Einmal quer durch die Woche

Orscha, 12. Oktober 2018. – Heute folgt ein weiterer Text, der alle meine Leser einmal quer durch meine (Schul-)Woche führen soll, damit Ihr Euch meine Zeit hier besser vorstellen könnt. Mittlerweile hat sich ein bestimmter Rhythmus gezeigt, den ich hier einmal vorstellen möchte. Ich werde fast nur über diesen Wochenablauf schreiben, obwohl mir auch andere Dinge durch den Kopf gehen, die ich an dieser Stelle auslasse. Es wird auch so genug Text sein.

Zuerst noch etwas vom letzten Sonntag, denn diese „Episode“ hat mich sehr gefreut. Am Nachmittag habe ich mich mit meiner vermutlichen ersten richtigen Bekanntschaft hier getroffen. P. kommt aus einer anderen Schule (Klasse 11), wo sie ebenfalls Deutsch lernt. Sie möchte meine Lehrerin für das „richtige“ Russisch sein – Umgangssprache, Jugendsprache, „schlimme Wörter“ und co. Das war das Hauptthema unseres längeren Treffens, neben einigen frustrierenden, aber gleichzeitig auch witzigen Russischversuchen meinerseits. Wir haben viel gelacht und hatten einen sehr spaßigen Nachmittag, ich belasse es mal dabei. Hoffentlich können wir uns noch häufiger treffen und ich lerne auch weitere Leute kennen, denn ich brauche hier Freunde und Bekannte, genauso wie Russisch-Praxis. (Heute hätte mein zweiter Russischunterricht sein sollen, doch er musste ausfallen.)

In der großen Eisarena (Ледовая Арена) in Orscha kann man z.B. auch bowlen gehen

So ganz prototypisch (…Gruß an den ehem. Kurs KNO;) ) war diese Woche nicht. Die Deutschlehrerin, bei der ich am Montag im Unterricht hätte sein sollen, wurde spontan am Sonntag Abend auf eine Fortbildung in einer anderen Stadt hingewiesen, wodurch für mich fast der gesamte Unterricht ausgefallen ist. (Darüber wundert man sich hier überraschend wenig.) Ich komme noch in einen Kurs zu Irina und probe eine Stunde für unser Theaterprojekt, aber das ist dann auch alles. Mit dem Theater meine ich unsere Vorbereitung für das PASCH-Theaterfestival im November – in dieser Woche haben die Proben begonnen und wir haben unseren Bewerbungsclip gedreht. Drei Schülerinnen aus Klasse 10 und zwei aus Klasse 4 werden teilnehmen, bisher sieht es sehr gut aus.

Ich bin in so vielen verschiedenen Klassen, dass ich kaum den Überblick behalten kann. Mittlerweile mache ich mir immer Notizen, um später nachsehen zu können, welche Klasse welche ist, welche SuS dazugehören und was das Thema ist. Nicht mehr überlegen muss ich bei Klasse 4a (Di), denn einige dieser Kinder sind auch in der Musik-Spiel-Theater-AG; die beiden Theater-Kinder sind auch aus dieser Klasse. In der AG beschäftigen wir uns mit dem Lied „Zwei kleine Wölfe“ (@M.B. – ich bin dir so unfassbar dankbar für diese Idee), welches die kleinen Schülerinnen jetzt ständig spontan anstimmen. Nächste Woche kommt Strophe 2.

Weiter geht es mit dem erwähnten Russisch-Unterricht in Klasse 5, einem ZVK-A1 (ZVK: Zertifikatsvorbereitungskurs) und dem Fakultativunterricht. In Klasse 5 ist es meistens ziemlich nett – aber nachdem ich am Mittwoch zur Begrüßung stürmisch umarmt wurde und im Unterricht Kekse angeboten bekommen habe, begrüßt mich heute genau die Schülerin, die mich immer neugierig anspricht (придёшь нам сегодня? Kommst du heute zu uns?) schüchtern mit einem Handdruck. Ну что, дети. Kinder.

Im ZVK-A1 bin ich bei E., die in diesem Kurs sehr froh ist, dass ich da bin – 14 SuS sind viel, sie sagt, das schafft sie alleine nicht. So machen wir meistens Gruppenarbeit mit zwei Gruppen, eine Gruppe mit mir, eine Gruppe mit ihr, das geht relativ gut – einige Schüler(innen) reden leider viel zu viel, und das nicht auf Deutsch.

Fakultativunterricht ist der Unterricht für leistungsstarke Schüler – de facto also fast nur Schülerinnen. Hier sehe ich diejenigen wieder, die auch in ihren eigenen Kursen schon glänzen. Oft bereite ich hier Präsentationen zu den jeweiligen Themen vor, als Letztes z.B. Umweltbelastung. Ich muss allerdings sagen, dass ich mich hier häufig unsicher fühle, genau wie bei den Theaterproben; ich bin nicht viel älter als die SuS und sehe auch nicht unbedingt älter aus als sie, trotzdem bin ich derjenige, der vorne steht und erzählt – es ist nicht auf Augenhöhe. Außerdem bin ich nicht gerade qualifiziert für die Leitung von Theaterproben oder Deutschunterricht, deswegen bin ich immer wieder verunsichert und gehe mit einem etwas seltsamen Gefühl aus den jeweiligen Stunden.

PPPS Episode 3

Außer diesen Kursen gibt es noch viele weitere, die ich mir leider nur über einzelne Schüler merken kann – so kann ich die Kursbezeichnung zumindest einordnen, wenn ich weiß, dass 8в der „Dascha-Sascha-Kurs“ ist, oder so ähnlich. Bei 4a (Fr) steht bei mir „übermotivierte erste Reihe„, damit weiß ich auch Bescheid.

An diesem Wochenende werde ich für eine Veranstaltung in Baranowitschi sein, südwestlich von Minsk. Wenn es so interessant wird, wie es klingt, schreibe ich vermutlich darüber. Außerdem erwarte ich gespannt die Ergebnisse der Bayern-Wahl – ich sehe es durchaus als eine Art Test für die politische Lage und das Parteiensystem, z.B. ob die Grünen tatsächlich so stark sind wie in den Umfragen. We’ll see.

Zuletzt das Wetter: Es ist unerhört warm, gestern und heute 20°C und mehr, zumindest am Nachmittag. Dazu scheint die Sonne; heute morgen war starker Nebel, der sich schon lange verzogen hat.

Der Stadtpark in Herbstfarben

Liebe Grüße an alle!

Jonathan