Vorweihnachtsstresschen in Orscha

Orscha, 16. Dezember 2018. – Es ist immer noch gar nicht soo kalt, trotzdem bin ich gerade viel drinnen in meiner Wohnung. Diese Woche bin ich schon das zweite Wochenende in Folge nicht unterwegs, und das ist auch ganz angenehm so. Alles Andere wäre gerade auch unvernünftig. Seitdem ich am Samstag aufgestanden bin und mich fertig gemacht habe, sprinte ich nur so durch meine To-do-Liste, um möglichst gut durchzukommen. Die nächste Woche wird ordentlich voll, ich muss unbedingt vorarbeiten. Die Präsentation „Deutsche Massenmedien“ für Montag habe ich bewusst auf heute aufgeschoben, denn gestern musste ich mich zuerst auf Dienstag vorbereiten. Deutschlernende Schüler (und ihre Lehrer) aus Witebsk werden unsere Schule besuchen, deshalb müssen wir uns ins Zeug legen. Die Grundidee: wahrscheinlich ist diese andere Schule besser in Deutsch, aber wir haben tollere Projekte und eine schöpferischere Atmosphäre. (Die Schüler sagen aus irgendeinem Grund schöpferisch, wenn sie kreativ meinen.) Konkret bedeutet das eine Vorstellung der Schule mit allen ihren schönen Seiten. Von mir wird noch eine Stunde über Weihnachten erwartet, diesmal ganz anders, da das Niveau vermutlich höher sein muss. Die Planung ist nicht so ganz einfach. Jedenfalls muss ich am Samstag zuerst meine Dokumente mit Weihnachtsbildern fertigmachen, da wir in der Schule keinen Farbdrucker haben und der Kopiershop unter meiner Wohnung samstags früh schließt.

Falls ich es noch nicht erwähnt habe: meine Bushaltestelle heißt центр/Zentr, und das sagt schon alles über die Umgebung meiner Wohnung. Ich bin genau mittendrin im Stadtzentrum, fast alles Wichtige ist in der Nähe – oder sogar im gleichen Gebäude.

Im gleichen Zeitraum am Samstag ist dann noch Russisch (Vokabeln aufschreiben; aus den letzten 90 min Unterricht habe ich ganze 35 neue Vokabeln mitgenommen), SIM-Karte aufladen, Kochen, Wäsche, Einkaufen und Geld abheben angesagt. Auch einen Geldautomaten gibt es direkt in meiner Straße, obwohl ich es nicht mag, dort Geld abzuheben – er liegt genau auf der Straße, durch die ständig Leute laufen, ich fühle mich immer beobachtet. Leider hat man bei so etwas andere Ansprüche als in Deutschland, so kommt es mir zumindest vor – es kann immer wieder mal sein, dass Menschen direkt neben einem selbst warten, während man am Schalter Geld abhebt, was mich immer nervös macht.

Ich bin sehr froh, dass es mir gerade gut geht und ich gut durch die Arbeitsphase durchkomme, sonst wäre ich gerade nur noch demotiviert.

Am Nachmittag treffe ich mich wieder mit P., sodass ich am Wochenende nicht die ganze Zeit alleine bin. Der mittlerweile ganz normale Treffpunkt Leninplatz ist noch eine dieser vielen Kleinigkeiten, die dieses einmalige halbe Jahr ausmachen. Bei unserem längeren Spaziergang quer durch die halbe Stadt findet sich das ein oder andere Mitbringsel für Weihnachten, aber leider kein берёзовый квас (Birkensaftkwas). Das wäre auch zu schön gewesen…

Außer „Massenmedien“ und den Gästen aus Witebsk ist nächste Woche natürlich noch mehr: an einem Tag bin ich in P.s Schule, dazu kommt noch eine Präsentation in Orscha, zwei Mal Russischunterricht und die Vorbereitung auf die Abreise: am Freitag geht es auf Heimaturlaub. Vorbereitung heißt Packen, Aufräumen und Saubermachen, aber auch Klavier üben, denn ich habe für Gottesdienste an Weihnachten zugesagt. Es gibt also mehr als genug zu tun, deswegen freue ich mich sehr darauf, am Ende der Woche in den Zug zu steigen und für Weihnachten nach Deutschland zu kommen.

Wenn alles gut läuft, wird sich auch meine Entscheidung, Zug zu fahren, sehr lohnen. Ich kann von Orscha aus direkt nach Berlin fahren (das ist die Zugverbindung Moskau – Berlin) und muss deswegen nur zwei Mal umsteigen. Der Großteil der Fahrt ist über Nacht, also werde ich die meiste Zeit einfach schlafen. Das ist sogar ziemlich bequem im Zug, so war es zumindest letztes Mal bei der Fahrt zum Zwischenseminar. Und der besondere Reiz ist, meinem Zuhause in Deutschland Schritt für Schritt immer näher zu kommen. Das wird etwas ganz Besonderes, und ebenso Einmaliges. Ich kann es schwer beschreiben, aus meiner Sicht ist es einfach einzigartig.

In dieser Woche war ich außerdem noch einmal in Dubrowna, was mir ziemlich gut gefallen hat. Mein interaktives Sprech-Spiel kam für die Schüler etwas überraschend, war aber am Ende (по-моему, meiner Meinung nach) erfolgreich. Auch in Dubrowna gibt es motivierte Schüler(innen)… Dazu dann noch Weihnachtslieder singen in der Aula und ein kleiner Spaziergang durch das Stadtdorf mit den stärkeren Schülerinnen. Dubrowna ist zwar klein, aber dennoch kann man hier die bedeutenden Sieben Wunder von Dubrowna bestaunen. Nach dieser Woche kenne ich noch nicht alle, vielleicht lerne ich noch mehr davon kennen. Und es tut mir leid, dass ich das Dubrowner Schloss – eines der Wunder, auch wenn „Schloss“ eine Übertreibung ist – nicht fotografiert habe und dieser Beitrag wieder bilderlos ist.

Die kommende Woche wird also voll, aber ich hoffe, am Freitag dann problemlos die Rückfahrt antreten zu können.

Zuletzt noch das Wetter: aktuell nur leichte Minustemperaturen, -2 oder -3° C. Schnee liegt überall noch ein bisschen, Matsch hält sich in Grenzen. Es soll bald kälter werden, aber das gilt hier ja grundsätzlich immer.

Alles Gute und bis bald!

Jonathan

P.S.: Nachdem das Treppenhaus vor meiner Wohnungstür monatelang nach 17 Uhr völlig finster war, hat man am ersten Advent eine Lampe angebracht. Diese leuchtet jetzt allerdings durchgängig 24/7, mal schauen, wie lange noch.