На берегу днепра – Am Ufer des Dnjepr

Orscha, 29. September 2018. – Der Dnjepr ist ein mächtiger Strom, der einmal quer durch Belarus und die Ukraine fließt, bevor er im schwarzen Meer ankommt. Auf diesem langen Weg kommt der schwer aussprechbare Fluss auch in Orscha vorbei. Nicht weit weg von meiner Wohnung liegt der beeindruckende городской парк, der Stadtpark, direkt am Ufer. In der wunderschönen Grünanlage tummeln sich Raben, Krähen und vor allem Dohlen, die ich in Deutschland zumindest bewusst noch nie gesehen habe, und das alles mit dem Blick auf den ruhig fließenden Dnjepr.

Bin mir ziemlich sicher, dass das eine Dohle ist (oder?)

Der Park ist einfach ein perfekter Ort für schöne Herbstnachmittage.

Um das nur kurz zu erklären: von allen Jahreszeiten mag ich den Herbst am liebsten. Herbst ist die Zeit, in der man (wenn es nicht regnet) mit einer Jacke rausgehen kann, ohne zu frieren oder zu schwitzen, und den Wind um sich genießen kann. Ich mag auch das Nachdenkliche, Melancholische am Herbst, wenn die Natur sich zurückzieht, es dunkler und kälter wird und man länger drinnen bleibt, drinnen zuhause und drinnen in sich selbst. Ich genieße die schönen, ruhigen Herbstnachmittage sehr, und Orscha ist bisher ein absolut toller Ort, um den Herbst hier zu verbringen.

Mitten im городской парк befindet sich auch eines der zahlreichen Denkmäler, die an den zweiten Weltkrieg – Pardon: den Großen Vaterländischen Krieg – erinnern. Solche Denkmäler sind hier sehr häufig, und man versteht, wieso, wenn man die Hintergründe kennt.

Es ist ein trauriger, erschreckender, entsetzlicher Fakt, dass in den Jahren 1941-1944, in denen Belarus von Wehrmacht und SS besetzt war, jeder vierte Belarusse ums Leben gekommen ist. Die Deutschen sahen die Russen und Weißrussen nicht als Menschen an, verbrannten ihre Dörfer, zerstörten Felder und ermordeten Tausende. Der „Vernichtungskrieg im Osten“ ist vermutlich eines der grauenhaftesten Verbrechen der Geschichte, dem über 25 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Belarussen haben es nicht vergessen, überall erinnern Denkmäler an die Toten.

Am Freitag war ich an einem weiteren dieser Denkmäler, dem „Hügel der Unsterblichkeit“ im Stadtteil ранiца, was auf Belarussisch anscheinend „Morgen“ bedeutet. Drei Schülerinnen aus Klasse aus meiner Schule (Nr. 20) und weitere SuS aus Schule Nr. 17 hatten eine Stadtführung für mich vorbereitet und erzählten mir noch viel Neues über die Stadt und ihre Geschichte. Einfach ein sehr angenehmer Vormittag, obwohl er auch nachdenklich macht. Der Hügel der Unsterblichkeit ist ein Hügel im Zentrum von sechs Alleen, die nach verschiedenen Soldaten benannt sind. Vor dem Hügel brennt eine ewige Flamme, im Park stehen sowjetische Panzer zum Anschauen. Kinder klettern auf einen der Panzer und drehen am Geschützturm, und wir stehen im Park und trinken Tee.

Morgen werde ich an einem Schulausflug teilnehmen, der uns auch an eine weitere Gedenkstätte führen wird, nach Chatyn. Dort befindet sich eine Erinnerungsstätte für die hunderten verbrannten Dörfer in Belarus. Nun werde ich also auch diesen Teil der Geschichte kennenlernen, der sich mit Sicherheit tief in das belarussische Gedächtnis eingegraben hat.

In der Schule geht es ziemlich normal weiter. Noch habe ich einiges an Freizeit, doch bald wird ein neues Projekt starten: die Vorbereitung für das PASCH-Theaterfestival in Minsk, an dem meine Schule unbedingt teilnehmen will. Es gab wegen besonderer Vorgaben des GIs bisher Probleme, ein passendes Stück zu finden, doch das hat sich mittlerweile geklärt (woran ich, sagen wir mal, nicht ganz unbeteiligt bin). Ich werde erst noch sehen müssen, wie genau ich dann weiter in der Schule eingebunden und eingeplant werde. Was sich schon andeutet, ist Korrekturlesen für Artikel auf diversen Internetseiten, was spannender ist, als es klingt.

Zuletzt das Wetter: der heutige Tag ist wechselhaft, zurzeit (17 Uhr) scheint die Sonne bei etwa 14°C, nachdem es am Mittag schon Regen gab.

Liebe Grüße an alle!

Jonathan

P.S.: Das ist bisher mein Lieblingsplatz im Park:

Ein Gedanke zu „На берегу днепра – Am Ufer des Dnjepr“

  1. Hallo Jonathan,

    schöne Bilder und danke für die geschichtlichen Hintergründe. Auch hier hat der Herbst seine schönen Seiten!
    Liebe Grüße,
    Antje

Kommentare sind geschlossen.