine Persönlichkeit kennen und ein wenig verstehen gelernt. Das funktioniert, weil die Atmosspähre in der Homezone offen und vertraut ist – man findet viele ähnliche Interessen, aber auch Befürchtungen und Ängste. Und wir sitzen ohnehin alle im selben Boot. (…wenn auch nicht im selben Flieger.) Vielen lieben Dank an dieser Stelle an Max und Lisa, unsere Trainer in den Homezone-Einheiten. Ich denke, ich spreche für die ganze Gruppe, wenn ich sage, dass diese Zeit uns allen enorm gut getan hat.

Insgesamt bietet das Seminar einfach eine ungewöhnliche, vermutlich einzigartige Situation: über 300 einigermaßen ähnlich interessierte junge Menschen, die sich in dieser Zusammensetzung nie wieder begegnen, dafür aber in die unterschiedlichsten Ecken der Welt reisen werden, nach Südamerika, Afrika, Osteuropa,  Zentralasien, Südostasien usw. usf. Innerhalb dieser Gruppe findet man Gesprächs- und Diskussionspartner zu allen möglichen Themen und Bereichen und nimmt es irgendwann als normal hin, dass der- oder diejenige scheinbar willkürlich nach Ecuador, Montenegro oder Aserbaidschan geschickt wird. Ich höre mir die Geschichten an und denke mir, dass zwar viele andere Länder auch sehr, sehr interessant wären – aber Belarus klingt im Vergleich geradezu sicher und unkompliziert. Vor allem was das Visum angeht, so seltsam das klingen mag. Dokumente schicken und fertig. Allerdings mit dem entscheidenden Nachteil, dass uns kaum jemand besuchen können wird – ohne Visum darf man sich in Belarus nämlich nur fünf Tage aufhalten, und das auch nur, wenn man über den Flughafen einreist. Diese Regelung ist übrigens relativ neu, davor brauchte man für jeden Aufenthalt ein Visum. Glasnost braucht eben seine Zeit.

Und zuletzt noch einmal, nur fürs Protokoll: wenn ich Belarus schreibe, meine ich Weißrussland. Belarus ist allerdings der offizielle Name, den kulturweit und das Goethe-Institut bevorzugen. Belarus/Weißrussland ist außerdem ein souveränes Land und kein Teil von Russland. Ich nehme es niemandem übel, wenn man das nicht so genau weiß – bei so vielen Ländern in diesem Blog kann man leicht durcheinanderkommen. (Schöne Grüße dabei an die Moldauer…)

So viel über unser Vorbereitungsseminar. Morgen geht der Flieger und die Belarus-Gruppe kommt nacheinander zu unserem Vorbereitungstag in Minsk an. Die Vorfreude steigt.

Liebe Grüße und до свидания

Jonathan

P.S.: Meine Wohnung in Orscha ist jetzt doch nicht frei, dafür komme ich erstmal in eine Gastfamilie. Vielleicht schon ein erstes Zeichen der Spontaneität und Gastfreundlichkeit der Belarussen?

Abschiedstage

Heuchelheim, 27. August 2018. – Jetzt ist endgültig der Punkt gekommen, an dem ich das (halbe) FSJ nur noch auf mich zukommen lassen kann. Nach einer schönen Abschiedsfeier am Wochenende bleiben bloß noch fünf Tage bis zum Vorbereitungsseminar. Es ist schon lange her, dass mir meine Stelle im Osten von Belarus bestätigt wurde, im Februar… Jetzt sind endlich alle Vorbereitungen (außer dem Packen) erledigt. Ich habe oft genug erklärt, was nun passieren wird, viele Fragen beantwortet und mich von vielen Menschen schon verabschiedet. Eine Schule in Orscha, das ist im Osten von Belarus, bzw. Weißrussland. Im Unterricht soll ich helfen, Übungen vorbereiten, AGs leiten, anscheinend gibt es ein Theaterprojekt. Nur mit wenigen Deutschen in Belarus, aber es gibt eine Ansprechpartnerin in der Schule. Ja, Russisch habe ich schon gelernt, für den Anfang reicht es vielleicht, aber ich bekomme Unterricht. Nein, ich weiß auch nicht, wie der Tagesablauf ist. Rubel umtauschen kann man erst in Belarus, Preise sind billig, öffentliche Verkehrsmittel gut. Habe ich etwas vergessen? Ach ja, der Flug nach Minsk geht am 12. September.

Es ist ein seltsames Gefühl, vor allem, weil diese letzten Tage ziemlich leer sind. Jetzt tut sich nichts mehr, ich kann nur noch abwarten. Ein paar Mails muss ich noch schreiben, packen und vielleicht noch weiter Russisch lernen, aber viel mehr nicht. Das bedeutet für mich eine bunte Mischung der Gefühle, von Vorfreude und Neugier bis zu Unsicherheit und Zweifeln. Ständig gehe ich irgendwelche Szenarien durch und wünsche mir eigentlich nur, dass es jetzt endlich losgeht und die Unsicherheit verschwindet. Wahrscheinlich überwiegt die Neugier im Moment. Deshalb ist es vermutlich gut, dass jetzt erst noch das Seminar kommt, zur „Einstimmung“ auf die Zeit im Ausland, und auch wenn zehn Tage mir sehr viel vorkommen, hat das vermutlich seinen Sinn und Zweck.

Liebe Grüße an alle, denen ich den Link zu diesem Blog gegeben habe und die das hier lesen. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich euch noch einmal sehen konnte oder in dieser Woche noch sehe. Ihr könnt hier immer wieder reinschauen; wie gesagt, ich bemühe mich sehr, diesen Blog aktuell zu halten – aber wer weiß, wie die Zeit wird, wer weiß, ob ich dazu komme.

Auf Wiedersehen und alles Gute –  до свидания и всего хорошего!

Jonathan